Human Rights Watch beklagt Inhaftierung irakischer Flüchtlinge im Libanon

Mit den Festnahmen ohne zeitliche Begrenzung sollen die Flüchtlinge zur Rückkehr in ihre Heimat bewegt werden

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Die irakische Regierung vermeldete unlängst stolz, dass im Oktober 46.000 Flüchtlinge nach Bagdad zurückgekommen seien – viele davon aus Syrien, Jordanien und dem Libanon. Begründet wurde die Rückwanderung mit dem Nachlassen der Gewalt im Land. Allerdings scheint es auch andere Gründe zu geben: Syrien etwa verschärfte in diesem Monat deutlich seine Visabestimmungen und der Libanon inhaftiert einem Bericht von Human Rights Watch zufolge Iraker ohne gültiges Visum, um sie zu einer Rückkehr in ihre Heimat zu bewegen.

Bevölkerungsgruppen im Libanon

In dem Bericht "Rot Here or Die There: Bleak Choices for Iraqi Refugees in Lebanon" wird geschildert, dass illegal eingereiste Flüchtlinge aus dem von internationalen Truppen unter Führung der USA besetzten Land so lange in Beugehaft genommen wurden, bis sie einer Rückkehr zustimmten. Unterzeichneten sie eine Erklärung über ihre Bereitschaft dazu, wurden sie direkt zum Flughafen verbracht und in den Irak geflogen.

Allerdings wurde, wie Human Rights Watch einräumt, nur eine "relative geringe Anzahl" der insgesamt etwa 50.000 irakischen Flüchtlinge im Libanon festgenommen und inhaftiert. Die Organisation spricht von rund 580. Diese Festnahmen hätten jedoch große Angst bei den anderen im Libanon lebenden Irakern ausgelöst, die sich in "Ausbeutung und Misshandlung durch Arbeitgeber und Vermieter" niederschlagen würde. Betroffen sind nur solche Iraker, die illegal in den Libanon eingereist sind oder deren Visum abgelaufen ist. Im Gegensatz zu Syrien kontrollierte der Libanon die Einreise von Irakern bereits vor dem Oktober 2007, weshalb die meisten von ihnen durch Schlepperbanden ins Land gebracht wurden. Viele nach Syrien geflüchtete Iraker zieht es in den Libanon, weil die Löhne dort erheblich höher sind.

Weil die irakischen Flüchtlinge nicht in gesonderten Gefängnissen, sondern zusammen mit Kriminellen eingesperrt werden, sahen sie Leben und Gesundheit dort teilweise stärker bedroht als in ihrer Heimat. Eine möglicherweise trügerische Wahrnehmung: Unter anderem schildert der Bericht den Fall einer irakischen Familie, die nach ihrer Festnahme in den Irak zurückkehrte, dort aber bald Opfer einer Entführung wurde und nach der Lösegeldzahlung eine erneute Flucht in den Zedernstaat dem Leben im Zweistromland vorzog.

Hintergrund der Politik des Libanon, der die UN-Flüchtlingskonvention nicht unterzeichnet hat, sind nach Angaben des Human-Rights-Watch-Sprechers Nadim Houry unter anderem Erfahrungen mit den palästinensischen Flüchtlingen und ihrer Rolle beim Ausbruch des Bürgerkrieges, der das Land 1975 in ein 15 Jahre währendes Chaos stürzte. Von den politischen Kräften dort zeigt derzeit niemand großes öffentliches Interesse, das fragile Gleichgewicht durch eine Änderung der religiösen Zusammensetzung der Bevölkerung zu gefährden.

Laut UNHCR sind 50 bis 60 % der im Libanon lebenden Iraker Schiiten. Viele davon kamen bereits vor 2003 ins Land - auch weil sie in religiöser Opposition zu Saddam Hussein standen. Sie leben zumeist in den Vorstädten Beiruts, die von den Anhängern ihrer Religion dominiert werden. Christen sind unter den Flüchtlingen zwar eine zahlenmäßige Minderheit, gemessen an ihrem dreiprozentigen Bevölkerungsanteil im Heimatland jedoch mit 20 Prozent der in den Libanon geflohenen Iraker stark überrepräsentiert.

Im Gegensatz zu den Schiiten und Sunniten gibt es für sie im Irak keine innerstaatlichen Fluchtalternativen, in denen sie sicher wären. Stadtviertel wie Daura, die früher einen starken christlichen Bevölkerungsanteil aufwiesen, fielen der Aufteilung Bagdads zwischen Schiiten und Sunniten zum Opfer.

Viele der aus Daura vertriebenen Assyrer flüchteten in den Libanon, der von der französischen Mandatsmacht ehemals als christlich-arabischer Staat geplant war. Rechnet man die christlichen Konfessionen, die zusammen auf etwa 40 % der Bevölkerung geschätzt werden, getrennt, dann stellen dort mittlerweile die Schiiten mit 35 % die relative Mehrheit.