Hitlers getreue Diplomaten des Übergangs

Das Auswärtige Amt in der Wilhelm-Straße 76, von der Behrenstraße gesehen. Aufnahmejahr: 1927. Bild: Bundesarchiv. Lizenz: CC-BY-SA-3.0

Nach der Machtübernahme herrschte im Auswärtigen Amt bis 1937 eine unheimliche symbiotische Beziehung zwischen dem NS-Regime und den deutschen Diplomaten im In- und Ausland - von einer Ausnahme abgesehen

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Das Interesse an der Rolle des Auswärtigen Amtes im Nationalsozialismus hat nach der im Oktober 2010 veröffentlichten Studie Das Amt und die Vergangenheit einen ungeahnten Höhepunkt erreicht. In der 879 Seiten umfangreichen Publikation, die bereits nach wenigen Wochen vergriffen war, gelangt eine unabhängige Historikerkommission zu dem Schluß, dass das Ministerium weitaus stärker in den Holocaust verstrickt war als bislang angenommen. Das Medienecho war und ist enorm. Anlass genug, um einmal der Frage nachzugehen, warum sich bereits die alten Diplomaten der Weimarer Republik in der Übergangsphase zum „Dritten Reich“ von den Nationalsozialisten politisch instrumentalisieren ließen, weshalb ein größeres Revirement ausblieb und wer der unerschrockene deutsche Botschafter war, der als einziger hoher Diplomat aus Protest gegen das NS-Regime demissionierte.

Der Aufruf zur außenpolitischen Kontinuität erfolgte noch am Tag der so genannten Machtergreifung in Gestalt eines Rundschreibens. Am 30. Januar 1933 erhielten alle deutschen diplomatischen Missionen ein Telegramm, in dem die Gesandten und Botschafter der Auslandsvertretungen allesamt angewiesen wurden, wegen der Bildung des Kabinetts Hitler "auf bisherige Auslandskommentare beruhigend einzuwirken" und mit einer gezielten Sprachregelung darauf hinzuweisen, dass die Kontinuität in der deutschen Außenpolitik gewährleistet bleibe.

Tatsächlich blieb die Personalstruktur des Auswärtigen Amtes bis 1937 weitgehend unverändert, während der strukturelle sofortige innenpolitische Bruch zu Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft offenkundig war (der gerade auf personeller Ebene sehr starke Veränderungen nach sich zog). Im Außenressort blieb der erwartete große Umbruch vorerst aus. Von 1933 bis 1938 schickte Hitler nur knapp sechs Prozent der Spitzendiplomaten aus politischen Gründen vorzeitig in den Ruhestand.

Zwischen Duldung und Abhängigkeit

Anstatt die Behörde also zu infiltrieren, legte Hitler den politischen Schwerpunkt auf die innenpolitische Konsolidierung des Reiches (Gleichschaltung). Sie hatte absoluten Vorrang. Langfristig gesehen war zwar ein großes Revirement zugunsten nationalsozialistisch gesinnter Diplomaten und eine Dezentralisierung der Außenbehörde vorgesehen – umgesetzt wurde diese aber erst ganz bewusst und gezielt nach 1937. Bis auf die Eingliederung eines nationalsozialistischen Vertrauensmannes in die Personalabteilung blieb innerhalb des Auswärtigen Amtes faktisch alles beim Alten. Dies erfolgte aus gutem Grund: Da die NSDAP anfangs noch nicht mit qualifiziertem, außenpolitisch geschultem Fachpersonal aufwarten konnte, das eine wirkliche Alternative zu den amtierenden Spitzendiplomaten gewesen wäre, büßte das Auswärtige Amt in der Wilhelmstraße 76 vorerst nicht an Homogenität ein.

Bereits im Dezember 1932 konzedierte Hitler, dass die nationalsozialistische Partei zwar über vier Auslandsabteilungen verfüge, von denen aber keine wisse, was die andere treibe. Kurz nach der Machtübernahme überraschte er mit dem freimütigen Geständnis, auf dem außenpolitischen Parkett unbewandert zu sein und über kein ausreichend ausgebildetes Personal zu verfügen, das auf diesem Sektor den nötigen Sachverstand mitbringe. Kein Wunder also, dass er das außenpolitische Verhandlungsfeld den erfahrenen, angesehenen Diplomaten überließ, die, solange sie die Revision des Versailler Vertrages vorantrieben, fürs erste geduldet wurden. Die Beschlagenheit und langjährig aufgebauten Kontakte der Auslandsvertreter würden dem Regime im Ausland gebührenden Kredit verschaffen, seine Reputation erhöhen und vor allem die Appeasement-Illusion nähren, so Hitlers Überlegung.

