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Homeoffice zerstört soziales Gefüge

Homeoffice: Keine Integration ins Team, dafür Kinder im Büro – das ist die Realität zahlreiche Betroffene. Bild: Pixabay

Nach gut einem Jahr Corona-Pandemie werden die negativen Folgen der Virtualisierung sichtbar

Zu Beginn der Covid-19-Pandemie war die Begeisterung für technische Lösungen groß. Schulunterricht online, Besprechungen virtuell oder Homeoffice zeigten Zukunftsperspektiven auf. Inzwischen werden immer mehr skeptische Töne laut.

So haben kritische Aktionäre festgestellt, dass Unternehmen virtuelle Treffen als Machtmittel für sich nutzen. "Die Konzerne übertragen die Hauptversammlung zwar online, aber wir können uns dort nicht wie vor Corona mit Redebeiträgen zu Wort melden", kritisiert Markus Dufner [1], Geschäftsführer des Dachverbandes der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre. Denn Fragen müssen einen Tag vorab eingereicht werden, spontanes Fragen der Vorstände entfällt. Aktionärstreffen verkommen so zu einer "reinen Roadshow" der Konzerne, so Dufner.

Veränderungen betreffen auch Interessenvertreter in den Betrieben. Seit Ausbruch der Pandemie ruft Bundeskanzlerin Merkel dazu auf, Sozialkontakte zu vermeiden. Das ist schwer für ein Gremium, das ohne diese Kontakte gar nicht arbeiten kann - den Betriebsrat.

Ein Betriebsrat muss Informationen von den Beschäftigten erhalten, muss auch mit der Belegschaft Themen diskutieren können. Er sollte auch durch einen Betriebsrundgang - vom Bundesarbeitsgericht "Betriebsbegehung" genannt - vor Ort prüfen, wie Gesetze etwa zum Arbeitsschutz eingehalten werden.

Der Kontakt zu den Beschäftigten kann heute dank neuer Technik auch anders organisiert werden, wenngleich eine Betriebsversammlung oder ein persönliches Gespräch niemals durch WhatsApp-Nachrichten ersetzt werden kann. In schwierigen Zeiten der Kontaktvermeidung ist dies aber eine Notlösung, mit der viele Betriebsräte arbeiten.

Durch Corona finden Gewerkschaftssitzungen oder Konferenzen häufig virtuell statt, damit auch unter Pandemie-Bedingungen ein Austausch möglich. Dies habe jedoch "Auswirkungen auf die betrieblichen, tariflichen und politischen Auseinandersetzungen der Gewerkschaften", berichtet Birgit Ladwig, Sekretärin des Gewerkschaftsrats bei ver.di [2].

Erschwerte Kontakte zu Kolleginnen und Kollegen

Moderne Technik erleichtert zwar die Kommunikation, stehe "aber auch zwischen den Menschen". Denn "Kommunikation und Macht haben eine starke körperliche Seite". In Gewerkschaftsitzungen über Strategien zu diskutieren, erfordert gegenseitiges Vertrauen. Erst nach längerer Zeit bilden sich "starke kollegiale Beziehungen, es wächst Vertrauen", so Ladwig.

"Der direkte Austausch ist enorm wichtig, um gewerkschaftliche Strategien zu entwickeln, die in Konfliktsituationen unter Druck einer Gegenseite Bestand haben". Mit Technik kann "manipuliert" werden, indem Reaktionen der Diskussionsteilnehmer ignoriert wird oder die Konzentration nach mehrstündigen "Auf-den-Bildschirm-Starren" nachlässt.

Bei Präsenzveranstaltungen sieht es anders aus, es können "mehr Varianten des Sprechens und Zuhörens und nonverbaler Kommunikation" genutzt werden, erläutert Ladwig. Auch neue Sitzungsteilnehmer können sich so besser und umfassender bekannt machen. Vieles wird in Pausen weiter diskutiert, um in Sitzungen dann konkrete Absprachen treffen zu können.

Aber neben der internen Gremienarbeit spielt das Ansprechen der Mitglieder und das Agieren in der Öffentlichkeit eine besondere Rolle für die Gewerkschaften. Online-Petitionen sind eine einfache Möglichkeit, Aufmerksamkeit zu erzeugen, beindrucken Arbeitgeberverbände bei Tarifverhandlungen aber kaum. Demonstrationen und Streikaktionen haben nicht nur den Unternehmern gegenüber eine Wirkung, sondern sorgen für Aufsehen bei Passanten, für die "keine Verabredungen oder Einladungen nötig" sind, so die Gewerkschafterin.

