In der Roten Zone

Jürgen Todenhöfer über Propaganda-Lügen, eingebetteten Journalismus und die Macht der Bilder

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Jürgen Todenhöfer

Herr Todenhöfer, jeder kennt das Foto der US-Soldatin Lynndie England aus dem Militärgefängnis von Abu Ghraib: Sie zerrt einen nackten Iraker an einer Hundeleine über den Boden. Diese Szene wurde zum Symbol für die Erbarmungslosigkeit der Amerikaner im Irak-Krieg. Braucht man derartige Bilder, um dagegen mobil zu machen?

Jürgen Todenhöfer: Ich bin überzeugt davon, dass man den Krieg nur mit Bildern erklären kann, weil Worte die Grausamkeit selten ausreichend beschreiben können und Menschen oft an ihrem Wahrheitsgehalt zweifeln. Fotos aus Abu Ghraib oder aus dem Algerienkrieg, von französischen Soldaten, die abgeschlagene Köpfe in den Händen halten oder von Bauern, deren Gesichter von Napalmbomben verbrannt wurden, erzielen eine ganz andere Wirkung. Solche Bilder können die Welt verändern – weil sie die Wahrheit zeigen.

Sie können aber auch Rache provozieren. Hat die Veröffentlichung der Folterbilder nicht zu weiteren Gewalttaten geführt und zahlreiche Amerikaner sowie irakische Zivilisten das Leben gekostet?

Jürgen Todenhöfer: Natürlich gab es diese Reaktionen. Aber wäre es nicht entsetzlich, wenn wir aus Angst vor den Folgen die Wahrheit nicht zeigen dürften? Wer politisch gegen die amerikanische Besetzung argumentieren und die Demütigungen von Gefangenen nicht hinnehmen will, kann auf solche Bilder nicht verzichten.

Die Medien haben demnach mit der Veröffentlichung der Fotos aus dem Abu-Ghraib-Gefängnis alles richtig gemacht?

Jürgen Todenhöfer: Im Großen und Ganzen schon. Ich denke, man hätte die Blöße der Gefolterten auf den Fotos vor der Veröffentlichung besser verdecken sollen, um sie nicht noch einmal zu entwürdigen. Doch grundsätzlich war die Veröffentlichung gerechtfertigt. Diese Bilder sind bedeutsame Dokumente dieses Krieges und spiegeln keineswegs eine Ausnahme wider.

Von meinen Reisen in den Irak weiß ich: Es gibt nicht nur ein Abu Ghraib – es gibt Hunderte. Und überall werden die Gefangenen unmenschlich behandelt. Ich habe mit zahlreichen jungen Irakern gesprochen, die mir von unvorstellbaren Grausamkeiten berichtet haben. Von einer Begebenheit habe ich lediglich aus einer Zeitschrift erfahren. Doch diese sehr detaillierte Beschreibung hat sich auch ohne Bilder tief in mein Gedächtnis eingebrannt: Einer der kommandierenden Generäle der irakischen Armee, der von den Amerikanern gesucht wurde, hatte sich den US-Streitkräften gestellt. Sicherlich erhoffte er sich davon, in der Kriegsgefangenschaft anständig behandelt zu werden. Dieser General wurde als Erstes von amerikanischen Soldaten zusammengeschlagen. Man steckte ihn in einen Sack, ein schwergewichtiger Soldat ließ sich so oft auf ihn fallen, bis der General sich nicht mehr regte. Er war tot. Der Soldat kam mit einer lächerlich geringen Strafe davon.

