IO_Dencies von Knowbotic Research

Eine Canon ARTLAB Ausstellung in der Hillside Plaza, Tokyo

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Knowbotic Research aus Köln zeigen IO_Dencies im Canon ARTLAB in Tokyo. Den Ausgangspunkt bildet eine archäologischen Ausgrabungsstätte inmitten Tokyos. Gesammelte Informationsströme über diesen Stadtraum und User-Interaktionen sollen zu einem neuen Nachdenken über Urbanität führen. Knowbotics stecken High-Tech, eigene Software-Entwicklung und ausgefeilte Interface-Technik in ihre Projekte. Der Ausstellungsraum wird zur Useroberfläche. Krystian Woznicki tastet sich vorsichtig heran.

Betrete die Forschung

Die anatomische Geschlossenheit von einem Eishockeypuck; die Ausmasse von einem aufblasbaren Schwimmbecken; die Höhe in etwa Michael: gross. Zu denken gibt diese architektonische Kargheit auch tagsüber. Doch jetzt ist es dunkel. Die Nacht über Tokio, verhangen, sternenlos. Es ist Oktober, der dritte. Einige Minuten vor 7 Uhr. Wir befinden uns vor einem auf der karthographischen Übersicht der Hillside Terrace Anlagen (namentlich) nicht benannten 'Gebäude', dem Hillside Plaza; auf dem Weg zur Ausstellungseröffnung von Knowbotic Research.

Architekturschema der Anlage (aus dem IO_Dencies Web Archiv)

Gleich rechts neben der geöffneten Tür sind willkommende Informationen zu finden. [i]IO_Dencies[i] heisst die Ausstellung, der Untertitel: Questioning Urbanity. Am Rand, doch keineswegs zu übersehen, ist die URL angebracht.

Etliche Treppenstufen führen hinab. Hat man den Namen gelassen, wird ein zweiter Eingang passiert, ein abgedunkelter, balkonartiger Raum voller Geschäftigkeit betreten. Hartumkämpft, belagert, bedient, stehen drei, auf die (ich nenn's jetzt mal) Arena, ausgerichtete Terminals am rechten Rand. Seitlich Schaulustige, säumen das Geländer; wortlos, mit Blick nach unten.

Der für die technische Realisierung verantwortliche Computerwissenschaftler Detlev Schwabe gibt uns eine knappe doch informative Einführung; hat die Ruhe Überhörtes zu wiederholen. Wie meinen? Unvermittelt setzen zirrpende Guerilla-Klangwandverdichtungen ein. Stroboskopische Lichtblitze durchfluten die Arena. Es fehlen nur noch die Nebelschwaden. Und schon geht es weiter. Eine aufgezogene Videoleinwand, die ein Terminalmonitorbild projiziert. Graue Ikonen, Pfeilvariationen, gewunden. Käulenförmig, geometrisch-glattrasiert, [i]die[i] Arenafläche hier in Miniaturform reproduziert, um die sich Datenströme ranken. n Daneben ein weiterer (Grenz)Übergang; Assistenz steht in Empfangsstellung. Auch hier kommt man nicht ohne Registration weiter. Wartelistengefüllte Augenblicke vergehen. Nachdem ein Trupp von "Usern" wieder hochkommt, wird eine limitierte Anzahl von kleinen Monitoren neu vergeben. Zeit für die nächste Generation.

Treppenstufen führen an einer flackernden Videoprojektionsfläche zu unserer Linken hinab. Stadtlandlandschaften tauchen auf und weg, übersät mit Einblendungen von Wort-Meldungen: typographisch. Schriftverkehr setzt sich auf dem Boden der Arena fort. Diese ist sauber umgrenzt von Stellwänden; aus (semitransparentem)Plastik; in kühles Blau getaucht.

Die Monitore wie einen Feldkompass vor sich hertragend, die Antenne aufrecht, wird vorsichtig das Areal vermessen. Die Blicke hier gespannt, konzentriert, nicht ohne Irritation. Suchend, in Erwartungshaltung.

ARTLAB: Dabei sein war alles

Netzwerkkunst im Bunkerbau. Eine Tatsache, die man nicht ohne Ironie zur Kenntnis nehmen kann. Der Grossteil der Kommunikationsinfrastruktur in Japan ist oberirdisch gelegen. Die Städte quillen bekanntlich über vor Kabelleitungen...

