"Ich erwarte keine Gerechtigkeit"

Solidaritätsdemonstration zur Eröffnung des Prozesses am 12. Dezember 2009. Bild: R. Streck

Der Jesuit Txema Auzmendi, einer der Hauptangeklagten im Prozess gegen baskische Journalisten, über die Anschuldigungen und den Nationalen Gerichtshof.

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Im Februar 2003 ließ der Nationale Gerichtshof in Spanien die "Euskaldunon Egunkaria" (Baskische Tageszeitung) verbieten (Baskische Zeitung und Website geschlossen). Die Guardia Civil stürmte die Redaktionsräume der damals einzigen baskischsprachigen Tageszeitung in der Kleinstadt Andoain. In der gleichen Nacht wurden zehn Führungsmitglieder in ihren Wohnungen verhaftet. Die Anschuldigung lautete, es handele sich um Mitglieder der baskischen Untergrundorganisation ETA, in deren Dienst die Zeitung gestanden habe soll. In diesem "tödlichen Jahr für die Pressefreiheit" klagten erstmals auch Journalisten, in der umstrittenen Isolationshaft schwer misshandelt worden zu sein (Baskische Journalisten gefoltert). Telepolis sprach mit einem der Hauptangeklagten, dem Jesuiten und Journalisten Txema Auzmendi, über die Besonderheiten eines Verfahrens, das nun erst im Dezember begonnen hat.

Txema Auzmendi. Bild: R. Streck

Sie und vier weitere Journalisten des Egunkaria sollen Mitglieder der ETA sein und für 12 oder 14 Jahre ins Gefängnis. Glaubt eigentlich in Madrid noch jemand diese schweren Anschuldigungen?

Txema Auzmendi: Leider glauben sie dort viele Menschen. Die Kommunikationsmedien haben daran einen großen Anteil. Es gibt Radios, Fernsehkanäle und Zeitungen, die sehr eng mit politischen Parteien verbunden sind. Sie sind oft sehr politisiert, parteiisch, wenig frei und von großer Realitätsunkenntnis geprägt. Da wir nun tatsächlich vor dem Nationalen Gerichtshof angeklagt werden, denken viele Menschen, dass an den Vorwürfen etwas dran sein müsse, dass wir vielleicht nicht gerade ETA-Führer seien, wie einst behauptet wurde, aber schon mit ihr zu tun hätten.

Die Staatsanwaltschaft fordert schon seit 2006 die Einstellung. Der Staatsanwalt Miguel Ángel Carballo schrieb: "Es existiert nicht ein Dokument, welches die Verbindung von Egunkaria zur ETA bestätigt und in 13 Jahren wurde nicht ein Bericht oder Nachricht mit dem Ziel gefunden, die Bevölkerung um die ETA zu scharen." Und weiterhin fragt er sich: "Wenn Egunkaria weder ein Instrument zur Finanzierung oder zur Geldwäsche der Terroristen ist, noch eine klare oder taktische Unterstützung der ETA leistet, noch die Gewalt legitimiert oder schürt, in welcher Form könnten die Aktivitäten der Zeitung die Ziele der ETA unterstützen?" Glauben also die besser informierten Politiker und Justizkreise noch die Anschuldigungen, die vor dem Nationalen Gerichtshof erhoben werden?

Txema Auzmendi: Es gibt keine Beweise und keine realen Argumente, um uns anzuklagen. Aber ich möchte an den politischen Charakter dieses Gerichtshofs erinnern. Als wir 2003 unter der regierenden Volkspartei (PP) verhaftet wurden, hat die Staatsanwaltschaft diese Anschuldigungen des Ermittlungsrichters Juan del Olmo noch unterstützt. Ich weiß nicht, warum er das Verfahren angenommen hat, nachdem sogar Baltasar Garzón es nicht führen wollte.

Handelt es sich also auch um eine politische Entscheidung, nachdem 2004 die Sozialisten (PSOE) die Macht übernommen haben? Die Staatsanwaltschaft ist schließlich in Spanien ein Ministerium und untersteht der Regierung direkt.

