Ich wollt', ich würd' ägyptischer Präsident

Der ehemalige IAEA-Chef El-Barradei bringt Leben in die ägyptische Wüste

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Hosni Mubarak wirkt auf manche Beobachter wie ein schwerer alter ägyptischer Stein, der mit seiner Macht das ganze Land unterdrückt und lähmt. Das Vorgehen seiner Polizisten gegen Oppositionelle sucht in ihrer Brutalität ihresgleichen. Leider gelangt davon nur weniges an die größeres Öffentlichkeit hierzulande. Ägypten wird vor allem als Tourismusplattform wahrgenommen, mit kleinen All-Inclusive-Inseln drin, die exklusiv alles abschotten, was den harmonischen Zusammenklang von Meer, Sonne, Strand, alter Geschichte und Animation stören könnte. Für den Rest der Berichterstattung, der zwischendrin mal kurz augenfällig wird, sorgen diplomatische Nachrichten. Mubaraks Ägypten ist ein wichtiger Verbündeter der USA, er weiß sich auf diesem Parkett gut zu verkaufen.

Seit Februar hat der Despot nun einen prominenten Gegenspieler, der sich auch auf internationale Öffentlichkeitsarbeit versteht. Als Mohamed El-Barradei in Kairo Anfang des Jahres ankam, wurde er, wie die Medien berichteten, von einer jubelnden Menge triumphal empfangen. Seither gab er in verschiedenen Interviews zu erkennen, dass er, faire Bedingungen vorausgesetzt, für die Präsidentenwahl im nächsten Jahr kandidieren würden. Sein Auftritt bringt Leben in die ägyptische Politik, das muss auch der Kommentator der staatsnahen Zeitung al-Ahram konzedieren.

Mohamed El-Barradei

Zu den Unterstützern El-Barradeis gehören auch Prominente wie der Schriftsteller Alaa Al-Aswani, dessen Erzählungen viele brave Staats-und Religionsdiener vor den Kopf stoßen. Ähnlich wie bei dem österreichischen Schriftsteller Thomas Bernhard trifft man in den literarischen Erzählungen Al-Aswanis auf Anklagen, die manche Leser, unwillig zur oder ungeschult in der Unterscheidung zwischen Fiktion und Wirklichkeit, als Nestbeschmutzung empfinden:

Die Pharaonen waren ohne Zweifel ein großartiges Volk, aber was haben wir mit ihnen zu tun? Wir sind ein entartetes, korruptes Ergebnis einer Vermischung der Eroberersoldaten mit den eroberten, gefangenen Untertanen. Der ägyptische Bauer, dessen Land jahrhundertelang von den Eroberern geplündert und dessen Männlichkeit von ihnen geschändet wurde, hat jegliche Bindung an seine grossartigen Ahnen verloren, und durch die lange Zeit der Erniedrigung hat er sich an diese gewöhnt, hat sich damit abgefunden und so im Lauf der Zeit eine Sklavenmentalität entwickelt. Versuchen Sie sich einmal zu erinnern, wie viele wirklich mutige Ägypter Sie in Ihrem Leben gesehen haben.

Die Aufzeichnungen des Issâm Abdalâti

Demgegenüber nehmen sich die Äußerungen El-Baradeis relativ harmlos aus. Sie gehören auch einer anderen, der realpolitischen, Welt an, wo die Glaubwürdigkeit der Äußerungen sich mit der tatsächlichen Übereinstimmung mit der Wirklichkeit messen lassen muss. Gemeinsames Moment ist allerdings, dass sich Repräsentanten der herrschenden Mentalität angegriffen fühlen – gültiges Anzeichen einer echten Opposition.

El-Baradei reagiert mit seinen Spitzen und Anklagen, die er derzeit über Twitter an eine möglichst große Öffentlichkeit verbreiten will, auf konkrete, echte Vorfälle.

Am 6. April wurde von der Polizei eine Versammlung von Oppositionellen brutal niedergeschlagen und aufgelöst. Dabei wurde, wie anscheinend üblich, von der Polizei beinahe jeder Passant, der irgendwie in Reichweite war, verdroschen und/oder abgeführt (um später beim Verhör neuerdings verdroschen zu werden). Ein unerträglicher Willkürakt, eine Schande, protestiert El-Baradei über Twitter:

Consistent Reports of systemic torture by state security operatives is repugnant and inhumane it should cease immediately. Shame.

Proposed extension of emergency law that deprives Egyptians of basic human rights exposes a regime afraid of its own people. Shame.

Detentions and beatings during peaceful demonstration is an insult to the dignity of every Egyptian. Shame.

Am vergangenen Dienstag hatten sich Vertreter der Bewegung „6.April“, der Al-Ghad-Party und anderer oppositioneller Gruppen ("Kifaya") versammelt, um vor dem Parlament gegen Gesetze im Zusammenhang mit dem Ausnahmezustand zu protestieren, der Mubarak seit beinahe 30 Jahren größte Freiheit zur Willkür verschafft, und gegen Gesetze, die es den Konkurrenten der Mubarakschen Nationaldemokratischen Partei schwer machen, bei den nächsten Wahlen mit irgendeiner Aussicht anzutreten (siehe dazu Mubarak will bis zum Tod herrschen).

Die Staatsanwaltschaft ließ am nächsten Tag 33 der etwa 90 bis 100 Festgenommenen wieder frei. Menschenrechtsgruppen wie Amnesty International und Human Rights Watch hatten gegen das brutale Vorgehen protestiert. Hintergründigere Informationen über solche Vorgänge finden sich im Fall Ägyptens wie immer auf Blogs.

Wie gut – jenseits jeder mürbe machenden affirmativen Jubelorgie über neue Medien, mit der man hierzulande so oft eingeseift wird - Oppositionelle neue Kommunikationskanäle für nicht-manierierte, sinnvolle Darstellungen zu nutzen verstehen, führt das Video des al-Ghad-Parteichefs Ayman Nour vor, in er die Ereignisse vom vergangenen Dienstag drastisch schildert.

Dass sich Ayman Nour - wie auch Hamdin Sabahi von der Al-Karamah Partei - nun seine politischen Ansprüche als Präsidentschaftskandidaten der Opposition gegenüber der Galionsfigur El-Baradei geltend macht - "Wir haben dies mehr verdient" - gibt dem Kommentator von al-Ahram recht. Der hatte prophezeit, dass sich dem prominenten Seiteneinsteiger noch einige Hürden aus dem oppositionellem Lager selbst auftun würden.

Alaa al-Aswani: Ich wollt', ich würd' Ägypter. Lenos Verlag, 2009