Herausforderung Internet: Die Telefonbetreiber haben neue Märkte im Visier

Telecom Interactive 97 in Genf

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Die International Telecommunication Union ist der größte Verbund der Telefongesellschaften. Man traf sich in Genf, um sich endlich wirklich des Internet anzunehmen, obgleich es noch immer nur ein kleiner Markt ist. Was hier aber angedacht wurde, könnte die Welt der Netizen schnell verändern.

Die Zukunft des Internet und der Telekommunikation insgesamt ist hart umkämpft. Die Wirtschaft will Geld mit Electronic Commerce über das Netz sowie mit Zugangsvermittlung, Inhalten und Netzservice verdienen, die Politiker wollen sich das Heft nicht völlig aus der Hand nehmen lassen - und die Netzgemeinde will am liebsten einfach nur in Ruhe gelassen werden. Doch über den Köpfen der Netizens tobt der Kampf um die Basisökonomien des Netzes, um die Schaffung von Kommunikationsstandards und den Einsatz von Protokollen.

Vor allem den Betreibern der Telefonnetzwerke liegt dabei vieles daran, Ordnung in das dynamische und in Teilen immer noch anarchische Treiben des Internet zu bringen und es langfristig den (Preis-) Strukturen des Telefonmarktes zu unterwerfen. Nachdem die "Telefonindustrie" die Entwicklung des Internet lange Zeit mehr oder weniger verschlafen hat, wendet sich nun die International Telecommunication Union (ITU als größter Verbund und wichtigste Lobbygruppe der internationalen Telefongesellschaften - sie hat Mitglieder aus 188 Staaten - dem "Konkurrenzfaktor" Internet zu und steckt sich dabei große Ziele.

Es gehe ihr nicht so sehr um die "rein technischen Fragestellungen", stellte der Generalsekretär der ITU, Pekka Tarjanne, auf der erstmals ganz im Zeichen des Netzes stehenden Telecom Interactive 97 in Genf dar. Im Mittelpunkt stünden vielmehr die "sozialen und menschlichen Bedeutungen der neuen Technologien".

Vielen Netizens dürfte diese "Einmischung" kaum verständlich sein: Gerade in Deutschland steht der öffentliche Telefondienst der Telekom nicht gerade im Ruf, die Internetkommunikation zu befördern. In dem extra für das ITU-Forum erstellten Bericht über die "Herausforderungen an das Netzwerk" steht Deutschland in einem Vergleich für einen 20-stündigen Internetzugang mit einem Preis von knapp 80 Dollar fast an letzter Stelle: nur die Mexikaner kommt das Surfen im Netz noch teurer. Den Bärenanteil machen in Deutschland dabei die Gebühren für die Telekom aus, und keinesfalls die Zugangspreise der Internetprovider. Doch auch in den USA haben die "Bellheads" der regionalen und landesweiten Telecoms keinen guten Ruf in der Netzgemeinde, fordern sie doch seit langem, daß die "Netheads" nur noch gegen nutzerabhängige Gebühren ihre Daten weiterhin über die immer noch unvermeidlichen Wegstrecken der Telefonnetze schicken dürfen.

So passen die unterschiedlichen "Philosophien" der Netzgemeinde und der Telefongesellschaften aufgrund ihrer unterschiedlichen Geschichte zusammen wie Öl und Wasser. Und während die Netizens hoffen, daß ihr größtenteils "von unten" gewachsenes Netzwerk eines Tages die Telecoms dieser Welt obsolet macht, erhoffen sich die Mitglieder der ITU weltweit einen lukrativen und zukunftsbringenden neuen Markt.

Das "Netz der Netze" ist in den Augen der ITU bisher allerdings noch lange nicht das Internet, sondern eben nach wie vor das Telefonnetz, die größte Maschine der Welt. 741 Millionen Erdenbürger konnten Anfang 1997 ein Telefon ihr eigen nennen - das ist zwar bei weitem noch nicht die gesamte Menschheit, aber doch eine deutlich höhere Zahl als die dagegen verschwindend kleine Community der geschätzten 60 Millionen Internetaktivisten mit ihren rund 16 Millionen Hostcomputern. Gleichzeitig schätzt die ITU die Gewinne der Internet Provider mit weniger als fünf Milliarden Dollar 1996 als relativ gering ein, denn in der gleichen Zeit warf die Betreibung öffentlicher Telefonnetze rund 670 Milliarden Dollar ab.

Was das Internet so bedeutend mache, sei daher nicht die Gegenwart, sondern seine Zukunft, meinen die Autoren des Berichts der ITU, Tim Kelly, Ben Petrazzini und Shawn Sharifi. Und die will die Telefonlobby nun kräfig mitgestalten, da die Wachstumsrate des Netzes zwar vielversprechend, aber eben nur auf sehr wenige Länder beschränkt sei.