Jürgen Todenhöfer wird am 12. November 1940 im badischen Offenburg als Sohn eines Amtsrichters geboren. Nach dem Abitur 1959 studiert er Rechts- und Staatswissenschaften an den Universitäten München, Paris, Bonn und Freiburg im Breisgau, wo er 1969 promoviert. Anschließend arbeitet er als Richter am Strafgericht Kaiserslautern. 1972 zieht Todenhöfer für die CDU in den Bundestag ein. Er ist zunächst Sprecher seiner Fraktion für Entwicklungspolitik, später Mitglied des Auswärtigen Ausschusses und von 1982 bis 1989 abrüstungspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion. Ende der achtziger Jahre wird Jürgen Todenhöfer stellvertretender Vorsitzender der Burda GmbH Geschäftsführung und der Burda Holding. 1990 scheidet er aus dem Bundestag aus und übernimmt 1996 bei Burda das Ressort Verlage. Ende 2008 endet seine Tätigkeit im Konzern. Für die Recherche seiner Bücher ist Todenhöfer mehrfach in den Irak gereist. Die drei Titel "Wer weint schon um Abdul und Tanaya?" (2003), "Andy und Marwa" (2005) sowie "Warum tötest du, Zaid?" (2008) wurden Bestseller. Jürgen Todenhöfer hat drei Kinder.

Die amerikanische Regierung deklarierte Gräueltaten wie diese als bedauerliche Einzelfälle, von denen sie nichts gewusst habe. Andere Stimmen, wie zum Beispiel auch der US-Reporter Seymour Hersh, behaupten, die Regierung habe von der Misshandlung irakischer Gefangener Kenntnis gehabt.

Auch ich bin überzeugt davon, dass diese Foltermethoden bekannt waren. Mit Sicherheit liegen der amerikanischen Regierung noch zahlreiche ähnliche Fotos vor, die nicht ihren Weg in die Öffentlichkeit gefunden haben. In jedem Fall bin ich der Ansicht, dass die US-Regierung die Verantwortung für die Folterskandale trägt, denn sie sind auch Ausdruck der Überforderung junger Soldaten – die unter Vorspiegelung falscher Tatsachen in diesen Krieg geschickt wurden. Die eigentlich Schuldigen sind diejenigen, die diesen Krieg begonnen haben.

Die zum Tatzeitpunkt 21 Jahre alte Lynndie England wurde wegen der Misshandlung von Häftlingen von einem Militärgericht zu einer dreijährigen Haftstrafe verurteilt – Ihnen zufolge zu Unrecht?

Da haben Sie mich falsch verstanden: Natürlich hat England Schuld auf sich geladen und deshalb eine harte Strafe verdient. Aber sie war auch ein überforderter Mensch, weit weg von der eigenen Kultur und den Regeln ihres Heimatlandes. Plötzlich hatte sie Macht über fremde Menschen und offenbar nie zuvor gelernt, damit umzugehen.

Der Krieg scheint nicht nur die Menschen, sondern auch die bis dahin gültigen Regeln, an denen sie sich orientieren, zu verändern. Dinge, die im eigenen Land verboten sind, erscheinen im Kriegseinsatz als ehrenwerte Handlung. Auf einmal ändern sich – von höchster Stelle abgesegnet – die moralischen Maßstäbe. So sagte etwa der amtierende amerikanische Präsident George W. Bush, das sogenannte Waterboarding sei erlaubt. Man presst seinem Opfer ein Tuch auf das Gesicht, das ständig mit Wasser übergossen wird. So entsteht das Gefühl des Ertrinkens. Das ist Folter – keine Frage. Im Zweiten Weltkrieg hat die amerikanische Führung japanische Kriegsgefangene zu Höchststrafen verurteilt, wenn sie amerikanische Soldaten mit dieser Methode gefoltert hatten. Damals war Waterboarding in den Augen der Amerikaner ein Kriegsverbrechen. Und heute soll das auf einmal anders sein?

Was ist Ihrer Meinung nach der größte Skandal des Irak-Krieges?

