Hisbollah und Israel

Wird hinter den Konflikten der letzten Tage ein neuer Gefangenenaustausch vorbereitet?

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3.000 Tausend Menschen kamen am Mittwoch nach Tair Harfa, einem kleinen Ort in der Nähe der Stadt Tyre, im Süden des Libanons. Dort wurde der 30-jährige "Widerstandskämpfer" Hassan Gharib beerdigt, der am Dienstag vom Schrapnell eines israelischen Panzers an der Grenze tödlich verwundet worden war, nachdem er zwei israelische Soldaten erschossen hatte. Die Menge marschierte mit erhobenen Fäusten durch die Stadt zum Friedhof und rief "Tod für Israel und die USA". Der Ärger war sichtlich groß.

Für die libanesische Hisbollah war es bereits die zweite Beerdigung im Laufe dieser Woche. Am Montag war Ghaleb Aawali (41), ein Kommandant des militärischen Flügels der Partei, verantwortlich für Palästina, in Beirut in Anwesenheit des gesamten Hisbollah-Führungskaders zu Grabe getragen worden. Aawali war das Opfer einer Autobombe, die man als "Werk des israelischen Geheimdienstes" bezeichnete. Es gab zwar ein Bekennerschreiben einer sunnitischen Gruppe namens "Jund as-Sham", in dem es hieß, "die hinterhältigen Schiiten müssten bekämpft werden, da sie die Wurzeln des Islams unterminieren". Aber "Jund as-Sham", die ihren Sitz im Beiruter Palästinenserlager Ain al-Hilweh hat, bestritt völlig überrascht jegliche Beteiligung. Es ist schwer vorzustellen, dass sich diese Gruppe mit der Hisbollah im eigenen Land anlegt, wo gerade die "Partei Gottes" so vehement für die Belange der Palästinenser einritt. "Die Methodik des Anschlags", so verlautbarten offizielle libanesische Stellen, "entspricht genau der Vorgehensweise Israels."

Am Dienstagabend überflogen dann mehrere israelische Kampfflugzeuge den Süden, sowie zum ersten Mal seit vier Jahren auch das Stadtzentrum von Beirut und durchbrachen in geringer Höhe mehrfach die Schallmauer. Die Fensterscheiben wackelten und der Lärm weckte unangenehme Erinnerungen. Menschen in den Cafes und Büros glaubten an eine Bombardierung Beiruts. "Das war nur eine Warnung", meinte der israelische Generalmajor Benny Gantz, der für die Grenzregion verantwortlich ist. "Der Tag ist nicht fern, an dem Israel umfassend und hart handeln wird. Hisbollah wird dann nicht die einzige Adresse sein."

Im Gegenzug drohte auf der anderen Seite der Grenze Sheik Nabil Qaouk, Militärchef des Südlibanons, nicht weniger theatralisch: "Wir werden nicht still halten, wenn Blut fließt. Hisbollah macht keine Kompromisse, wenn es um das Blut von Märtyrern geht".

Im Laufe der Jahre haben Israel und die Hisbollah ein wohl kalibriertes Spiel entwickelt, indem man sich regelmäßig bedroht und beschießt, jede weitere Eskalation aber vermeidet. Der Schaden, der als Vergeltungsmassnahme entstehen würde, ist allen Beteiligten zu groß. Dementsprechend veröffentlichte die "Partei Gottes" ihren Standardtext nach derartigen Zwischenfällen, der gewöhnlich die Bereitschaft zur Deeskalation signalisiert. "Wir werden auf die israelische Aggression antworten, behalten uns aber vor, dazu den richtigen Ort und Zeit zu wählen." Für die Hisbollah ist das Gleichgewicht rein mathematisch wieder hergestellt. Zwei tote israelische Soldaten gegen zwei Hisbollah-Mitglieder.

Gefangenenaustauch II?

Die Ereignisse der letzten Woche sind nahezu deckungsgleich zu denen vor einem Jahr. Anfang August 2003 wurde ein hoher Hisbollah-Vertreter in Beirut mit einer Autobombe in die Luft gejagt. An der Grenze zwischen Israel und dem Libanon schoss man hin- und her, israelische Kampfflugzeuge unternahmen mehrfach ihre "Warnflüge" über dem Libanon und Hisbollah legte leicht zu entdeckende Straßenminen auf israelisches Gebiet. Die Auseinandersetzungen und Drohgebärden beider Seiten waren Begleiterscheinungen der Verhandlungen über den Austausch von Gefangenen, die sich bis zum Januar 2004 hinzogen (Aufwertung der Hisbollah). Quasi "diplomatische Noten", die man sich überbrachte, um zu zeigen, dass man auch anders kann, wenn es denn sein muss. Das übliche Bedrohungsszenario, um die Kompromissbereitschaft der anderen Seite zu "fördern", was die Anzahl und die Auswahl der Gefangenen betraf.

