Huch, ich bin ja religiös

Der "Religionsmonitor" von Bertelsmann zeigt Erschreckendes: So mancher bekennende Atheist ist anscheinend doch religiös. Kein Wunder - bei den Fragen

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Es gibt Fragen, die gerade jetzt, da es auf Weihnachten zugeht, doch eigentlich jeden beschäftigen. Sollte ich die Tür zum Serverraum öffnen?, Wird die Musikindustrie mit dem FBI zusammenarbeiten?, Wird Brigitte Zypries jemals darauf antworten, warum sie informationelle Selbstbestimmung und Auskunftsrecht verwechselt?, Wird das Klima für Raucher rauer?. Und natürlich die Frage aller Fragen: Bin ich religiös? Rettung naht hier in Form des Religionsmonitors, mit dem sich nun alle Internetnutzer ihr "ganz persönliches Religiositätsprofil" erstellen können (Die Deutschen: 70 Prozent religiös, 28 Prozent sogar "hochreligiös").

Sollen sich Ausländer anpassen?

Doch vor die Erkenntnis hat der liebe Gott... pardon, Bertelsmann, natürlich ein paar Hürden geschaffen. Denn zunächst heißt es, der lieben Statistik zur Hand zu gehen, welch Glück, dass die Umfrage immerhin anonym ist. Gehört man einer Religionsgemeinschaft an und wie wichtig sind mir der Partner, Politik oder Familie? Hat man diese Hürde geschafft, wird es schon ein wenig intimer: Waren denn Vater und Mutter präsent, als man sich durch die schwere Zeit zwischen dem 6. und 12. Lebensjahr hangelte? Schon kurz danach begegnet man dem ersten Mix aus Spiritualität und Religion, aber wer wird denn hier so genau sein? Eine Frage wie „Nehmen Sie an religiösen Handlungen oder spirituellen Handlungen teil?“ lässt eben einfach mehr Bandbreite zu.

Auch andere Fragen lassen einen manchmal verwirrt den Kopf schütteln – hier wäre dann wohl göttliche oder spirituelle Hilfe gefragt. Was die Frage, ob man der Meinung ist, Ausländer sollten sich an den vorherrschenden Lebensstil im Gastland anpassen, mit Religion zu tun hat, wird wohl manchem ähnlich verborgen bleiben wie die Frage, inwiefern man sich über Religion informieren möchte. Und ob man sich irgendwann mit allem eins fühlte, lässt manche spöttisch kommentieren, dass dies der Fall wäre, allerdings durch Zuhilfenahme anderer Drogen als Religion.

Hat man sich also durch manche verzwickte Frage gequält (und vielleicht in dem Moment dann die Ansicht über Gott geändert und ihn gefragt, warum eine solche Umfrage überhaupt gemacht wird und was die Fragen eigentlich bedeuten sollen), wird zum zweiten Mal Statistik: Alter, Geschlecht, Kinder oder nicht, Personenstand... abgefragt, um dann zum Endergebnis, presented by Bertelsmann, zu kommen. Dieses Endergebnis erreicht man, obgleich der Fortschrittsbalken irritierenderweise bei 97% stehen bleibt. Das lässt einen überlegen, ob hier vielleicht durch Einwirkung von Dämonen oder Engeln (denn auch der Glaube an diese wurde abgefragt) 3% der Fragen fehlen.

Gelebte Religiosität 2,5

Aber vielleicht sind eben diese 97% ganz beruhigend, lassen sie mich doch noch darauf hoffen, dass sich durch die fehlenden Fragen mein Ergebnis verändert hätte und ich nicht plötzlich, trotz der Tatsache, dass ich weder bete, an religiösen Handlungen teilnehme, an Gottes Einfluss auf mein Leben glaube und sonst, abgesehen vom allgemeinen Interesse an Informationen über Religion, irgendeinen Anschein erweckte, dass mir diese wichtig ist, plötzlich vor einem Wert bezüglich der gelebten Religiosität von fast 2,5 stehe (Durchschnitt in der Schweiz: etwas über 3). Die Skala reicht bis zum Wert 5, besonders wichtig. Aber etwas erleichtert mich: Wenn ich die Sache mit den spirituellen Handlungen einfach streiche, sinkt der Wert. Das lässt hoffen. Und siehe da – noch einmal das Interesse an der Religion etwas abgesenkt und ich bin bei einer gelebten Religiosität von ca. 1 (eher unwichtig). Übrigens bedeutet gelebte Religiosität nicht etwa, dass die Religion beim Leben allgemein eine große Rolle spielt, sondern sie setzt sich aus den 7 Kernbereichen von Bereich 1 zusammen:

  1. Interesse: Wie sehr interessiere ich mich für religiöse Themen und Fragen?
  2. Glaube: Wie stark glaube ich an Gott oder etwas Göttliches?
  3. Öffentliche Praxis: Wie oft bringe ich meine Religiosität in Gemeinschaft mit Anderen zum Ausdruck?
  4. Gebet: Wie wichtig ist für mich das Gebet?
  5. Du-Erfahrung: Wie oft mache ich Erfahrungen mit einem göttlichen "Gegenüber"?
  6. Meditation: Wie wichtig ist für mich Meditation?
  7. All-Erfahrung: Wie oft mache ich die Erfahrung mit allem Eins zu sein?

Meditation bildet also eine Kerndimension der Religiosität des Menschen. Hier werden Meditation, Gebet und Spiritualität munter miteinander verquirlt, und wenn man ein paar Mal diese Umfrage macht hat und nur kleine Dinge verändert, kann man belustigt betrachten, wie sich dann Werte verändern, mit denen man gar nicht gerechnet hat.