Jürgen Todenhöfer: Es sind zwei große Skandale. Der größte ist in meinen Augen der grundlose Überfall auf einen Staat, bei dem unzählige Zivilisten getötet wurden. Der zweitgrößte sind die bodenlosen Lügen, mit denen dieser Überfall gerechtfertigt wurde. Ich bin kein Anhänger von Verschwörungstheorien, aber ich glaube, die amerikanische Regierung hatte lange vor 9/11 geplant, im Irak zu intervenieren. Wie beim Afghanistan-Krieg im Jahr 2001 bestand der Trick darin, allen Militäraktionen, die man für richtig hielt, das Etikett "Antiterrorkrieg" aufzukleben. Zusätzlich wurde das Gerücht gestreut, Saddam Hussein verfüge über Massenvernichtungswaffen – eine Lüge, wie George W. Bush später zugeben musste. Es war außerdem klar, dass der Irak mit den Terroranschlägen am 11. September 2001 in New York nichts zu tun hatte.

Das heißt, der Krieg war Ihrer Ansicht nach kühl kalkuliert und wurde propagandistisch vorbereitet, um die Öffentlichkeit davon zu überzeugen?

Jürgen Todenhöfer: Vor jedem Krieg läuft eine Gräuelmaschine an. Diese Technik haben die Amerikaner nicht erfunden, das wurde schon immer so gemacht. Wenn Sie in der Zeitung lesen, dass irgendein Diktator angeblich getötete Kinder im Kühlschrank hat oder Gegnern Ohren und Nasen abschneidet, können Sie gewiss sein: Es geht bald los.

Damit die Bevölkerung für einen Krieg gewonnen wird, muss gezeigt werden, dass der Gegner ein bad guy, besser noch ein Monstrum ist. Diese Bestie wird entweder zur Gefahr für das eigene Land oder zur Bedrohung für andere wehrlose Menschen deklariert. Und gegen Monster darf man kämpfen. Schon ist so die psychologische Grundlage für eine – angeblich ganz und gar selbstlose – Kriegserklärung geschaffen.

Die Hälfte der amerikanischen Bevölkerung glaubt noch immer, dass Saddam Hussein hinter den Anschlägen auf das World Trade Center steckt, obwohl das Unsinn ist. Die Notwendigkeit des Krieges wurde hochdramatisch dargestellt: "Saddam hat Waffen, er wird uns angreifen – und wir müssen ihm zuvorkommen." Da ist auf unverantwortliche Weise Angst geschürt worden. Und nun wird ebenso dreist Angst vor dem Iran geschürt. Es wird so getan, als könnte der Iran die USA mit Nuklearwaffen angreifen. Doch das ist Blödsinn. Die Iraner wissen, dass Amerika sofort zurückschlagen würde – mit dem Atomwaffen-Arsenal der USA könnte jeder einzelne Einwohner Irans Hunderte Male zu Asche gebombt werden. Dieses Risiko geht doch niemand ein. Wer als Erster schießt, stirbt als Zweiter.

So stellte der ehemalige US-Außenminister Powell vor den Vereinten Nationen die angeblichen mobilen Biowaffenlabors von Saddam Hussein vor.

Nur stellt sich die Frage, ob ein Mann wie der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad der öffentlich davon fantasiert, Israel von der Landkarte zu tilgen, so rational kalkuliert. Aber einmal abgesehen davon: Warum sind die Menschen Ihrer Ansicht nach so empfänglich für die von Ihnen kritisierten Propagandatricks?

Jürgen Todenhöfer: Zum einen interessieren sich die Leute heute zu wenig für Politik. Das war etwa zu Zeiten des Vietnamkriegs ganz anders. Und zweitens wird die Öffentlichkeit viel erfolgreicher an der Nase herumgeführt. Es ist ungleich schwieriger, über den Irak-Krieg zu berichten als früher über den Vietnamkrieg.