Txema Auzmendi: Damit hat das sicher auch zu tun. Wichtig ist, sich die Geschichte des Nationalen Gerichtshofs vor Augen zu führen. Er entstand an dem Tag, als das Sondergericht (TOP) der Franco-Diktatur aufgelöst wurde - und das war noch vor den ersten Wahlen unter der Übergangsregierung. Dieser Gerichtshof ist mit Spezialaufgaben betraut, sehr politisiert und steht über dem spanischen Rechtssystem. Ich wünsche mir zwar Gerechtigkeit, aber ich glaube nicht, dass wir dort eine gerechte Behandlung erfahren. Stets wurde uns in den letzten Jahren aus Justizkreisen signalisiert, wir sollten beruhigt sein, es werde nie zur Anklage kommen. Doch nun wird das Verfahren über eine "Volksanklage" eröffnet.

In Deutschland gibt es so etwas nicht. Können Sie erklären, was das bedeutet?

Txema Auzmendi: Im Prinzip ist eine Volksanklage eine gute Sache. Sie sollte dazu dienen, die einfachen und schwachen Leute zu schützen. Wenn einem Unrecht zuteil wird, zum Beispiel am Arbeitsplatz, man nicht gewerkschaftlich organisiert ist und einem die Mittel für eine Klage fehlen, kann eine Organisation diese Klage führen, auch wenn sie nicht betroffen ist.

Aber eine solche Anklage ist nicht möglich, ohne eine Unterstützung der Staatsanwaltschaft. Das hat jedenfalls der Oberste Gerichtshof im Fall der Klage von Konsumentenschützern gegen Emilio Botín, Chef der Großbank BBVA, entschieden.

Damit hatte der Oberste Gerichtshof eine Rechtsnorm gesetzt. Doch in unserem Fall sei die nicht anwendbar, weil es sich bei unserem Verfahren nicht um Wirtschaftsvergehen handele, hieß es. Deshalb wird gegen uns der Prozess eröffnet, obwohl die Anklagebehörde keine Beweise sieht und es auch keine Nebenkläger gibt. Es hat niemand angezeigt, dass auf Grund unserer Berichte die ETA jemanden umgebracht oder seine Fabrik in die Luft gejagt hätte. Die Anklage beruht nur auf der Klage von zwei unbeteiligten rechtsradikalen spanischen Organisationen, die Rache wollen und sich im Fall von Basken immer als Kläger anschließen. Damit wird die Volksanklage pervertiert. Aber solange der Nationale Gerichtshof besteht, sind solche Besonderheiten möglich.

Elf Jahre nach dem Verbot der Zeitung und Radio "Egin" hob kürzlich der Oberste Gerichtshof ein Urteil dieses Sondergerichts auf, das Garzón erwirkt hatte. Die Anschuldigungen waren gleich. 11 Jahre nach dessen Verbot könnten die Zeitung und das Radio wieder erscheinen. Macht das das neue Verfahren nicht noch erstaunlicher?

Txema Auzmendi: Ich kann Ihnen all diesen Widersinn nicht erklären. Es ist ein Wahnsinn, Zeitungen ohne Begründung zu schließen. Wir alle hoffen zwar auf eine Gleichbehandlung vor der Justiz, doch die spanische Justiz legt in der baskischen Problematik, aber nicht nur hier, gerne andere Maßstäbe an und auch Rache und andere Interessen bestimmen dabei oft das Vorgehen.

Joan Mari Torrealdai, der Verwaltungsratspräsident des Egunkaria. Bild: R. Streck

Txema Auzmendi: Wie nimmt die baskische Gesellschaft diese Vorgänge wahr?

Zwei Tage nach unserer Verhaftung fand in Donostia-San Sebastian die größte Demonstration statt, die diese Stadt in ihrer Geschichte erlebte. Das hat schon klar gezeigt, dass nur wenige diese Vorwürfe geglaubt haben. Die Mehrheit hier nimmt das Vorgehen gegen uns als Angriff auf die baskische Kultur und Sprache wahr, der ältesten in Europa. Es wurden allein fünf Millionen Euro gespendet, um mit "Berria" eine neue Zeitung in unserer Sprache "Euskera" herausgeben zu können. Statt 1.500 Teilhaber hat die nun mehr als 24.000. Mit Spenden können auch die Unsummen für Prozesse, Anwälte, etc. bezahlt werden.