"Hilfe, Unterstützung und Kampf hat tatsächlich etwas mit physischer Nähe und Beistehen zu tun. Deshalb müssen sich Gewerkschaftsmitglieder real begegnen, um sich einander zu vergewissern", warnt Ladwig.

Ähnlich sieht es in den Betrieben bei der Arbeitsorganisation aus. "Wenn Du die Belegschaft fragst, dann sind 80 Prozent für Homeoffice", berichtet ein Betriebsrat aus der Versicherungsbranche. Aber das Arbeiten zu Hause mache "ein soziales Gefüge kaputt. Teamarbeit oder so über Telefon, das ist nicht zu organisieren, das kann mir erzählen, wer will".

Keine Teamarbeit im Heimbüro

Aber Teamarbeit, "das funktioniert nicht im Homeoffice", konstatieren Richard Detje und Dieter Sauer in ihrem Buch [3] Corona-Krise im Betrieb: Empirische Erfahrungen aus Industrie und Dienstleistungen (Seite 93). Gleichzeitig fehlt 75 Prozent der Befragten im Homeoffice der direkte Kontakt zu Kollegen, berichtet Wolfgang Schroeder, Professor an der Universität Kassel [4].

Bereits vor Ausbruch der Pandemie forderten die Gewerkschaften eine gesetzliche Regelung. "DGB fordert Recht auf Arbeit von zu Hause", titelte damals etwas die Wochenzeitung Die Zeit [5]. Für den DGB scheint "Homeoffice" ein Thema zu sein, um sich als moderne Organisationen zeigen zu können. Inzwischen zeigen Erfahrungen der Beschäftigten vor Ort jedoch die Schwierigkeiten auf. Eine Abgrenzung zwischen Privatleben und Arbeit, die ständige Erreichbarkeit belastet viele der modernen Heimarbeiter.

Kaum beachtet wird die "gefährdete soziale Dimension von Arbeit", verweist Arbeitsforscher Wolfgang Schroeder auf die Risiken der Arbeit zu Hause. "Persönliche Interaktionen und Zusammenarbeit sowie Begegnungsorte werden reduziert oder drohen ganz zu verschwinden". Gewerkschaften, die auf den direkten Kontakt mit den Beschäftigten besonders angewiesen sind, könnten in der neuen Homeoffice-Arbeitswelt außen vor bleiben.

Die "epochale Transformation der Arbeitswelt, die mobiles Arbeiten mit sich bringt", werde immer noch unterschätzt. Schröder sieht dies als "Sargnagel für die Gewerkschaften", denn "sowohl die Rekrutierung von Mitgliedern wie auch die Aktivierung von Beschäftigten ist an gemeinsame Erfahrungen und Orte gebunden". Regelungen etwa um Arbeitsschutz wandern "aus der Vor-Ort-Sphäre des Betriebs in die Unsichtbarkeit", befürchtet Schröder.

Selbst der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann warnt inzwischen vor einem neuen "digitales Proletariat"

Die Unternehmen denken schon weiter. Die Arbeitenden sitzen zu Hause, kein Vorgesetzter kann dem Telearbeiter über die Schulter blicken, um zu kontrollieren. Führung erfolgt über Distanz, ähnlich System des Crowd-Working, bei dem eine Menge an Menschen, die "Crowd", Aufträge übernimmt, die per Internetplattform verteilt werden.

Nach dieser Logik können Unternehmen auch die Frage stellen, warum Beschäftigte im Homeoffice, die gar keine Arbeitsstätte im Betrieb mehr haben und denen auch keine Arbeitsmittel mehr gestellt werden, nicht gleich als Selbständige eingesetzt werden.

Den "Verlust langfristiger Arbeitsverhältnisse" prophezeit Swen Schneider. "Die Ausweitung des Homeoffice als Arbeitsmodell in und nach der Corona-Krise beschleunigt den Wandel" Richtung Crowd-Working, sieht Schneider ihre Chance jetzt gekommen [6].

Marcus Schwarzbach ist Berater für Betriebsräte in Kassel.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-6033784

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.neues-deutschland.de/artikel/1151320.kritische-aktionaere-in-zukunft-immer-online.html
[2] http://www.dgb.de/++co++e988f1b8-8e17-11eb-85d9-001a4a160123
[3] https://www.vsa-verlag.de/nc/buecher/detail/artikel/corona-krise-im-betrieb/
[4] https://bibliothek.wzb.eu/artikel/2020/f-23522.pdf
[5] http://www.zeit.de/wirtschaft/2018-04/homeoffice-arbeitnehmer-recht-dgb-annelie-buntenbach
[6] http://www.haufe.de/personal/hr-management/homeoffice-beschleunigt-wandel-zur-gig-economy_80_530822.html