Fast alles, was wir aus dem Irak hören und lesen, ist vom Pentagon gesteuert. Die meisten Journalisten können sich in diesem Kriegsgebiet nicht frei bewegen. Ihre einzige Chance ist es, sich dem amerikanischen Militär als sogenannte embedded journalists anzuschließen. Es versteht sich von selbst, dass die Amerikaner diese Journalisten hinführen können, wohin sie wollen. Interviews mit der irakischen Bevölkerung werden vom Militär überwacht. Neben den Befragten steht meist ein Soldat mit einer Maschinenpistole. Natürlich erhält man als Journalist keine authentischen Interviews, wenn das Gegenüber bei unerwünschten Antworten fürchten muss, Ärger zu bekommen. Selbst die Journalisten, die sich intensiv um Neutralität bemühen, haben es schwer, denn die amerikanischen Presseoffiziere und Soldaten nehmen natürlich Einfluss. Das geschieht unterschwellig; mit der Zeit stellt sich auf derartigen Reisen in Krisengebieten ein Zusammengehörigkeitsgefühl zwischen Journalisten und Soldaten ein. Man erlebt gemeinsam Gefahren und hilft sich gegenseitig. Eine objektive Berichterstattung ist unter solchen Bedingungen nicht möglich. Deshalb findet der echte Irak-Krieg in den Medien nicht einmal ansatzweise statt.

Wie sieht dieser echte Krieg aus?

Jürgen Todenhöfer: In den Medien wird täglich von zwei bis drei Anschlägen durch al-Qaida berichtet. Aber nicht von den 50 Militäraktionen der Amerikaner pro Tag und auch nicht von den mindestens ebenso vielen Aktionen des irakischen Widerstands. Doch erstens sind diese al-Qaida-Terroristen keine Iraker, und zweitens ist al-Qaida im Irak lediglich eine Randgruppe von weniger als tausend Kämpfern. Der echte Krieg findet zwischen etwa 300.000 amerikanischen Soldaten und über 100.000 irakischen Widerstandskämpfern statt, die sich berechtigterweise gegen die amerikanischen Besatzer zur Wehr setzen und keine Zivilisten töten. Stattdessen zeigen uns die Medien die von ausländischen Terroristen verübten Anschläge und behaupten, dies sei der wahre Krieg. Dies ist eine absurde Irreführung der Öffentlichkeit.

Wir können diese Behauptung nicht überprüfen, und vielleicht ist diese Unüberprüfbarkeit von Fakt und Fiktion überhaupt das zentrale Merkmal der Medien- und Inszenierungsgesellschaft, in der wir leben. Aber wir wissen: Journalisten – die unverdächtig sind, vom Pentagon ferngesteuert zu sein – berichten, dass der Hass zwischen Sunniten und Schiiten heute das größte Problem des Iraks sei. Und dass viele Menschen einen vorzeitigen Abzug der Amerikaner fürchten, weil dann die Gewalt erst recht explodieren könnte. Liegen diese Journalisten alle falsch?

Jürgen Todenhöfer: Ich will Journalisten, die sich um ein eigenes Bild bemühen, auf keinen Fall kritisieren. Seit Beginn des Irak-Krieges sind mehr als 200 Journalisten dort getötet worden. Sie haben sich ihre Informationen unter allerhöchstem Risiko erkämpft. Um eine objektive Berichterstattung zu erreichen, müsste ein Journalist jedoch ausgiebig das Kriegsgebiet bereisen – und zwar außerhalb der so genannten Grünen Zone, dem gesicherten Bereich im Zentrum Bagdads.

Wer aber aus der Roten Zone, das heißt aus Kampfgebieten ohne amerikanischen Schutz, berichtet, setzt sein Leben aufs Spiel. Ich tue das alle drei Jahre, weiß meine Familie versorgt und hoffe immer, gesund zurückzukommen. Und was das Verhältnis von Sunniten und Schiiten anbelangt – die haben vor dem Krieg friedlich zusammengelebt. Sie sind erst durch die US-Besatzer nach dem Motto "divide et impera", teile und herrsche, aufeinandergehetzt worden.

