Immigranten (teilweise) unerwünscht

Nicht nur Europa, auch die USA zieht die Leitern um die Wohlstandsfestung hoch

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Nicht nur die EU zieht ihre Festungsmauern weiter hoch, um unerwünschte Einwanderer zurück zu halten (Ansturm auf die neue Mauer), auch die US-Regierung investiert viel Geld, um die realen und virtuellen Grenzen um die USA abzuschließen. Unter Druck steht die Bush-Regierung besonders von der konservativen Seite, die lange Grenze zu Mexiko besser zu sichern und die illegal Eingewanderten wieder aus dem Land zu weisen. Ursprünglich hatte die Bush-Regierung den Plan, für die illegal Eingewanderten, auf deren billige Arbeitskraft viele Wirtschaftszweige besonders im Süden des Landes angewiesen sind, eine Amnestie zu erlassen. Das aber stieß auf große Ablehnung in den Reihen der republikanischen Partei und allgemein unter den Konservativen, die eine stärkere Bewachung der Grenzen und eine umgehende Abschiebung fordern. Auch der derzeitige Plan, mit der besseren Abschließung der Grenze eine temporäre Arbeitserlaubnis einzuführen, stößt auf Widerstand.

In den USA sollen sich alleine 6 Millionen Mexikaner illegal aufhalten. Insgesamt wird geschätzt, dass über 10 Millionen Einwanderer illegal in den USA leben. Die meisten legalen und illegalen Einwanderer kommen aus Lateinamerika, allen voran eben Mexikaner. In Kalifornien stellen die Hispanos bereits die Bevölkerungsmehrheit, auch in anderen südlichen Staaten wird dies mehr oder weniger schnell geschehen, was bei weißen, angelsächsischen und protestantischen Bürger die Angst bewirkt, dass ihre Kultur und Sprache an den Rand gedrängt wird. Die Einwanderer, so die Argumentation weiter, machen, weil sie konkurrenzlos billig arbeiten, die Löhne kaputt und US-Bürger arbeitslos. Die Angst besteht auch, dass mit den illegal Zuwandernden die Kriminalität wächst, zumindest haben sich tatsächlich die Latino-Gangs wie die MS-13, die vornehmlich mit Drogen und Menschenschmuggel arbeiten, internationalisiert, so dass ihre Netzwerke von Mittelamerika über Mexiko bis weit in die USA hineinreichen (Krieg in den Städten).

The U.S.'s borders, rather than becoming more secure since 9/11, have grown even more porous. And the trend has accelerated in the past year. It's fair to estimate, based on a TIME investigation, that the number of illegal aliens flooding into the U.S. this year will total 3 million—enough to fill 22,000 Boeing 737-700 airliners, or 60 flights every day for a year. It will be the largest wave since 2001 and roughly triple the number of immigrants who will come to the U.S. by legal means. (No one knows how many illegals are living in the U.S., but estimates run as high as 15 million.)

Who Left the Door Open?, Time, 20. 9.2005

Der Heimatschutzminister Chertoff hat am Dienstag vor dem Rechtsausschuss des Senats angekündigt, alle an der Grenze festgenommenen Ausländer, die illegal in die USA gelangen wollten, umgehend wieder abzuschieben. Die bisher auch von knappen Kapazitäten wie zu wenigen Lagern bedingte Praxis, viele der Festgenommen frei zu lassen, die danach untertauchen, werde eingestellt. Man werde Zahntausende mehr Menschen sofort abschieben. Unter der Bush-Regierung seien seit 2001 über sieben Millionen Ausländer abgeschoben worden, während zur Grenzsicherung fast drei Milliarden Dollar mehr ausgegeben wurden, auch das Budget für die Grenzkontrolle sei jährlich um eine Milliarde größer geworden.

Allein der Grenzschutz (border patrol) mit einem Budget von 1,6 Milliarden Dollar hat innerhalb des letzten Jahres über eine Million Festnahmen gemacht und 600.000 Menschen daran gehindert, illegal ins Land zu gelangen. Fast alle der 900.000 Mexikaner seien "freiwillig" wieder über die Grenze gebracht worden, viele versuchen aber dann gleich wieder, über die Grenze zu kommen. In den USA wurden vom Immigration and Customs Enforcement (ICE) 140.000 Ausländer festgenommen und 130.000 abgeschoben. Bei nicht-mexikanischen Einwanderern gäbe es aber vor allem noch Probleme. Von den festgenommenen 160.000 hätten nur 30.000 abgeschoben werden können. Chertoff aber versicherte mit aller Entschlossenheit: ''Return every single illegal entrant - no exceptions.''