Seit 1993 dient auch das unterhalb eines Tempel- und Friedhofgeländes situierte Kunstzentrum "P3 Art and Environment", regelmaessig jedoch nur die Hillside Plaza, als Ausstellungsfläche. Der Ort steht für eine gewisse Verbindlichkeit. Auch wenn lediglich in einem halb- bis dreivierteljährlichen Rhythmus Projekte stattfinden - oder vielleicht gerade wegen dieser langatmigen Beständigkeit - ist hier mit internationalen Künstlern ein Forum geschaffen worden, das sich durchaus auf positive Weise von den überlicherweise verglobalisierten Showcases zeitgenössischer Medienkunst abzusetzten weiss.

Hier trifft man nicht selten auf irgendwie vertraute Gesichter im meistens höchst diversifizierten Publikum. Auf jeden Fall stets auf das aufgeschlossene und instruktive Kuratorenteam Yukiko Shikata und Kazunao Abe. Um Vermittlung ist man bemüht, aber auch darum, Möglichkeiten zur Auseinandersetzung zu schaffen. Zum einen liegen stets Texte aus, zum anderen publiziert ARTLAB, mit einigen Monaten Verzögerung, Kataloge (beides, Beilage und Nachspeise stets zweisprachig). Neben separat-plazierten philosophischen Beiträgen von eingeladenen Akademikern, findet sich das Kuratorenteam zu einer kittlerischen Offenlegung der technischen Parameter ein. Detailgetreu wird der Technokomplex skizziert, der zu Beginn/während der Präsentation nicht (be)greifbar sein wollte, oder konnte. (Das [i]oder[i] als affirmativ-unaufgelöste Unentschiedenheit ist vorallem bei [i]IO_Dencies[i] ausschlaggebend. Aber dazu später mehr.)

Wie aus einigen Veröffentlichungen entnehmbar, ist die Gründungsphase von ARTLAB zwischen 1991-93 zu verorten. In der Zeit finden drei Gruppenausstellungen (übrigens, allesamt oberirdisch) statt, die weitgehend ohne interaktive Komponenten auskommen. [i]Total Hoverty[i] (1992) von Gerald van der Kaap setzt den Ausstellungsbesucher unter dem Motto [i]Don't Think[i] vorstrukturierten Datenströmen aus, mit dem Hintergedanken, überkommene Wahrnehmungs- und Bewusstseinsmodelle zu destrukturieren. Wie auch der Titel der Folgeausstellung [i]Psychoscape: Mind Observation Through Art[i] (1993) sagt, besteht das Unterfangen darin, die aufgrund der Representationsbegrenztheit der Altmedien unerfasst verbliebenen Regionen zu reproduzieren, und den Betrachter aus der Reserve in ein Delirium zu locken.

Die Katalogtexte [i]argumentieren[i] zunächst oft mit philosophischen Modellen. Die Suche nach einer herbeispekulierten maschinellen "Post-Realität Realität"(Shikata/Abe), nicht die Maschine, steht im Vordergrund.

Im Gegensatz zu der mit Ulrike Gabriels [i]Perceptual Arena[i](1993) einsetzenden, zweiten Phase von interaktiven Einzelausstellungen mit einer zunehmenden Anzahl von deutschen Medienkünstlern bleibt der erste Abschnitt vergleichsweise leicht in Katalogform dokumentierbar. Ab 1993 aber nehmen die wissenschaftlich-sachlichen Texte im Katalog zu, ebenso wie die anschaulichen, an Stelle von dekorativen, graphischen Modellen.

Ein anderer Grund wird darin zu finden sein, dass interaktive Technokunst, die zum Ziel hat, unsichtbare Informationen, sagen wir, Pulsdruck, ex nihilo zu visualisieren (was dann auch noch deduktiv klassifizierbar sein soll), die dem maschinellen Konzept zu Grunde liegende kausale Logik/Funktionsweise verschleiert. Ein prekäres Beispiel dafür war Seiko Mikamis [i]Molecular Informatics[i], letztes Jahr ebenfalls in der Hillside Plaza präsentiert.