Auf der einen Seite beschreiben Sie die Machtlosigkeit der Medien, die von der US-Regierung instrumentalisiert würden, andererseits sprechen Sie ihnen enormen Einfluss zu. Dem Medium Magazin sagten Sie: "Es wird die Presse sein, die diesen Wahnsinnskrieg beendet." Wie stellen Sie sich das vor?

Jürgen Todenhöfer: Dieser Krieg wird von einer Demokratie geführt, er braucht die Zustimmung des amerikanischen Volkes. Wenn die Berichterstattung zu negativ wird, wenn immer wieder Bilder der Kinder zu sehen sind, die durch Bomben und Granaten des US-Militärs sterben, kann dieser Krieg irgendwann nicht mehr weitergeführt werden.

Dieser Krieg der Bilder scheint auch Ihre persönliche Strategie zu sein. In Ihren drei Büchern zum Thema beschreiben Sie stets anschaulich die Einzelschicksale von Kindern und Jugendlichen.

Jürgen Todenhöfer: Ich tue das, um begreifbar zu machen, was wirklich geschieht. Abstrakte Nachrichten erreichen die meisten Menschen nicht. Wenn ich aber konkret Geschichten junger Menschen erzähle, werden die Menschen aufmerksam, weil sie selbst Kinder haben, kennen oder waren. In meinem zweiten Buch ging es um Marwa, ein zwölfjähriges, irakisches Mädchen, das am 7. April 2003 durch eine amerikanische Splitterbombe ein Bein verlor. Ihre kleine Schwester Azra wurde getötet. Als ich von ihrem Schicksal erfuhr, habe ich im Internet die amerikanische Seite "Fallen Heroes Memorial" aufgerufen, um zu sehen, welche amerikanischen Soldaten am 7. April 2003 gefallen sind. Es waren acht. Die Mütter von zweien habe ich angerufen. Letztlich entschied ich mich, die Geschichte von Andy zu erzählen. Das Gesicht dieses Jungen hatte mich sehr bewegt, weil er noch so unglaublich jung war. Er starb im Alter von 18 Jahren. Also bin ich den Schicksalen dieser beiden jungen Menschen nachgegangen. Ich glaube, dass man komplizierte Sachverhalte nur auf diese Weise erklären kann. Und ich möchte, dass die Menschen die Wahrheit erfahren.

Sie sind jemand, der unter Lebensgefahr versucht, Bilder zu produzieren und Szenen zu schreiben, die den Krieg beenden helfen. Wenn man – Sie waren im Hauptberuf Medienmanager – weiß, wie effektive Kommunikation funktioniert, ist man dann selbst manchmal versucht zu übertreiben – einfach um der richtigen Botschaft zum Durchbruch zu verhelfen?

Jürgen Todenhöfer: In meinen Büchern habe ich oft untertrieben. Stellen, die ich im Gespräch als besonders schlimm empfand, habe ich versucht, meinen Lesern ganz nüchtern und emotionslos zu schildern. In Wirklichkeit war alles viel grausamer.

Die Fotos, die Sie in Ihrem jüngsten Buch veröffentlichten, sprechen eine andere Sprache. Dort zeigen Sie schwer verwundete irakische Kinder ohne Gliedmaßen oder französische Soldaten im Algerienkrieg, die abgeschlagene Köpfe wie Trophäen in den Händen halten. Warum?

Jürgen Todenhöfer: Weil diese Bilder die Wahrheit über den Krieg erzählen. Ich habe sie lange in Archiven gesucht, sie wurden von Zeitungen nicht veröffentlicht, weil sie zu grausam seien. Doch ich halte sie für bedeutsam.

Ihre Recherchen im Irak wären nicht möglich ohne die Unterstützung von Einheimischen, die ihre eigenen – möglicherweise nicht immer ehrenwerten – Interessen verfolgen. Mit einer Familie haben Sie mehrere Tage zusammengelebt. Lassen Sie sich nicht ebenso beeinflussen wie die ins amerikanische Militär eingebetteten Journalisten?