Nun läuft seit geraumer Zeit die Phase II des Gefangenenaustauschs, der wieder einmal vom deutschen Bundeskanzleramt vermittelt wird. Es ist sicherlich nicht aus der Luft gegriffen auch diesmal wieder die blutigen Ereignisse in Verbindung mit den Verhandlungen zu bringen.

Vor knapp zwei Monaten meldeten arabische Zeitungen, dass die sterblichen Überreste von Ron Arad, dem Piloten, der in den 80er Jahren über dem Libanon abstürzte, im Besitz der Hisbollah sei. Arad, der bisher als verschollen galt, ist der Hauptgegenstand der neuen Verhandlungen. Seit Jahren versucht Israel vergeblich den Piloten, der als Nationalheld gefeiert wird, in die Heimat zurückzuführen. Er ist die Voraussetzung dafür, dass Samir Kantar, der wegen der Ermordung von vier Israelis 1979 zu 542 Jahren verurteilt wurde und vom ersten Austausch ausgeschlossen war, dieses Mal frei kommt.

Knochenproben von Ron Arad und von drei weiteren israelischen Soldaten sollen bereits vor Wochen zur DNA-Analyse nach Israel geliefert worden sein. Von einem Resultat war aber bisher nichts zu hören. Die Hisbollah verweigert jeden Kommentar, von der deutschen Botschaft in Beirut heißt es, "dass man selbst auf die Nachrichten aus den Zeitungen angewiesen ist", und von israelischer Seite gibt es dazu ebenfalls keinerlei Stellungnahmen. Absolutes Stillschweigen ist wie schon beim ersten Austausch oberstes Gebot auf allen Seiten.

Die gleichzeitig einsetzenden vereinzelten Kampfhandlungen an der israelisch-libanesischen Grenze bereits vor gut einem Monat und die Zuspitzung in den letzten Tagen sind ein Indiz dafür, dass die Verhandlungen laufen. Und offensichtlich gibt es wieder Differenzen zwischen beiden Parteien, die nicht am Verhandlungstisch geklärt werden.

Hassan Nasrallah, der Generalsekretär der Hisbollah, hatte unmittelbar nach dem ersten Austausch auf der Siegesfeier vor 8.000 Menschen erklärt, dass man in der zweiten Phase "noch viel mehr Gefangene" frei bekommen möchte. Im Januar waren gegen die sterblichen Überreste von vier Israelis insgesamt 430 Gefangene und 59 Leichen von getöteten "Widerstandskämpfern" ausgetauscht worden. Jetzt geht es aber nicht nur um drei weitere tote israelische Soldaten, sondern um den Piloten Ron Arad, dessen Rückkehr in Israel ein Medienspektakel auslösen und dem angekratzten Image des Ministerpräsidenten Ariel Sharon sehr gut tun würde.

Samir Kantar ist bestimmt nicht der einzige Gefangene in israelischer Haft, der Blut an den Händen hat und auf der Liste der Hisbollah steht. Man kann sicher sein, dass auf Nasrallahs Liste so bekannte Namen wie Marwan Barghouti stehen, palästinensischer Parlamentarier, der als Nachfolger Yassir Arafats galt und vor kurzem vom Bezirksgericht in Tel Aviv zu fünffacher lebenslanger Haft und extra 40 Jahren verurteilt worden war. Der Generalsekretär wird sich diesmal nicht mit ein paar hundert Gefangenen zufrieden geben, seine Liste wird die Tausendergrenze überschreiten. Über 7.000 Gefangene sitzen in Israels Gefängnissen, für Hisbollah alle Widerstandskämpfer, denen die Freiheit wiedergegeben werden muss. Hassan Nasrallah wird wie üblich aufs Ganze gehen. Maximalforderungen sind fester Bestandteil des Pragmatismus der Hisbollah. Abstriche kann man ja immer noch machen.