Die Leute glauben und vertrauen uns. Sie stehen uns bei. Nicht alle haben, wie ich als Priester, eine mächtige Institution hinter sich, die sie trägt. Diese Unterstützung hat sich am vergangenen Samstag auf der Großdemonstration in Bilbao wieder deutlich gezeigt, als Zehntausende trotz Eiseskälte auf die Straße gingen. Übrigens wurde eine Solidaritätsdemonstration, die gleichzeitig in Madrid stattfinden sollte, verboten.

Wie haben Sie die beiden ersten Prozesstage erlebt?

Txema Auzmendi: Einerseits ganz positiv, weil der Staatsanwalt an seiner Haltung festgehalten hat und uns keine Fragen stellte. Zudem konnten wir Angeklagte frei und lang über das Projekt Egunkaria sprechen, über die Bedeutung der Zeitung, ihre Pluralität und Unabhängigkeit von politischen Parteien und anderen Zeitungen, die im Baskenland auf Spanisch erscheinen. Wir konnten die Misshandlungen und die schreckliche Folter anklagen, die wir in den Händen der Guardia Civil erleiden mussten.

Andererseits war es aber auch sehr negativ, weil zwei ihrer Mitglieder bei der Befragung sehr zynische Aussagen gemacht haben. Sie haben offen gelogen und die Vorwürfe gegen uns von damals einfach wiederholt. Es wurde aber klar, dass die Guardia Civil hinter den Vorgängen stand. Sie hat dutzende Firmen der baskische Kultur und Sprache ausgeforscht, überwacht und abgehört. Sie war es, die die Verhaftungen und sogar die Schließung der Zeitung anordnete. Ähnlich negativ verhielten die zwei Verbände, welche die Volksanklage vertreten.

Positiv war aber, dass sich vor dem Gerichtshof viele Persönlichkeiten der baskischen Kultur und Politik versammelten, dabei waren auch Vertreterinnen und Vertreter der großen Gewerkschaften, auch aus dem französischen Teil des Baskenlands. Sie stellten sich hinter uns und versicherten uns vor den Kommunikationsmedien ihre Unterstützung. Das war eine große Freude und verlieh uns eine innere Kraft, um mit diesem sinnlosen Verfahren und der unglaubliche Ungerechtigkeit umzugehen.

Was wurde aus dem Vorwurf, die ETA habe die Zeitung gegründet und finanziert?

Txema Auzmendi: Davon ist man abgerückt, es wurde manchmal behauptet, wir hätten für die ETA Gelder gewaschen und ein anderes mal wieder, sie hätte uns finanziert. Tatsächlich haben wir Geld von den Regionalregierungen der Autonomen Baskischen Gemeinschaft und Navarra erhalten. Wir, das kann ich vorwegnehmen, können sogar die Herkunft der Spenden belegen, mit der die Zeitung 1990 gegründet worden war. Die Quittungen fanden sich in einer Kiste, welche die Guardia Civil bei den Durchsuchungen nicht beschlagnahmt hat. Dort sind die Teilhaber und Spender aufgelistet und deren Spenden aufgezeichnet. Deshalb wird inzwischen, wie in anderen Verfahren zuvor, auf die Ideologie abgestellt. Keinem von uns wird ein konkreter Vorwurf gemacht. Die Zeitung verfolge die gleichen Ziele wie die ETA, lautet der allgemeine Vorwurf, mit dem schon etliche Menschen verurteilt wurden.

Was steckt hinter der Schließung der Zeitung?

Txema Auzmendi: Es gibt eine Theorie der Guardia Civil, dass praktisch alle zur ETA oder deren Umfeld gehören, die sich außerhalb der Institutionen für die baskische Sprache und Kultur einsetzen. Die gießt normalerweise Garzón in Anklagen. Die Medien, die diese Kultur und Sprache fördern, rücken besonders in Blickfeld. Denn damit Initiativen nicht nach ein paar Jahren wieder einschlafen, muss man sie auch ökonomisch absichern. Radios und Zeitungen sind dazu geeignet und bilden ein besonderes Angriffsziel. Wenn deren Macher zudem nicht einmal das Ziel haben, Geld zu verdienen, sind sie besonders verdächtig. Dass ich für die Egunkaria im Verwaltungsrat saß und für sie schrieb, ohne dafür einen Lohn zu bekommen, können viele Leute in Spanien offenbar einfach nicht verstehen. Dahinter wird eine Unterstützung oder die Mitgliedschaft in der ETA gewittert. Mir hat wirklich wehgetan, als ich erfahren musste, dass der Ermittlungsrichter Juan del Olmo sogar drei Jahre Richter im Baskenland war. Er müsste wissen, wie viele Projekte hier finanziert und betrieben werden.