Das Auswärtige Amt im Jahr 1927 aus einer anderen Perspektive. Bild: Bundesarchiv. Lizenz: CC-BY-SA-3.0

Politik des Abwartens und Durchhaltens

Auch wenn die neue Regierung anfangs darum bemüht war, den demokratischen Schein zu wahren und die alten Gesandten und Botschafter mit Samthandschuhen anfasste, war Hitlers Aversion gegen die traditionelle Diplomatie ausgesprochen tiefgreifend. Bei einem seiner bekannten Tischgespräche charakterisierte er die diplomatischen Vertreter in Genf als „Gruppe von Nichtstuern“, deren Lebensinhalt sich „im pünktlichem Abkassieren von Diäten, im guten Essen und in der freien Liebe“ erfülle. Er entwickelte gegen alle „Karrierediplomaten“ Hassgefühle, bezeichnete sie gelegentlich als „Weihnachtsmänner in der Wilhelmstraße“ und drohte darüber hinaus sogar an, er ein paar dieser „Verschwörer“ hinter Schloss und Riegel bringen zu wollen.

Dass sich an der Personalstruktur des Auswärtigen Amtes bis 1937 dennoch herzlich wenig änderte, lag auch an den Diplomaten selbst, die ihrerseits keine Konsequenzen zogen und davon absahen, gemeinsam zu opponieren oder ihren Dienst frühzeitig zu quittieren. Stattdessen verharrte die Mehrheit der Beamten des Auswärtigen Amtes in einer ungewohnt passiven Rolle, als gegen das Regime aufzubegehren. Man praktizierte eine Politik des Abwartens und des Durchhaltens und verblieb im Amt, um Schlimmeres zu verhüten, manchmal aber einfach auch nur, weil man seinen guten Posten nicht verlieren wollte. Andere wiederum glaubten in völliger Verkennung der nationalsozialistischen Dynamik ernsthaft an einen baldigen Zusammenbruch des ungeliebten Regimes. Der deutsche Botschafter in Paris etwa, Leopold von Hoesch, ging nur von einer vorübergehenden Kanzlerschaft Hitlers aus. Noch am 19. Januar 1933 wagte der Staatssekretär des Auswärtigen Amtes, Bernhard Wilhelm von Bülow die Prognose, dass die NSDAP einen „baldigen Zusammenbruch“ erleiden wird. Andere wiederum hofften auf eine effektive Abschirmungspolitik durch Außenminister Konstantin Freiherr von Neurath und seinem Staatssekretär. Beiden traute man zu, allzu radikale Einflüsse vom Außenressort fernzuhalten.

Bewahrer alter Tugenden

Sowenig das Auswärtige Amt unter Hitlers Diktatur eine Stätte der Opposition war, sowenig waren die meisten hohen Beamten dieser Behörde bis 1937 parteinahe oder überzeugte Nationalsozialisten. Denn die Mehrheit der höheren Staatsbediensteten, die eine weitgehend homogene und recht exklusive Gemeinschaft Gleichgesinnter bildete, rekrutierte sich in erster Linie aus Adels- und Offiziersfamilien, die schon allein aus traditionellen Gründen und Standesdünkel dem Regime und dem Auftreten ihrer Protagonisten keine Sympathien entgegenbringen konnten und wollten. Der Devise und Maxime folgend, dass man sein Land nicht im Stich lassen dürfe, nur weil es eine schlechte Regierung habe, ordneten sich viele deutsche Diplomaten dem Hitler‘schen Kontinuitätskonzept pro forma unter, ohne jedoch der nationalsozialistischen Ideologie und Politik übermäßig viel Sympathie entgegengebracht zu haben. So traten von den damals zirka 430 im höheren Dienst tätigen Beamten des Auswärtigen Amtes bis Ende 1933 nur etwa 60 der NSDAP bei.

