Im Auge des Ikonos

Satellit fotografiert größte Menschenansammlung der Geschichte

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Sie sind extrem ungewöhnlich und einzigartig. Sie werden fraglos in der nächsten Auflage des Guinness-Buch-der-Rekorde dokumentarischen Niederschlag finden. Aber nicht nur die Bilder, sondern auch das hierauf abgelichtete Ereignis ist nicht minder ungewöhnlich. Aufgenommen wurden die Fotos von einem Satelliten, über den Telepolis vor einiger Zeit bereits mehrfach berichtete.

Eines vorweg; ein klassischer Irrtum, der immer wieder gerne kolportiert wird, sollte endlich einmal ausgeräumt werden: Entgegen allen anders lautenden Behauptungen ist die Chinesische Mauer, das weltweit größte jemals errichtete Bauwerk, von unserem lunaren Trabanten aus nicht zu sehen. Weder vom Mond noch von der Erde aus ist das acht" Weltwunder zu bestaunen. Selbst unter größten Anstrengungen haben die im Orbit schwebenden Astronauten von ihren Raumstationen und Shuttles nichts von dem 6000 Kilometer langem, an der höchsten Stelle 16 Meter hohen und 5 Meter breiten sagenumwobenen Gebilde sehen können. Das Kleinste, was sie bislang in der Erdumlaufbahn unter oder über ihnen mit bloßem Auge ausmachen konnten, waren die Pyramiden im Nil-Delta

Vor dem Badetag

Dass einzelne Menschen hingegen von dort oben ohne technisches Hilfsgerät erst recht nicht zu sehen sind, liegt in der Natur unserer begrenzten Sinne. Aber wie sieht es bei größeren Menschenansammlungen aus? Könnten wir diese mit unserem Sehorgan erfassen? Sind diese vielleicht vom Orbit aus als zu solche zu erkennen?

Auf Indien, mit mittlerweile mehr als 1 Milliarde Menschen das bevölkerungsreichste Land nach China (es wird 2045 bevölkerungsstatistisch China sogar überholen) fokussierte sich vor drei Wochen der private kommerzielle Spionagesatellit Ikonos. Der einsame Späher wurde stiller Zeuge eines ungewöhnliches Ereignisses. In einer Entfernung von genau 678 Kilometer zum Erdboden machte der Satellit die Probe aufs Exempel und schoss hochauflösende Bilder von der größten Menschenansammlung, die unser Planet jemals erlebt hat. Schätzungen zufolge sollen an der größten religiösen Feier der Welt, dem Maha Kumbh Mela Fest, sage und schreibe über 70 Millionen Menschen teilnehmen. Bei diesem spirituellen Ereignis, das alle zwölf Jahre 15 Kilometer von Allahabad am Zusammenfluss von Ganges und Yamuna stattfindet, nehmen gläubige Hindus ihr rituelles Reinigungsbad.

Wer an den 42-tägigen Feierlichkeiten persönlich nicht teilnehmen konnte, hatte zum ersten Mal die Chance, das Geschehen via Internet am Bildschirm verfolgen und die religiöse Reinigung auf virtuelle Weise vornehmen zu können. Wieviele Menschen von dieser Option jedoch ernsthaft Gebrauch gemacht haben, ist bis dato unbekannt.

Anders sieht dies bei den Bildern aus, die Ikonos am 23. Januar 2001, dem heiligsten Tag innerhalb der 42-tägigen Feierlichkeiten, aufgenommen hat. Experten gehen davon aus, dass hierauf bis zu 30 Millionen Menschen auf einem Schlag zu sehen sind. Tatsächlich liegen zum ersten Mal überhaupt Satellitenbilder in Höchstauslösung von einer Veranstaltung dieser Größenordnung vor.

Das erste Foto wurde vor dem Event aufgenommen. Hierauf ist das Gebiet zu sehen, in dem sich die "Sünder" aufhalten und ihre rituellen Reinigungen vollziehen. Man sieht den geographischen Bereich, wo die Flüsse Ganges und Yamuna mit den mythischen Saraswati Rivers zusammenlaufen.

Sieht man auf dem zweiten Bild das Geschehen rund um den heiligsten Tag des Maha Kumbh Mela Fests noch zu Tagesanfang, so zeigt die dritte Aufnahme den Höhepunkt der Feierlichkeiten Stunden später, an dem erwartungsgemäß das Gros der Gläubigen teilnimmt. Zu diesem Zeitpunkt sollen sich - wie bereits erwähnt - de facto bis zu 30 Millionen Menschen ins Wasser begeben haben, um sich von den Sünden frei zu waschen.

Ikonas, dem diese hochwertigen Digital-Fotos zu verdanken sind, ist der erste kommerzielle Spähsatellit. 1999 wurde er von der amerikanischen Trägerrakete "Athena" ins All gehievt. Zweimal am Tag umkreist er die Erde. Mittlerweile kann jeder die von ihm gemachten digitalen Aufnahmen, die früher nur Regierungen, Forschern und dem Militär zugänglich waren, käuflich erwerben. Gibt der zahlungsbereite Kunde ein Zielgebiet in Auftrag, tritt Ikonos sogar für Kleinstaufträge in Aktion.

Am Badetag

Der von der nicht ganz unumstrittenen amerikanischen Firma Spaceimaging (vgl.Kommerzieller hochauflösender Spionagesatellit ist verschwunden) produzierte Raumflugkörper ist in der Lage, jeden x-beliebigen Ort zu überfliegen und von jedem Quadratmeter der Erde Fotos zu machen. Konnten bisherige "zivile" Himmelsspäher nur Objekte ablichten, die größer als fünf Meter waren, so vermag Ikonos Gegenstände in der Größe von nur einem Meter auf der Erde zu erkennen. Selbst einzelne Menschen würde der Satellit orten können.

Einen Teil der Bilder, den der private Spionage-Satellit bislang produzierte, hat Spaceimaging ins Internet gestellt