"Ich bin ein Ferrari"

Der Gang-Boss im Elysee-Palast: "La Conquete". Ein gelungener Politthriller über Nicholas Sarkozy und anderes Polit-Kino "at its best" aus Frankreich

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Viel schwieriger, schrieb einst der politische Realist Machiavelli, als die Macht zu erringen, sei es, sie zu erhalten. Diese Erfahrung hat vergangene Woche erst Dominique Strauss-Kahn gemacht. Unabhängig davon, ob und was er genau gemacht hat, wurde er von den Medien öffentlich skalpiert und an einem rostigen Fleischerhaken aufgehängt. Das demokratische Prinzip der Unschuldsvermutung gilt für Politiker schon längst nicht mehr; Strauss-Kahn war als Sozialist, Jude und Franzose der gefundene Sündenbock für die US-Medien, flankiert von der unheiligen Allianz zwischen europäischem Boulevard und Feminismus. Auch wenn das New Yorker Dienstmädchen ihre Aussage noch heute komplett widerrufen würde - Strauss-Kahns politische Karriere wäre ruiniert. Die DSK-Affaire kam für Nicholas Sarkozy auch sonst zur rechten Zeit. Denn sie überschattete Premiere und Kinostart eines Films, der dem französischen Staatspräsidenten unter anderen Umständen höchst unangenehm sein könnte.

Bild: Mandarin Cinema - Gaumont

Politik ist nicht länger eine Debatte über Probleme, Werte und Ideologien. Sondern ein frei zugängliches Spiel, in dem die Akteure Brot, Spiele und Sündenböcke verlangen.

Tocqueville

Es mag gut sein, dass Nicholas Sarkozy derzeit gerade die Erfahrung macht, wie recht Machiavelli mit seiner Bemerkung über Machterringung und Machterhalt hat. Andererseits war der Aufstieg, das zeigt Xavier Durringers Spielfilm "La Conquete" jetzt, schon schwer genug. In Cannes hatte der in Frankreich mit Spannung erwartete Film außer Konkurrenz im Wettbewerb eine Premiere. Jetzt ist er in den Kinos dort gestartet.

Voller sprechender Details und mit vielen boshaften Spitzen gegen Sarkozy und seine innerparteilichen Rivalen schildert der Film den Weg Sarkozys zur Präsidentschaft wie ein Königsdrama von Shakespeare als Kampf innerhalb des gleichen Lagers. Der Film beschreibt den großen Ehrgeiz des kleinen Mannes, den sein Konkurrent, der großgewachsene zwischenzeitliche Außen- und Premierminister Dominique De Villepin immer nur den "Zwerg" nennt und bietet auch Szenen der zerbrechenden Ehe zwischen "Sarko" und seiner Frau Cecilia, die ihm, bereits insgeheim in Trennung lebend, im Wahlkampf noch als Beraterin zur Seite stand.

Bild: Mandarin Cinema - Gaumont

"A work of fiction"

Ein solcher Film wäre in Deutschland völlig unmöglich - schon aufgrund eines in Europa einmalig scharfen Persönlichkeitsrechts, in dem selbst eine Figur nur dann "Kanzler" heißen darf, wenn sie mit Angela Merkel möglichst keine Eigenschaft teilt. In Frankreich kennt man dergleichen Schutzrechte für die Mächtigen nicht.

In "La Conquete", der sich als "inspiriert" bezeichnet, genügt es, den Film zu Anfang als "a work of fiction" zu bezeichnen - dann tragen aber alle Beteiligten ihren richtigen Klar-Namen, und keines dieser Portraits ist schmeichelhaft: Sarkozys Vorgänger Jacques Chirac - "Ich mache keine Politik für die Politiker, ich mache Politik für Frankreich." - säuft und flucht, läuft zuhause im mit Barockmöbeln ausgestatteten Elysee meist in geschmacklosen roten Trainingsanzügen herum und ist ein mit allen Wassern gewaschener, opportunistischer Intrigant. De Villepin sieht etwas besser aus, vielleicht aber nur, weil er den Kampf um die Präsidentschaft verliert.

Bild: Mandarin Cinema - Gaumont

"Sei Schöpfer und Zerstörer. Mach die Nachrichten und kommentiere sie"

Am schlechtesten aber kommt Sarkozy selbst weg: von Ehrgeiz zerfressen, neidisch, misstrauisch, verlogen - Sarkozy benimmt sich und redet in diesem Film wie Little Cesar" im gleichnamigen Hollywood-Klassiker, der Boss einer Mafiagang:

I'll be everywhere at once. Keep them guessing. Lounch 8 projects. They'll be punch-drunk. I'll be headline minister!" … "I'm alone. I forged myself and I'll fight to the end. I know Chirac better than he knows me. He won't catch me. He is history. I am free. I am alone and I am free. And you Dominique... you are a dead man.

Auch die Dialog-Sätze aus dem Film könnten von Machiavelli stammen: "Sei Schöpfer und Zerstörer. Mach die Nachrichten und kommentiere sie."

Sarkozy - "Ich bin ein Ferrari." - erscheint als einer, der jede Handlung dem Machttrieb unterordnet und seine politischen Ziele wie die Hemden wechselt. Ein Konkurrent sagt über ihn: "Es wäre falsch zu glauben, er hätte Überzeugungen. Er hat nur Behauptungen."

Bild: Mandarin Cinema - Gaumont

Und mehr als einmal werden nachbessernde Transformation des politischen Image nötig: Mal erscheint Sarkozy als zu pro-amerikanisch, mal als nicht sozial genug - alles eine Frage des Spin-Doctoring. Seine potentiellen Wähler sieht "Sarko" nicht mehr als Bürger, sondern als Konsumenten, nach deren Bedürfnissen er sein Programm konzipiert.

