Heuschrecken-Alarm im Ashram

Die Trendbranche propagiert den "Karma-Kapitalismus"

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Das Jammertal war lang, nun boomen Börsen und Wirtschaft auch in Deutschland. Eine gute, vielleicht die einzige Zeit, um die Ethik zurück in die ökonomische Diskussion zu holen. Der Hamburger Trendtag kreierte dafür jetzt den Begriff "Karma-Kapitalismus". Für den Kunden ginge es zukünftig um "Genuss mit gutem Gewissen", für Unternehmer um "Idealismus als Verkaufsschlager", für die Gesellschaft um "das Ende des Raubtier-Kapitalismus".

Das schleichende Einführen spiritueller Weltbilder in die Wirtschaft scheiterte bislang an der genuin anti-weltlichen und damit non-monetären Einstellung spiritueller Traditionen. Aber "Gott sei Dank" ist "Spiritualität" nach dem Gang durch die esoterischen Institutionen endgültig zu einer weiteren Worthülse des Marketingsprech degeneriert.

Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Trendscouts auch aus dieser sozialen Regung eine Vermarktungsstrategie entwerfen. Wie man, so der Trendphilosoph Norbert Bolz, von einer "tief greifenden Spiritualisierung der Wirtschaft" sprechen kann, bleibt ein Rätsel. Eher darf man gelassen dem Ablasshandel per Paypal entgegen schauen.

Hamburger Trendtag, hunderte Manager im Vortragssaal, Adidas, eBay, Roland Berger Consultans, Audi - es riecht nach Erfolg. Vor zwei paar Jahren hat der Trendtag den Begriff der "Schwarm-Intelligenz" geprägt, ähnlich gut klingt das diesjährige Motto. Man lauscht dem Vortrag von Nobelpreisträger Muhammad Yunus, der Mann der Mikrokredite. Er weiß: "Man muss andere Werte als nur die Gewinnmaximierung durchsetzen." Applaus, Schnittchen in der Lobby.

Trendy

Neue Folien an der Wand. "Werte statt Preise" würden das Denken und Handeln der Konsumenten und Unternehmer zukünftig bestimmen. Die Parteien seien einander nicht mehr nur durch die Produktionskette verbunden. Der Handelsforscher David Bosshart vom Schweizer Gottlieb Duttweiler Institut will vier mögliche Wege in die Zukunft ausgemacht haben. Deren Vertreter nennt er:

  1. Wachstumstechnokraten: Die Davos-Fraktion. Ihre Hoffnung: Qualitatives Wachstum befriedigt die Massen. Deren Non-Konformität wird zur Konformität des 21. Jahrhunderts. Die soziale Segmentierung nimmt zu, man lebt lieber klimatisiert und sicher. Zonierte Städte sind die Folge, in London und den anderen Großstädten deute sich diese Entwicklung bereits an. Der Kampf gegen die Langeweile ist hart. Aggressives Geldausgeben der Hedge-Fond-Manager sei die Folge, die stete Rationalisierung bedingt auf der anderen Seite eine wachsenden irrationales Verhalten, genannt Luxus.
  2. Flexible Pluralisten. Sie plädieren für die Gleichberechtigung aller Ansprüche. Convenience und Künstlichkeit gehen Hand in Hand. Kulturelle Vielfalt ist super. Alles wird zum Management Tool. Vielleicht lässt sich sogar der Islamismus mit dem "Diversity Management" behandeln.
  3. Orientierungslose Traditionalisten. Konservative Festhalter mit maximal rückwärts gerichteter Utopie. Die Gruppe, die jeder vergessen möchte, die aber gerade in ihrer religiösen Form die Welt in Atem hält. Und schließlich die:
  4. Werte-Sucher. Die Privilegierten bestimmen die zukünftigen Werte. "Denn Werte geben Halt und Ordnung", wie Bosshart weiß. Wo früher Inszenierung im Vordergrund stand, schiebt sich nun Authentizität und Substanz nach vorne.