Schaulustige säumten das Geländer, mit Blick nach unten, wo sich ebenfalls Ausstellungsbesucher tummelten. Drei Projektionsflächen zeigten molekulare Architektur, sie nahmen die drei Wandflächen ein. Ein einziger Stuhl stand mitten im Raum. Wartete. Schliesslich hatte Schlangestehen ein Ende. Ein Paar VR-Gläser, auf Pupillengrösse und Sehstärke eingestellt. Kopfhörer aufgesetzt. "Bitte schauen Sie auf den roten Punkt. Gut, danke sehr. Es kann losgehen. Sensoren sind für die Abtastung ihrer Augenbewegungen zuständig. Ihr Blick generiert und steuert somit das molekulare VR-Environment. Sie haben vier Minuten Zeit."

Doch meldeten sich frühe Zweifel an der Korrespondenz von Datenaufnahme und Wiedergabe, die ich mit einem Manöver zu belegen meinte: ich versuchte meine Augen [i]nicht[i] zu bewegen, und [i]sah[i], dass sich weitere molekulare Verbindungen ergaben. Und zwar nicht weniger unüberschaubar und rasant wie vorher. Monate später werde ich lesen, dass für alle Blick-Einstellungen (konkret im Falle von Stillstand) eine (Rückwärts)Bewegung einprogrammiert war...

Knowbody knows what's going on

Die Arenaflaeche bei [i]IO_Dencies[i] steht für eine leerstehende Gegend in Shimbashi/Tokio. Umgeben vom kommerziellen Einkaufs- und Geschäftsdistrikt Ginza, ist sie augenblicklich eine archäologische Ausgrabungsstätte. Knowbotic Research hat in Zusammenarbeit mit einem japanischen Architekten verschiedene Berreiche aus der Umgebung von Ginza wissenschaftlichen Messungen unterzogen, die in sogenannte Profile dieser Berreiche umgemünzt wurden. Die Kriterien reichen von der Analyse des Verkehrs, der architektonischen Beschaffenheiten, über historische Qualitäten, bis hin zur Erfassung der wirtschaftlichen Lage. Als ein in die urbane Sphäre eingreifendes Strömungsfeld verstanden, folgt die graphische Übersetzung der komputergespeicherten Daten in sogennanten Flows, die sich auf den Terminalmonitoren visuell durch Form, und durch Intensität unterscheiden; bzw. klanglich durch Lautstärke und Verdichtung.

Attraktoren, graue, pfeilförmige Ikonen, am unteren Rand des Bildschirms nebeneinandergereiht, sind mobilisierbar, ermöglichen dem Zuschauer zum User zu werden, einzugreifen, die Flows zu manipulieren, wobei der Output zunächst genauso kontingent erscheinen mag, wie die neben den Terminals ebenfalls durch Java Applets verbundene Datenabnahme in der Arena. Die Datenabnahme erfolgt auf eine für den [i]monitortragenden[i] User-im-Trupp nicht sichtbare Weise. Sensoren sind an dem durch die Stellwände getragenen Gitter angebracht. Aktiv, oder passiv, 'Eingriffe' werden als solche erfasst und im Netzwerk durch ein auf tendenzielle Parallelen hin segementierendes Programm verbunden, miteinander auf eine vom User nicht nechvollziehbare Weise in Ein-klang gebracht, in den Flows kanalisiert. Noch Fragen?

Fragen über Fragen Wie das Knowbotic Research Mitglied Christian Hübler in seinem Vortrag über das Projekt zu verstehen gab: Die [i]zweite Natur[i] dient u.a. dazu, Fragen über die [i]erste Natur[i] zu beantworten. So sehr es sich auch des Kunst- und Objektcharakters zu entledigen sucht, die Frage an das interaktive Kunstwerk bleibt, was es eigentlich (von uns) will, wollen kann. Antworten kann die zweite Natur unNet Berücksichtigung der künstlerischen Prämissen nicht liefern; zumindest nicht allein.

Zwischen Erlebniswert, Historsierbarkeit, und (einer Thematisierung) der (Un)Durchschaubarkeit medienspezifischer Parameter entstehen oft Diskrepanzen, Reibungen, die Herausforderungen darstellen. Und zwar nicht nur für die erste Natur.