Milieu und Rhetorik des Rechts-Populismus

Darin zeigt Durringer den Amtsinhaber allerdings nur als erfolgreichstem Repräsentanten eines politischen Systems, das zur Problemlösung zunehmend nicht mehr in der Lage ist, weil es keine Überzeugungen hat, nach denen es vorgehen kann. Zugleich entfaltet der Regisseur Milieu und Rhetorik des Rechts-Populismus. Sein Portrait dürfte nicht nur in Frankreich als treffend empfunden werden.

Sarkozy ist derjenige, der das öffentliche Bild des Politikertypus und das Verhältnis zwischen Politik und Medien in Frankreich denkbar radikal verändert hat. Dies, weil er den Politiker als Star gegeben hat, weil er beschloss, auf die "Karte Transparenz" zu setzen. Gemeint war damit natürlich nicht Aufrichtigkeit, sondern Transparenz als Ideologie, als Ablenkung vom Wesentlichen: Zum ersten Mal in Frankreichs Geschichte tauchte ein Politiker in Klatschmagazinen auf, ließ sich beim Joggen, am Strand mit Sonnenbrille fotografieren und mit seiner Geliebten, einem Modell.

Bild: Mandarin Cinema - Gaumont

Später wird er im Film einmal sagen: "This transparency-shit binds us to reality." Natürlich gehört zu all dem nicht minder eine Presse, die kuscht und das böse Spiel mitspielt. Sarkozy gewann bei der Wahl 2007 80 Prozent der Rechts-Wähler, weil er so ist wie sie. Es ist Dominique de Villepin, der einmal in dem Film nicht ganz unzutreffend über Sarkozy sagt:

Der Zwerg wird Frankreich auf seine Größe herunterstutzen.

Blendend und mit sichtbarem Vergnügen spielen die Schauspieler ihre auch in Gestik, Sprachduktus und kleineren Verhaltensticks wohlbekannten Figuren überaus nahe an ihren Vorbildern in der Wirklichkeit. Besonders Bernard Le Coq als Chirac und Denis Podalydes in der schwierigen Hauptrolle beeindrucken.

So ist "La Conquete", ohne dass er mit großen Enthüllungen oder neuen Einsichten aufwarten könnte, und auch wenn er gegen Ende ein wenig auf der Stelle tritt, ein Lehrstück darüber geworden, wie ein unterhaltsamer Politthriller im Kino aussehen kann, wie sich manche oft ernüchternde Einsicht über den Politbetrieb vermitteln ließe. Man wünscht sich mehr solche Filme.

Politik als Film Noir: Männerbünde, Macht, Bodyguards, Ehrbegriffe und Schweigegelübde

"Politics - a stupid job done by intelligent people", heißt es in "La Conquete" einmal. Dieser Film bietet nur ein Fallbeispiel für eine allgemeine Entwicklung, die in allen Demokratien des Westens zu beobachten ist: Die politische Debatte, im eigentlichen Sinn des Wortes, ist verschwunden. Stattdessen dominiert das politische Vakuum. Politiker haben Redenschreiber und üben deren Texte vor öffentlichen Auftritten passgenau ein. Sie haben Maskenbilder und Modeberater. Sie haben immer nur ein Publikum, das ihnen zujubelt, und umgekehrt Journalisten, die sie kritisieren.

Mehr und mehr erscheint Politik - praktisch wie ästhetisch - als Film Noir: ein Ort der Männerbünde, der Macht, der von Bodyguards abgeriegelten Männerwelten aus Beton, Stahl und Glas; der Büros, Restaurants, Limousinen, der Sonnenbrillen. Eingehüllt in den Kokon eines fragwürdigen Ehrbegriffes und eines Schweigegelübdes, das dem Kult des Geheimnisses dient. Telefonanrufe werden nur noch mit der Hand vor dem Mund geführt, weil Medien Lippenleser beschäftigen.

"L'Exercise de l'Etat". Foto: Diaphana Distribution

Politik als Beruf

Diese abstraktere Seite der Politikerwelt wird gut getroffen in Pierre Schoellers "L'exercise de l'etat", der gleichfalls in Cannes uraufgeführt wurde. Olivier Gourmet spielt darin Bertrand Saint-Jean, Minister für Transport in einer fiktiven französischen Regierung.

Saint-Jean ist ein Hoffnungsträger. Noch recht unberührt von der Macht ist er einer, der mit Idealen beginnt und einen Desillusionierungsprozess erlebt. Auch hier steht im Zentrum aber die reale Umwelt des zeitgenössischen Politikerberufs: die Limousinen, die Bodyguards, die Blackberrys. Die Leute hinter den Institutionen. Die Strippenzieher, die wir nie sehen.

Bild: Diaphana Distribution

Der Film zeigt, dass politische Entscheidungen von Gruppen getroffen werden. Zeigt ihre Dynamik, das unsichtbare Wesen der Macht: Dominanz und Unterwerfung als Schlüsselelemente, Demütigung als Notbehelf. Auch wenn es am Ende nur eine Person ist, der Minister, die die Entscheidung trifft, und dafür einstehen muss.

"Wir sagen immer das Gleiche", wundert sich der Minister selbst: "Zwei von drei Dekreten, die wir erlassen sind reiner Aktionismus. Sie werden vom Budget gestoppt."

Irgendwann hat er einen schweren Autounfall, bei dem sein Fahrer stirbt. Seine neu gewonnene Popularität nutzt der Präsident sofort zur Beförderung: "Aber spiel' ja nicht den Radikalen. Gewinn' einfach die 5 Prozent zurück, die wir durch die Privatisierung verloren haben."