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Herbert Kickls Kampf gegen Integration: Rückwärtsgang für Österreich?

Herbert Kickl ist stets bemührt, den richtigen Ton zwischen Rechtsextremen und bürgerlicher Mitte zu finden. Foto: © C.Stadler/Bwag / CC-BY-SA-4.0

Was AfD und "Identitäre" in Potsdam besprachen, verfängt im Nachbarland. Was der "Volkskanzler" sagt und was "Heimatrecht" heißt. Ein Kommentar.

Das Treffen von AfD-Politikern und Neonazis in Potsdam, über das vergangene Woche das deutsche Recherchenetzwerk Correctiv berichtet hat, beschäftigt auch die österreichische Politik. Auch das Staatsbürgerschaftsrecht wird hier infrage gestellt.

Herbert Kickl: Zwischen Rechtsextremismus und Medienprofessionalität

Wenn Herbert Kickl diese Tage Fernsehstudios betritt, dann fürchtet sich der FPÖ-Chef und Kandidat für das Amt des Bundeskanzlers offenkundig vor dem "Rumpelstilzchen"-Effekt. Einerseits will er energisch rechte und durchaus auch rechtsextremistische Deutungsmuster propagieren – das soll nur alles nicht zu explosiv herüberkommen.

Die Gratwanderung der FPÖ: Zwischen Menschenverachtung und Besonnenheit

Im ORF-Studio befragt über die Haltung seiner Partei zur Remigration"möchte der Bundesparteiobmann der freiheitlichen Partei besonnen erscheinen – als jemand, der Vernünftiges zu einem brisanten Thema sagt. Die Dosis Menschenverachtung soll erkennbar sein für die, die sie goutieren, und überhörbar bleiben für die, die sich daran stören.

Das gelingt Herbert Kickl ganz gut. Der Mann ist ein Medienprofi und er wirkt gegenüber seinen beiden Konkurrenten Karl Nehammer (ÖVP) und Andreas Babler (SPÖ) mitunter geradezu souverän. So können schnell gewisse wichtige Details überhört werden.

Kickls Distanzierung von Rechtsextremen: Eine Frage der Glaubwürdigkeit

Beim Treffen in Potsdam sei er ja nicht dabei gewesen, wie Kickl im gerade auf orf.at viel geklickten Interview [1] betont. Distanzieren geht aber sicherlich anders.

Die rechtsextremen Identitären [2] sind in Österreich gut vernetzt und werden zuweilen von Funktionären der FPÖ gelobt. Man will sie als jugendliche Frechdachse verharmlosen, die mal übers Ziel hinausschießen, das Herz aber am rechten (und eben nicht linken) Fleck haben.

Herbert Kickls vorsichtige Worte: Das Dilemma mit den Identitären

Kickl muss ein wenig aufpassen, bekanntlich sind die Zehenspitzen von Rechtsextremisten äußert empfindlich und so sagt er tunlichst nichts, was die "unterstützenswerten" [3] Identitären aufregen könnte. Schließlich sind diese für ihn eine NGO von rechts [4].

FPÖs Verteidigungsstrategie: Die Schuld bei anderen suchen

Auf Rechtsextremismus angesprochen, ist die FPÖ Verteidigungsstrategie stets die gleiche: Die anderen, insbesondere die Linken sind böse und wollen Konzepte der FPÖ "verteufeln".

Diese arbeite schon seit Jahren an dem Problem, dass wer einen negativ beschiedenen Asylantrag erhalten habe, das Land eben verlassen müsse. Das will Kickl als Remigration verstehen.

Damit betet er letztlich allerdings nur die aktuelle Rechtslage runter, ohne dabei auf die praktischen Probleme zu verweisen, dass Menschen in vielen Fällen schlicht nicht "zurückkönnen", weil ihre Herkunftsländer in einem desaströsen Zustand sind, beziehungsweise die Asylantragsteller sich in der langen Wartezeit in Österreich ein Leben aufgebaut haben.

Herbert Kickls Integrationsverständnis: Eine Spaltung zwischen 'Wir und Die'

Letzteres könnte man übrigens als erfolgreiche Integration bezeichnen, aber die schätzt Herbert Kickl und die FPÖ nicht, weil er sein Narrativ, "wir gegen die" durchziehen muss. Es gibt die guten "autochthonen", österreichischen Ureinwohner und die bösen Fremden. Keine "Integrationsleistung" der einzelnen, noch der Arbeits- und Fachkräftemangel in Österreich kann jemals groß genug sein, um diese Spaltung zwischen "wir und die" aufzuheben.

Dabei geht Kickl ungewöhnlich weit. Er will schlicht keine Asylanträge mehr zulassen. Österreich habe genug getan für Flüchtlinge, es müsse einen Asylstopp geben. Die anderen Staaten Europas werden an dieser Stelle die Augenbrauen in die Höhe ziehen. Ein Kanzler Kickl ist offenkundig zur gemeinsamen Abstimmung in Asylfragen in der EU nicht mehr bereit.