Jürgen Todenhöfer: Man wird immer von den Menschen beeinflusst, mit denen man zusammen ist. Und ich musste tatsächlich aufpassen, nicht vorschnell Partei zu ergreifen. Wie leicht man sich manipulieren lässt, habe ich während meiner Tätigkeit als Richter gelernt: Las ich die Schriftsätze des Staatsanwalts, wollte ich den Beschuldigten oft streng bestrafen. Studierte ich anschließend die Schriftsätze des Verteidigers, hätte ich den Angeklagten am liebsten in die Arme geschlossen und adoptiert. Seitdem weiß ich: Man muss sich stets zwingen, beide Seiten zu hören.

Für mein jüngstes Buch war ich fünf-, sechsmal in der Region. Ich sprach mit der Bevölkerung, irakischen Widerstandskämpfern, Journalisten, Frauenrechtlern, Kommunisten, Saddam-Anhängern und -Gegnern. Zurück in Deutschland las ich alle Presseartikel über die Region. Alle waren von embedded journalists verfasst worden und schilderten das exakte Gegenteil von dem, was ich vor Ort erfahren hatte. Dann machte ich die Leute, mit denen ich bei meinen Reisen gesprochen hatte, telefonisch auf Widersprüche in ihren Aussagen aufmerksam – das waren zum Teil sehr erregt geführte Telefonate. Anschließend fuhr ich noch einmal nach Jordanien und Syrien, um die Fakten zu überprüfen. Am Ende war ich der Auffassung, der Wahrheit ziemlich nahegekommen zu sein.

Sie sind Ehren-Oberst der US-Armee. Gab es Reaktionen auf Ihren öffentlichen Feldzug gegen den Irak-Krieg?

Jürgen Todenhöfer: Zunächst ein Wort zur Vorgeschichte. Mein erster Wahlkreis als CDU-Politiker war Kaiserslautern, wo sich einer der weltgrößten Truppenstützpunkte der US-Armee befindet. Die Amerikaner spielen dort eine große Rolle und haben viele Kontakte zur Bevölkerung. Es ist Tradition, dass der Oberbürgermeister und die Abgeordneten des Wahlkreises zum Ehren-Obersten ernannt werden. Ich bin daraufhin jährlich zu den Ehren-Oberst-Treffen eingeladen worden und auch manchmal gegangen – auch nach der Veröffentlichung meiner Bücher. Und ich habe festgestellt, dass die eingeladenen Generäle wenig Ahnung hatten, weil sie offenbar keine Bücher lesen – zumindest keine deutschen Bücher. Auch dieses Jahr wurde ich wieder eingeladen.

Was hält eigentlich Ihr langjähriger Freund Hubert Burda, dessen Verlag Sie leiteten, von Ihren Büchern?

Jürgen Todenhöfer: Das ist die einzige Frage, auf die ich nicht antworten möchte.

Hat Ihre Familie schon einmal versucht, Ihren Reisepass zu verstecken, um die gefährlichen Reisen zu unterbinden?

Jürgen Todenhöfer: Meine Frau, von der ich seit Jahren getrennt lebe, macht mich immer wieder darauf aufmerksam, dass ich der Vater von drei Kindern bin. Das vergesse ich auch nicht. Man kann aber nicht sein ganzes Leben darauf achten, zu überleben.

Dieses Interview ist ein Auszug aus: Jens Bergmann/Bernhard Pörksen (Hrsg.): Skandal! Die Macht öffentlicher Empörung. Gespräche mit Sascha Anderson, Ulrich Beck, Erich Böhme, Michel Friedman, Natascha Kampusch, Gabriele Pauli, Matthias Prinz, Günter Wallraff u.v.a. Köln: Herbert von Halem Verlag; rund 320 Seiten; 18 Euro. Erscheinungstermin: Februar 2009