"Im Gegensatz zu all dem Gerede um Gleichheit ist das Internet heute groteskerweise ein vollkommen ungerechter Ort", stellt der Finne Tarjanne dar. "Es ist fast ausschließlich für die reichsten, am besten ausgebildeten Leute in den reichsten und am meisten entwickelten Ländern reserviert." Und die Statistik gibt ihm Recht: Im Juli 1997 waren - abgesehen von rund 500.000 - fast alle Internet Hosts in den 29 führenden Wirtschaftsländern der OECD angesiedelt.

Nun also geht es um die Erfüllung der Versprechen eines weltweiten Kommunikationsmediums mit dem bestmöglichen Service zum niedrigsten Preis. Denn inzwischen dürften die auch bei der Eröffnungsveranstaltung der Telecom Interactive in jeder Rede betonten Verheißungen des Internet, sein Gesellschaft, Politik und Wirtschaft im gleichen Maße revolutionierendes Gestaltungspotential, auch in die hintersten Ecken der Erde gedrungen sein. Kaum eine Nation mag da noch dem Trend zur Vernetzung und Digitalisierung entgegenstehen.

"Telekommunikation ist ein mächtiges Werkzeug", konstatiert beispielsweise der indonesische Minister für das gleichnamige Aufgabengebiet, Joop Ave. Er hofft, daß durch das virtuelle Netzwerk auch die reale Gemeinschaft der 200 Millionen Indonesier auf ihren 17.000 Inseln und den 300 verschiedenen Sprachen gestärkt werde. Deswegen hat auch er sein Land dem Wettbewerb geöffnet, den von der ITU und der World Trade Organization empfohlenen Grundsätze zur Liberalisierung der Telefonnetze zugestimmt. Die Informationsgesellschaft kann also kommen, auf daß alle Träume erfüllt werden: "Telemedizin etwa ist für uns noch eine unglaubhafte Operation", meint der "Zukunftsminister" Indonesiens. "Unsere Ärzte müssen ja heute oft noch mit Messern operieren, die andere zum Rasieren benutzen."

Erklärtes Ziel der ITU ist es nun, auf dem Weg in das Information Age die Kommunikationsmittel der Zukunft mit zu prägen, ihre Entwicklung zu bestimmen und die damit verbundene Machtposition nicht aus der Hand zu geben. Noch herrsche angesichts des exponentiellen und kaum kontrollierbaren Wachstums des Internet eine "allgemeine Nervosität" unter den Betreibern der Telefonnetze. Deswegen gelte es, die Zukunft des Internet (mit-) zu gestalten, auf eine Konvergenz der Netzwerke zu setzen und nicht die Augen vor der Internetrevolution zu verschließen.

Ein erster Schritt in diese "gestaltende Tätigkeit" war die maßgebliche Beteiligung am Zustandekommen des Memorandums of Understanding für die heiß umkämpfte Regelung der Vergabe der begehrten Top Level Domains Ende Mai. Jetzt geht es um eine noch stärkere "Zusammenarbeit": der Herausforderer, das noch vergleichsweise junge Internet, und der Champion, das über hundert Jahre funktionierende Telefonnetz, sind nach Ansicht des ITU-Generalsekretärs nämlich nicht auf ewig unvereinbare Konkurrenten. "Das Netzwerk kann beide Communities durchaus zusammenfügen", glaubt Tarjanne. Beide Gemeinschaften müßten sich dafür allerdings umstellen: "Internet User werden wahrscheinlich ihren Anspruch auf unbegrenzte Basispreise zugunsten der Übernahme einer Art nutzungsabhängiger Abrechnung aufgeben müssen." Das könnte auf der Seite der Telecom-Betreiber zwar auch sinkende Profitmargen bedeuten, an den Konkurs von Telefonnetzbetreibern in naher Zukunft will allerdings keiner so richtig glauben.

So stellt sich das Internet in den Augen der ITU also als ein klar beherrschbares Teilgeschäft dar. Um die Netzgemeinde nicht zu verunsichern, betont Tarjanne allerdings, daß "die ITU keine Bedrohung für das Internet" darstelle: "Es ist zu groß, zu fragmentiert und zu komplex, so daß es nicht von einer Organisation allein kontrolliert werden kann, und es wird uns auch in Zukunft durch seine Entwicklung immer wieder überraschen."

Gleichzeitig will die ITU allerdings bei der wichtigen Standardsetzung im Globalisierungsprozess des Internet mitwirken. Die eigentliche Regulierung des Netzwerkes will sie allerdings anderen überlassen, den Politikern beispielsweise. Und da will die Europäische Kommission in Zukunft den ewigen Rückstand hinter den Vereinigten Staaten wettmachen. Der EU-Kommisar Martin Bangemann kündigte auf dem Forum der ITU an, daß er in wenigen Wochen ein "Green Paper" zur Verabschiedung eines "Europäischen Communications Act" vorlegen werde, der als Grundlage für eine liberale internationale Regulierung und Verständigung von Service-, Contentprovidern und sonstigen Netzbetreibern dienen soll. Man darf gespannt sein, welche Inhalte darin tatsächlich angesprochen werden und wie die USA darauf reagieren.

Ein ausführlicher Bericht über die Regulierungsbestrebungen der verschiedenen Interessensgruppen folgt nächste Woche in Telepolis.