FPÖs neue Stoßrichtung: Staatsbürgerschaft unter Vorbehalt

Die neue Stoßrichtung der FPÖ lautet nun vielmehr, wem es an "Integrationswilligkeit" mangelt oder wer eine Straftat begangen hat, die oder der habe zu gehen, auch wenn die österreichische Staatsbürgerschaft erworben wurde.

Kickls Demokratieverständnis: Staatsbürgerschaft als Druckmittel

Der Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft ist an ungewöhnlich hohe Hürden gebunden. Österreicher wird man nicht über Nacht, es muss ein langer, straffreier Aufenthalt nachgewiesen werden, sowie ein sicheres Einkommen.

Diese Infos lässt Kickl geflissentlich außer Acht, sondern trommelt: "Wir gegen die". Wenn jemand mit neuerworbenem Pass "unsere Werte angreift", dann muss die Staatsbürgerschaft "solchen Leuten" eben entzogen werden. Es sei die "Demokratie", die dies ermögliche.

Widerspruch: Verteidigung österreichischer Werte durch Rechtsbruch

Damit kündigt der Vorsitzende der FPÖ nicht weniger an, als mit der Europäischen Menschenrechtskonvention und dem österreichischen Rechtsstaat brechen zu wollen. Dem studierten Philosophen Herbert Kickl scheint durchaus ein Widerspruch aufzufallen.

Wer den Fremden vorwirft, nicht "unsere" Werte und Gesetze zu achten und diese dann im selben Augenblick selbst außer Kraft setzen will, begibt sich auf dünnes Eis. Man könnte die Frage stellen: Warum nicht dem Verfassungsfeind Herbert Kickl die Staatsbürgerschaft entziehen, der offenkundig auch das "österreichische Rechtssystem nicht akzeptiert"? Aber das gehe selbstverständlich nicht, denn wer in Österreich geboren ist, sei sicher.

Die undurchsichtige Gnadenregelung: Kickls Botschaft an die ‚Fremden‘

Gut zu wissen. Die eigene Klientel wird es gerne hören. Den anderen und insbesondere den "Fremden" wird deutlich gesagt: Ihr könnte Euch in Österreich so viel integrieren und bemühen, wie ihr wollt, selbst mit Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft unterliegt ihr letztlich einer undurchsichtigen Gnadenregelung.

Juristische Fallstricke: Der Kampf gegen rechtliche Errungenschaften

Es wird noch kurioser. Irgendwo im Vorbewusstsein Kickls dämmern die juristischen Fallstricke, wenn er energisch gegen Fremde ("solche Menschen") vorgehen will, die die rechtlichen Errungenschaften Österreichs ausnutzen, indem er selbst ebendiese rechtlichen Errungenschaften torpediert.

Dafür hat Kickl eine simple Lösung. Er spricht hoch besorgt vom "Heimatrecht" der Österreicher, das er verteidigen will und er sich sehr wundern müsse, warum die anderen Parteien gegen dessen "Zerstörung" nichts zu tun bereit sind.

Das wäre Kickl leicht zu erklären. Die anderen Parteien setzen sich deshalb nicht für das "Heimatrecht" ein, weil es dies in der Rechtsordnung Österreichs gar nicht gibt. Es wurde eben durch die Staatsbürgerschaft ersetzt.

Willkürherrschaft: Kickls Missachtung von Recht und Gesetz

Das altertümliche Wort Heimatrecht (es meinte im 19. Jahrhundert unter anderem das Recht auf Armenversorgung) ist eine emotionalisierende Wortkonstruktion der Rechtsextremisten, mit der Fremde ausgegrenzt werden sollen und das rückwärtsgewandte Mütchen der Ureinwohner aufgestachelt wird.

Indem das "Heimatrecht" aus dem Hut gezaubert wird, wird Willkürherrschaft vorbereitet. Es zeigt sich: Recht und Gesetz, sei es Asylrecht oder Staatsbürgerschaftsrecht, ist der selbst ernannte "Volkskanzler" in spe Herbert Kickl bereit mit Füßen zu treten. Die Staatsbürgerschaft ist ihm trotzdem sicher.


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https://www.heise.de/-9598769

Links in diesem Artikel:
[1] https://tvthek.orf.at/profile/ZIB-2/1211/ZIB-2-vom-10-01-2024/14208614/FPOe-Obmann-Kickl-zieht-Jahresbilanz/15548028
[2] https://www.doew.at/erkennen/rechtsextremismus/rechtsextreme-organisationen/identitaere-bewegung-oesterreich-iboe
[3] https://www.derstandard.at/consent/tcf/story/2000127277844/identitaere-fuer-kickl-unterstuetzenswertes-projekt
[4] https://kurier.at/politik/inland/kickl-die-identitaeren-sind-fuer-mich-so-etwas-wie-eine-ngo-von-rechts/401407830