Einige der Verhafteten haben angezeigt, während der berüchtigten Kontaktsperre gefoltert worden zu sein, deren Abschaffung alle Menschenrechtsorganisationen unisono fordern. Wie erging es Ihnen und wie wurde von der Justiz mit den Folteranzeigen umgegangen?

Txema Auzmendi: Vielleicht weil ich Jesuit bin, wurde ich, anders als einige Kollegen, nicht physisch gefoltert. Allerdings war die Behandlung erniedrigend und schlimm. Sie zielte in meinem Fall eher auf die Psyche. Dazu musste ich stundenlang mit verbundenen Augen, gespreizten Armen und Beinen an der Wand stehen und wurde harten Verhören unterzogen. Ich muss auch sagen, dass aus Angst oder Scham nicht alle Anzeige erstattet haben, die gefoltert wurden. Erstmals kürzlich hat mir ein Kollege bei der Vorbereitung des Prozesses gestanden, dass auch er gefoltert wurde.

Der damalige Innenminister Jaime Major Oreja hatte sofort Gegenanzeige wegen falscher Anschuldigungen gestellt. Bis auf einen Fall wurden alle Ermittlungen zur Folter längst eingestellt. Der Zeitungsdirektor, Martxelo Otamendi, ist deshalb schon vor den Straßburger Menschenrechtsgerichtshof gezogen, nachdem der Rechtsweg in Spanien ausgeschöpft war. Ich danke ihm dafür, denn das ist sehr schwer und nicht jeder hält das aus. Schließlich durchlebt man die Folter immer und immer wieder.

Befürchten Sie eine Verurteilung?

Txema Auzmendi: Möglich ist das. Für uns werden, allein in diesem ersten Verfahren, zwischen 14 und 12 Jahre Haft gefordert. Es dürfte schwer werden, uns nun alle frei zu sprechen, nachdem man es so weit kommen ließ. Ich glaube, man wird einige von uns verurteilen, allein um das Vorgehen zu rechtfertigen und um gewisse Kreise zu befriedigen. Ich habe aber ein ruhiges Gewissen, ich war nie in der ETA und habe auch nicht vor, ihr beizutreten. Die Frage ist, ob die Richter nicht vielleicht auch Gerechtigkeit walten lassen könnten und sich trauen, uns alle freizulassen. Doch dafür müssten sie einen noch immer so mächtigen Apparat wie die Guardia Civil nackt dastehen lassen.

Könnte es nicht auch sein, dass der Gerichtshof zu Handeln beginnt? Die Angeklagten irgendetwas zugeben müssen, dafür nur eine geringe Strafe erhalten, damit das Gericht das Gesicht wahren kann?

Txema Auzmendi: Das wäre nicht neu und wurde tatsächlich schon einmal angedeutet. Ich kann nur für mich sprechen. Ich würde lieber ins Gefängnis gehen, als etwas Falsches einzuräumen. Vielleicht hilft mir mein Glaube an Gott dabei. Ich kann das aber nicht von meinen Kollegen fordern, die Familie haben und vielleicht andere Lebensvorstellungen. Ich glaube auch nicht, dass die Chancen für einen solchen Weg groß sind.

Dann ist da aber noch ein zweites Verfahren wegen Finanzdelikten, das noch nicht angesetzt wurde.

Txema Auzmendi: Sollten wir im ersten Prozess freigesprochen werden, wird es dazu wohl nicht mehr kommen. Wenn dagegen einige verurteilt werden, drohen uns danach ja sogar noch viel höhere Strafen. Im zweiten Prozess wären es dann insgesamt acht Angeklagte. Zwischen 13 und 26 Jahre Haft, wie in meinem Fall, werden dafür gefordert, weil einige Tausend Euro Mehrwertssteuer nicht abgeführt worden sein sollen oder ähnliches. Das ist noch kurioser. Spätestens hier, wo es um Finanzdelikte geht, müsste aber die Rechtsnorm Botín zur Anwendung kommen. Ohnehin waren bei den Prüfungen durch die baskische Regierung und das Finanzamt nie Unregelmäßigkeiten festgestellt worden.