Da deren Weltbild monarchistisch und obrigkeitsstaatlich geprägt war, bestimmten Tugenden wie Loyalität, Pflichtbewusstsein und „Vaterlandsliebe“ ihr Denken und Handeln. Offener Protest und Auflehnung gegen Hitler und sein Regime konnten daher vom Auswärtigen Amt kaum erwartet werden, zumal sich das Gros der Diplomaten an das ungeschriebene Gesetz hielt, die Politik eines Reichskanzlers von Amts wegen nicht zu kritisieren.

Friedrich von Prittwitz und Gaffron (1884-1955). Als Botschaftsrat in Rom erlebte Prittwitz von 1921 bis 1927 die aufblühende Diktatur im faschistischem Italien aus nächster Nähe mit, die seine Einstellung zum Nationalsozialismus maßgeblich prägte. Bild: Bundesarchiv. Lizenz: CC-BY-SA-3.0

Rücktritt als Unikum

Dass all diese Gründe keine Entschuldigung waren, dass man sich nicht zwangsläufig seinem Schicksal ergeben oder sich aus opportunistischen Gründen mit dem Regime arrangieren musste, demonstrierte der deutsche Diplomat Friedrich Wilhelm von Prittwitz und Gaffron. Er reagierte aus politischen und moralischen Gründen auf die nationalsozialistische Machtübernahme und trat vorzeitig von seinem Botschafteramt zurück. Prittwitz und Gaffrons Ausscheiden war insofern spektakulär, weil er als Missionschefs von Washington, D. C. seit 1927 im Reich eine diplomatische Schlüsselstellung innehatte und fraglos zu den wichtigsten deutschen Spitzenbeamten zählte.

Beeinflusst von dem amerikanische republikanisch-demokratischen System und von der freiheitlichen Denk- und Lebensweise in den USA, musste er aus der Vogelperspektive mit ansehen, wie der Radikalismus in Deutschland eskalierte und sich die NSDAP langsam in der Parteienlandschaft etablierte. Auch wenn aus zahlreichen Briefen, Gesprächen und Unterredungen hervorgeht, dass Prittwitz seit 1930 sowohl seine Freunde als auch das Auswärtige Amt kontinuierlich vor dem Erstarken der nationalsozialistischen Bewegung warnte, nahm er nicht den Tag der „Machtergreifung“, sondern erst das Ergebnis der Reichstagswahlen vom 5. März 1933 zum Anlass, um seinen schon längst feststehenden Entschluss publik zu machen.

Die damalige deutsche Botschaft in Washington, D.C. Bild: National Photo Company/Libray of Congress

Bereits Anfang Februar 1933 weihte er den amerikanischen Undersecretary of State, William Richards Castle, den Stellvertreter des US-Außenministers, darin ein, dass er vorzeitig demissionieren wolle, falls die NSDAP bei den Wahlen am 5. März die absolute Mehrheit der Stimmen erhalten sollte. Ausgerechnet seinen ehemaligen langjährigen Mitarbeiter in Rom, den befreundeten Reichsminister des Äußeren von Neurath, mit dem Prittwitz keine außenpolitischen Differenzen hatte, musste er von seinem beabsichtigten Schritt als ersten in Kenntnis setzen. Dem sichtlich konsternierten Außenminister eröffnete der Botschafter, dass er wegen der „innenpolitischen Entscheidung“ in Deutschland von seinem Botschafteramt zurücktreten werde. Tags darauf antwortete von Neurath und gab zu verstehen, dass er mit dem Vortrag beim Reichspräsidenten so lange warten werde, bis ein passender Moment gefunden sei.

Botschafter Prittwitz und Gaffron (links) und Oscar von Miller. Aufnahme vom 12.12.1929. Bild: National Photo Company/Libray of Congress

In Washington, D.C. verfasste Prittwitz am 11. März 1933 dann das eigentliche Rücktrittsschreiben, in dem explizit seinen Standpunkt darlegte. Über fünf Jahre habe er die "deutsche Sache" in den Vereinigten Staaten nach bestem Können und Gewissen vertreten und niemals Sonderinteressen irgendwelcher Art in den Vordergrund gestellt, niemals einen Hehl aus seiner allgemeinpolitischen Einstellung gemacht, die freiheitlicher und republikanischer Natur sind. Er habe sich an dem politischen Wiederaufbau in dem Geiste betätigt, der nach Ansicht führender Mitglieder der jetzigen Reichsregierung zu verurteilen ist. Dann aber folgt der entscheidende Satz, in dem Prittwitz zwei abstrakte Gründe für seinen Rücktritt festhält:

Sowohl aus Gründen des persönlichen Anstandes wie solchen der sachlichen Aufgaben kann ich daher hier nicht mehr mit Erfolg wirken.

