Im Cyberspace wirken E-Mail-Adressen wie virtuelle Zuschauer

Wer eine E-Mail an mehrere Personen gleichzeitig adressiert, sollte kein enthusiastisches Echo erhoffen

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Masse allein macht's nicht. Der Sinn dieses Sprüchleins hat sich jetzt auch für den E-Mail-Verkehr bewahrheitet. Wer jemals glaubte, es sei günstig, bei dringenden Fragen, Mails an Je-mehr-Leute-desto-besser zu verschicken, der irrt.

Denn auch der Empfänger einer Mail will sich offenbar in seiner Einzigartigkeit bestätigt wissen. Sieht er sich als einen unter vielen, schwindet seine Lust zu antworten erheblich. Greg Barron, Psychologe am Technion Technology Institutein Haifa/Israel, ist dem Verhalten von E-Mail-Empfängern auf den Grund gegangen. Im New Scientist von kommendem Samstag berichtet er jetzt, dass wer dringende Anliegen schnöde als Serienbrief verpackt in den Cyberspace schießt, keine befriedigenden Antworten bekommen wird: “Jeder Adressat wird vermuten, dass der andere hilft."

Für ihren Verhaltenstest richteten Greg Barron und sein Kollege Eldad Yechiam einen Yahoo-Account für eine fiktive Studentin namens Sarah Feldman ein. Anschließend sandten sie E-Mails an 240 Forscher, Verwaltungskräfte und Studenten des Technion Technology Institute mit der Frage, ob das Institut über eine Biologie-Fakultät verfüge. Dabei waren die Adressaten in zwei Gruppen unterteilt. Gruppe eins erhielt eine E-Mail, in deren Adressfeld nur der eigene Name auftauchte, Gruppe zwei konnte im Adressfeld sehen, dass noch vier weitere Personen dieselbe Mail erhalten hatten. Das Ergebnis: Nur die Hälfte derer, bei denen mehrere Namen im Adressfeld aufgeführt waren, antwortete überhaupt, bei denen, die sich allein angesprochen fühlen konnten, lag diese Quote immerhin bei 74 Prozent. Außerdem gaben letztere sich auch am meisten Mühe mit ihrer Antwort: Fast ein Drittel von ihnen lieferte Antworten, die Barron und Yechiam als “sehr hilfreich" einstuften, weil sie über ein schlichtes “Ja, es gibt eine Biologie-Fakultät" hinaus auch weiterführende Informationen enthielten. In der anderen Gruppe war dies nur bei mageren 16 Prozent der Fall. Hier überwogen eher rüde Ratschläge an die fiktive Sarah im Stil von »Geh auf die Web-Seite und schau selber nach«.

Barron vergleicht dieses Verhalten mit den Schaulustigen am Ort eines Verbrechens. Sie fühlen sich nicht mehr verpflichtet einzugreifen, wenn sich dort noch andere Leute aufhalten.

Im Cyberspace kommen E-Mail-Adressen virtuellen Zuschauern gleich, deshalb kann es zu Unklarheiten in puncto Verantwortung kommen.