Dazu sollen nun die Gefängnisse ausgebaut, der Abschiebeprozess beschleunigt, die Ländern "aggressiv" unter Druck gesetzt, die Abgeschobenen aufzunehmen und die Rückflüge und Rückfahrten über Land effizienter organisiert. Kurz danach hat US-Präsident Bush das Haushaltsgesetz für das Heimatschutzministerium unterzeichnet, das damit in Kraft tritt. Hier sind nicht unerhebliche Erhöhungen vom Kongress bewilligt worden. So wird das Personal in allen betreffenden Abteilungen kräftig aufgestockt und vor allem die Grenze im Südwesten, über die am meisten illegale Einwanderer kommen, besser gesichert, beispielsweise durch weitere Bodensensoren und Infrarotkameras oder den Einsatz einer Predator-Drohne und vier weiteren unbemannten Überwachungsflugzeugen, aber auch durch Streichung von Umweltschutzauflagen. Insgesamt wurden 7,5 Milliarden Dollar zur Bekämpfung der illegalen Immigration bewilligt. Das Budget der Border Patrol wurde auf 2,3 Milliarden aufgestockt, wovon Tausend neue Angestellte bezahlt werden sollen und mehr Geld für Technik und Überwachung sowie zum Bau und zur Verbesserung des Grenzzauns und dessen Beleuchtung.

Grenzanlage bei Tijuana

Mit diesem Programm will die Heimatschutzbehörde, die in letzter Zeit vor allem aufgrund der katastrophalen Katastrophenbewältigung beim Orkan Katrina scharfe Kritik auf sich gezogen hat, bei den konservativen Wählern punkten. Die aber lehnen die andere Komponente, nämlich den Ausbau der legalen Einwanderung und die Einrichtung von temporären Arbeitsgenehmigungen, weiterhin ab. US-Präsident Bush hat sich auch in seiner Radioansprache zum Wochenende wieder für das Doppelprogramm stark gemacht: dichte Grenzen und Abschieben der illegalen Einwanderer für die einen und befristete Arbeitsgenehmigungen für die anderen. Die Regierung erklärt, dass nur eine stärkere Bewachung der Grenze, eine Verfolgung der Einwanderer und deren strikte Abschiebung alleine nicht funktionieren werden.

Man müsse aber auch eine kontrollierte und legale Einwanderung zulassen, da dies wirtschaftlich erfordert wird. So sollen Ausländer, die Arbeit annehmen, die kein US-Bürger machen will, eine befristete Arbeitserlaubnis von drei oder sechs Jahren erhalten. Das würde den Druck von den Grenzen nehmen, der US-Wirtschaft dienen, keinen Arbeitsplatz für US-Bürger vernichten und Ressourcen für die Verfolgung der illegal Eingewanderten frei machen. Vorgesehen ist auch, dass unter bestimmten Bedingungen auch Ausländer, die sich illegal in den USA aufhalten, dafür bewerben können. Sie müssten allerdings zuvor eine Strafe zahlen und würden ans Ende der Bewerbungslisten gestellt, da man diejenigen vorziehen will, die auf legale Weise ins Land kommen. Die Ausländer mit einer Arbeitsgenehmigung würden einem Arbeitgeber zugeteilt werden. Um ihre Ein- und Ausreise und ihre Bewegung in den USA besser verfolgen zu können, sollen sie auch einen biometrischen Ausweis erhalten. Sie sollen dann auch frei sich im Land bewegen und ein- und ausreisen können, solange sie eine Arbeit haben und nicht straffällig wurden. Allerdings hätten sie keine Chance, eine permanente Aufenthaltserlaubnis nach dem Ablauf ihrer Arbeitsgenehmigung zu erhalten.

Kritiker wenden wohl zurecht ein, dass es dann schwierig werden dürfte, die Billigarbeiter nach Abschluss der Arbeitsgenehmigung wieder aus dem Land zu bekommen. Wenn es ihnen nach Ablauf der Arbeitsgenehmigung prinzipiell verwehrt wäre, sich um eine permanente Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis zu bewerben, dürfte die illegale Einwanderung weiterhin attraktiver bleiben. Die mit dem Programm einhergehende teilweise Amnestie für illegal Eingewanderte stört Kritiker besonders. Konservative Republikaner sind eher dafür, alle illegal Eingewanderten aufzugreifen und abzuschieben, liberalere Politiker schlagen vor, dass illegal Eingewanderte, die keine Gesetzesübertretungen begangen haben, eine Chance zu geben, dauerhaft in den USA bleiben zu können.

Bush will einen Kompromiss zwischen der harten Position der Abschiebung und der Grenzverstärkung und der weichen der Amnestie. Die Bedenken der Gegner der temporären Arbeitserlaubnis sucht er zu zerstreuen, indem er sagt, dass die Kontrolle der Arbeitsplätze entsprechend verschärft werden müsse. Damit würde der Staat mit der Bush-Regierung, die angeblich die Freiheit und die Marktwirtschaft mit möglichst wenig Staat und Bürokratie anstrebt, weiterhin mehr Macht erhalten und die Überwachung ausdehnen. Und nur mit einem ungeheuren bürokratischen Aufwand ließe sich klären, ob Arbeitsplätze nicht von US-Bürgern angenommen werden, ebenso aufwändig wäre die Kontrolle der legal Arbeitenden.