Die Frage der Zukunft sei: Was ist das richtige Maß? Bosshart wirft die modifizierte Tugendlehre des Aristoteles an die Wand. Zwischen Verschwendung und Geiz steht dort Großzügigkeit, zwischen Schmeichelei und Streitsucht die Freundlichkeit, zwischen Stumpfsinn und Zuchtlosigkeit die Mäßigkeit. "Die Mitte ist Hoffnung", sagt Bosshart. Ein Manager eines großen Pflegemittelkonzerns ruckelt auf dem Stuhl, sein Notizblock blieb lange leer, jetzt notiert er: "Werte".

Grenzwertig

Zwei Widrigkeiten bleiben unerwähnt. Für Konsumenten, seien sie auch noch so in den Prozess der Produkte eingebunden, sind "Werte" nur bedingt ein immaterielles Produkt. Das Ablegen der "Geiz ist Geil"-Mentalität ist weniger eine idealismusgesteuerte Entscheidung, sondern stark abhängig vom Kontostand.

"Karma-Kapitalismus" könnte sich sowohl auf Produzenten- wie auf Konsumentenseite als ein reines Oberschichtenphänomen herausstellen. Die Nachhaltigkeit des Konzepts wird sich erst in dem Moment erweisen, wo den Firmen aufgrund von schwächelnder Weltwirtschaft oder Börsencrash der Arsch auf Grundeis läuft. Eine Ebene tiefer lauert die Frage, in wie weit sich Gewinnmaximierung und humanistische und ökologische Werte überhaupt vertragen. Wie von Bossart erwähnt, schließen sich zudem kritisch überhöhte Firmengröße und wertorientierte, dezentrale Führung aus. Der Teufel steckt wie so oft im Detail.

So schön eine bessere Wirtschaftswelt auch wäre: Wie sich das neue Gut-Unternehmertum mit der ausgeweiteten Kampfzone von Patent- und Copyrightklagen verträgt, auch das muss sich zeigen. Ein simples "Don't be evil" wird bisher eben doch irgendwann unter einen juristischen Begriff subsumiert. Die neu empfundene Geistigkeit vieler Firmen reicht oft nur bis in die Rechtsabteilung, die wie immer geartetes geistiges Eigentum sichern soll. Patente auf Saatgut und Rezepturen indigener Völker sind bekannt, nun sieht sich die indische Regierung genötigt, ayurvedische Heilmittel und sogar yogische Körperhaltungen gegen Profitmaximierer aus dem Ausland zu schützen.

Dass Konsumenten an Macht gewonnen haben, sei attestiert. Es brauchen heute tatsächlich nur drei Blogs über Verfehlungen eines Unternehmens berichten und der Aktienkurs sackt weg. Der Leiter des Trendtages, Peter Wippermann, zitiert Don Tapscott: "Das Unternehmen ist nackt. Und wer keine Kleidung trägt sollte besser gut in Form sein." Nur wurde dieser Machtzuwachs eben nicht von den Konzernen und großen Firmen generiert, sondern ergab sich aus den verbesserten Zugangs- und Partizipationsmöglichkeiten der vernetzten Welt. Dieser Zuwachs droht nun, in die ökonomische Verwurstungsmaschine geschmissen und durch Marketing-Fabulation zur Simulation von Einfluss, zum reinen "Als-ob" zu werden. "Werte", das klingt so herrlich immateriell ­ als ob sich nicht auch diese kaufen lassen.

Der Übertragung des Karma-Konzepts auf den Kapitalismus wohnt eine Letalironie inne, denn der ursprünglichen hinduistischen wie buddhistischen Tradition nach ist selbst durch noch so viele gute Taten keine dauerhafte Besserung möglich, gilt es doch, aus dem ewigen Kreislauf auszubrechen und überhaupt kein Karma (-Kapitalismus) mehr zu erzeugen. Besteht also tatsächlich Hoffnung, dass die Wirtschaftsstrategen an ihrer Selbstabschaffung arbeiten und uns lehren, den Grundgiften von Gier und Unwissenheit abzuschwören? Bislang sah es eher so aus, als dass nur durch das Schaffen steter neuer Bedürfnisse der ökonomische Kreislauf in Gang gehalten werden kann.