"Ich bin hier, um die Lügen zu widerlegen"

Zirkus Gaddafi: Saif al-Islam präsentiert sich ausländischen Journalisten als begabter Hochstapler, der den Übergangsrat auf den Boden zurückholt

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Man sieht ihn lachend von der Bühne gehen. Saif al-Islam hatte gerade eben den ausländischen Korrespondenten vor dem Hotel Rixos vorgeführt, dass er frei ist und seine Gefangennahme als Falschmeldung entlarvt: "I am here to refute the lies".

Ist das Gaddafi-Regime bald am Ende? Der Zirkus Gaddafi jedenfals noch nicht: Der Auftritt mit Pauken und Trompeten vor ausgewählten Multiplikatoren verrät gute Regie: das Rixos, das die ausländischen Journalisten beherbergt, gehört zu jenen noch verbliebenen Gebieten, die noch in der Hand von Gaddafis Truppen sind. Ein Schachzug, da gestern noch gemeldet wurde, dass der staatliche Fernsehsender von den Rebellen erobert wurde. So wurde der Platz vor dem Hotel zum Schauplatz einer internationalen Pressekonferenz mit einer sehr viel größeren Reichweite.

Zwischendrin hieß es von Seiten der Rebellen, dass man bis zu 90 Prozent der Stadt unter Kontrolle hätte, der nationale Übergangsrat (NTC) hatte bereits, das Ende des Regimes verkündet, in Berichten war die Rede davon, dass der Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag über die Auslieferung des Gaddafi-Sohns Saif al Islam mit den Rebellen verhandeln wolle.

In der Verblüffung über die überraschend schnell erfolgten Eroberung von Tripolis wurde vergessen, dass Nachrichten aus Libyen nicht immer verlässlich sind, weil die Quellen damit Kriegspolitik machen. In der Euphorie über den Erfolg der Rebellen schien alles möglich und man war schon weiter: Die Jagd auf Gaddafi war das neue Ziel der Rebellen und die Aufmerksamkeit der Berichterstattung folgte ihnen. Bis dann der Auftritt von Saif al- Islam gestern in die Euphorie hineinschnitt.

Dass die Auseinandersetzungen in Libyen so sehr auf die Gaddafis zugeschnitten präsentiert wird, kommt dem Auftritt von Saif zugute. So bekommt er eine weltweite Aufmerksamkeit, wenn er sich als seinem Vater ebenbürtige Leuchtfigur präsentiert - Manna für seine Anhänger - und seinen Worten wird Gewicht beigemessen, man hört ihm zu. Weniger was die Einschätzung der Lage anbetrifft, die etwas an den irakischen Informationsminister bei der Eroberung Bagdads durch US-Einheiten erinnert:

You have seen how the Libyan people rose up together, men and women, to break the backbone of the rebels, rats and gangs yesterday and today.

Dass Saif die Rebellen und dem NTC als unglaubwürdig vorgeführt hat, hat dagegen ein anderes Gewicht. Man darf gespannt sein, mit welcher Erklärung sich der Übergangsrat und die Rebellen aus dieser Klemme ziehen.

"We are going to hit the hottest spots in Tripoli." Mit diesen Worten lud der Gaddafi-Sohn Journalisten auf eine Tour durch die Hauptstadt ein. Dabei erklärte er laut Guardian, dass der Erfolg der Rebellen in Tripolis ein reiner Kommunikationssieg sei, Show mit Bühnenvolk:

They sent text messages to the Libyan people through the Libyana (mobile phone) network. They stopped our broadcast transmission. They perpetuated an electronic and media war in order to spread chaos and fear in Libya. Also they brought gangs from the sea and by car to Tripoli.

Dass man nicht vorschnell einen Sieg über das Gaddafi-Regime feiern sollte, darauf haben gestern viele hingewiesen, unter anderem US-Präsident Obama, der Auftritt Saifs fügte diesen Aussagen noch einen Moment hinzu, der manches in den Blick rückt, das in den letzten Tagen übergangen wurde: dass die Leichtigkeit des Einmarsches möglicherweise mit einem Rückzug der Verteidigung der Gaddafi-treuen Truppen verbunden war - aus taktischen Erwägungen, wie etwa Statfor spekuliert:

It is possible that the most highly trained Libyan soldiers in Tripoli have retreated to entrenched urban positions from which they plan to conduct an urban insurgency. Were this to happen, it would be very difficult for NTC forces to pacify them, as the Gadhafi forces have access to large amounts of heavy weaponry and know the city’s terrain.