Im doppelten Griff der Angst

Der Horror von "Mädchensoldaten"

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300.000 Kindersoldaten weltweit. Diese Gruselzahl geistert seit einigen Jahren durch die Informationskanäle. Trotz der alljährlichen Aufklärungsberichte über die Misere der Kinder und der Ratifizierung internationaler Abkommen (vgl. dazu Resolutionen und Realitäten) dauert der Horror an: Laut einem aktuellen Bericht sind beinahe die Hälfte der Kinder, die zum Krieg gezwungen werden, Mädchen.

Üblicherweise denke man bei Kindersoldaten vor allem an Jungs, aber weltweit würden bis zu 120.000 Mädchen, einige von ihnen im Alter von acht Jahren, dazu gezwungen, aktiv an kriegerischen Handlungen teilzunehmen oder sich als "Sklavinnen" der männlichen Krieger zu verdingen. Da dieser Aspekt im Zusammenhang mit Kindersoldaten bislang kaum beachtet wurde, wollte der englische Zweig von "Save the Children" Genaueres in ihrem Bericht Forgotten Casualties of War über diese "Schattenarmee" in Erfahrung bringen.

Obwohl es seit einigen Jahren Programme der internationalen Gemeinschaft gebe, die es den Kinder erleichtern sollen, die bewaffneten Gruppen, denen sie sich meist aus Überlebensgründen angeschlossen haben bzw. dazu gezwungen worden sind, zu verlassen, helfen sie den Mädchen nur selten. Sehr viel häufiger stellen sie eher ein Hindernis für die Wiederintegration der jungen Mädchen dar, weil sie deren Stigma öffentlich machen. Die allermeisten Mädchen werden sexuell missbraucht, was sie in den Augen ihrer Familien und Gemeinschaften zu unehrenhaften Mitgliedern macht. Ihr Leben ist damit schon ruiniert, bevor sie überhaupt erwachsen sind.

Genaue Zahlen liefert auch dieser Bericht nicht; nach Schätzungen sind es etwa 120.000 Mädchen, die "bewaffneten Gruppen" (Regierungsarmeen wie Oppositionstruppen) angehören. Berichte darüber stammen aus Kolumbien, Osttimor, Pakistan, Uganda, den Philippinen, Sri Lanka, Kongo und Westafrika (Sierra Leone, Elfenbeinküste, Liberia). Im Kongo sollen es 12.500 sein und in Sri Lanka mehr als 21.500 Mädchen, die kämpfen, Trägerdienste leisten, Saubermachen, spionieren und als Sexsklavinnen missbraucht werden.

Die Schicksale der Mädchen ähneln sich; die meisten wurden von militanten Gruppen entführt, nur wenige haben sich freiwllig - aus "patriotischen" Gründen oder weil sie ihren armen Familien entkommen wollten oder ganz einfach, um überleben zu können, dazu entschieden, sich den Truppen anzuschließen. Die große Mehrheit von ihnen fallen Vergewaltigungen zum Opfer. Die Mädchen würden jedoch nicht nur sexuell missbraucht und als Sklavin an andere Soldaten weitergegeben, sondern auch zum Kämpfen gezwungen, so der Bericht. Schon vor zwei Jahren hätte die Hälfte der befragten Mädchen angegeben, dass ihre wichtigste Rolle die einer Kämpferin sei. Viele ihrer "Befehlshaber" betrachten sie als ihren "Besitz", was sie einer doppelten Bedrohung aussetzt. Während Jungs nach dem Ende der Auseinandersetzungen verpflichtungsgemäß formell entlassen werden und als "stolze Krieger" nachhause zurückkehren, werden die Mädchen von Militärs als Ehefrauen angesehen, die sich nur mit Flucht retten können. Gelingt diese, was selten genug geschieht, werden sie zuhause wie "Aussätzige" behandelt, als "gewaltbereite Personen", "schmutzig", promiske Troublemakers denunziert.

Die Mädchen sind in einem Zirkel der Gegenbeschuldigungen gefangen: fürchterliche Angst davor zu bleiben und fürchterliche Angst vor der Flucht.

Diese Angst, so das Leitmotiv des Berichts, führe dazu, dass sich nur ein äußerst geringer Prozentsatz der Mädchen (z.B. 2% im Intergrationsprogramm der "Save the Children"- Organisation in der Demokratischen Republik Kongo, 4,2% in Sierra Leone) traue, angebotene internationale Hilfsprogramme zur Wiedereingliederung in Anspruch zu nehmen. Die bisherigen Programme würden dies nicht genug berücksichtigen. Darüberhinaus böten sie nur kurzfristige Hilfe an, als einzig reale Alternative würde den meisten Mädchen zwangsläufig die Prostitution bleiben.