Gleichwohl geht Prittwitz in diesem Schreiben nicht näher darauf ein, was die Gründe des "persönlichen Anstandes" und die der "sachlichen Aufgaben" im Einzelnen für ihn en detail bedeuteten.

Relativ unbekanntes Bild von Reichspräsident Paul von Hindenburg, der Prittwitz‘ Rücktritt ohne Umschweife akzeptierte. Bild: National Photo Company/Libray of Congress

Visite bei Hitler

Gewiss hat von Neurath die Zeilen des befreundeten Botschafters mit Bitterkeit zur Kenntnis genommen, wusste er doch nur zu gut, dass dieser in den USA zu den angesehensten Diplomaten zählte und dass der Zeitpunkt seines Abganges darüber hinaus nicht ungelegener sein konnte. Nun lag es am Reichspräsidenten, ob er dem Ersuchen Prittwitz' nachgeben oder ob er dessen Demissionsofferte zurückweisen würde. Im Falle eines ablehnenden Bescheids hätte er wohl oder übel noch für einige Zeit in Washington, D. C. fungieren müssen. Darüber war sich der Missionschef im Klaren, der über den Ausgang seiner Entscheidung selbst nur mutmaßen konnte. Schon am folgenden Tag setzte von Neurath seinen Freund per Kabel über Hindenburgs Zustimmung in Kenntnis.

Nach seinem Wiedereintreffen in Deutschland wurde Prittwitz zwar bei Außenminister von Neurath zwecks eines „freundschaftlichen Abschiedsgesuchs“ vorstellig, doch die bei solchen Gelegenheiten übliche persönliche Abmeldung beim deutschen Staatsoberhaupt kam auf dessen Wunsch nicht zustande. Zu seinem Erstaunen zitierte ihn aber Hitler in die Reichskanzlei. Hierbei kam es zu der ausgesprochen delikaten Situation, dass Prittwitz von Hitler in der Reichskanzlei persönlich verabschiedet wurde. In seinen Memoiren „Zwischen Petersburg und Washington. Ein Diplomatenleben“ (1952) notierte der promovierte Jurist und Botschafter:

Hitler [...] empfing mich in Zivil. Er begrüßte mich mit den Worten: ‚Sie haben eine schwere Zeit in Amerika hinter sich!‘ Ich konnte dies – allerdings in einem anderen Sinne, als mein Gegenüber es wohl meinte – nur bestätigen [...].

Als Prittwitz‘ Amt als Botschafter in Washington, D.C. am 14. April 1933 offiziell endete und er wieder nach Deutschland übersiedelte, sah er sich weder politischen Verfolgungen noch irgendwelchen Repressalien gegenüber. Sogar die Tatsache, dass er als Botschafter aus Protest gegen das Hitler-Regime die Hakenkreuzfahne an der Washingtoner Botschaft nie gehißt hatte, wurde stillschweigend übergangen und hatte kein Nachspiel. Selbst die agitatorische Presse der NSDAP, die ihn schon Monate zuvor heftig angegriffen hatte, hielt sich kurz vor und nach Prittwitz' Demission bemerkenswerterweise mit scharfer Kritik zurück. Im nationalsozialistischen Kampfblatt Völkischer Beobachter wurde Prittwitz‘ Rücktritt mit keinem Wort kommentiert.

Adolf Hitler in Zivilkleidung auf seinen Schreibtisch in der Reichskanzlei sitzend, den er selten nutzte. Das Porträt wurde zwischen 1933 und 1939 aufgenommen. Bild: Bundesarchiv. Lizenz: CC-BY-SA-3.0

Letzten Endes blieb aber sein einsamer Ruf gegen die aufkeimende Diktatur des Nationalsozialismus ohne Echo. Keine Kettenreaktion folgte, die weitere spektakuläre Rücktritte von anderer Spitzendiplomaten nach sich gezogen hätte. Kein weiterer Botschafter oder Gesandter, kein anderer hoher Beamter des Auswärtigen Dienstes reichte während der 12-jährigen Diktatur in Deutschland seine vorzeitige Demission als unmittelbares Votum gegen das NS-Regime ein.

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