Indien: Und plötzlich ist der Ganges sauber

Der Ganges ist so heilig wie verschmutzt. Foto: Gilbert Kolonko

Modi will die deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit dafür benutzen, ein gebrochenes Wahlversprechen von 2014 in Propaganda für die Parlamentswahlen 2019 zu verwandeln

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Mit rührenden Sätzen wie: "Mutter Ganges hat mich gerufen" bekräftigte Narendra Modi nach seinem Wahlerfolg 2014 an den Ufern des "heiligen" Ganges in Varanasi seine "göttliche" Aufgabe, den Fluss aller Flüsse zu reinigen. Ein Jahr später verabschiedete die Regierung einen Fünfjahresplan zur Reinigung des Ganges mit einem Etat von 3,2 Milliarden US-Dollar - Modis Ego-Projekt, der bullet train zwischen Bombay und Ahmedabad, verschlingt dagegen 18 Milliarden US-Dollar.

Eine Studie der Aufsichtsbehörde (CAG) des Ganges-Reinigungsprojektes stellt der Regierung nun ein vernichtendes Zeugnis aus: In den ersten drei Jahren wurden die zur Verfügung gestellten Gelder nur zu 8%, 37% und 63% ausgeschöpft. Wasserproben belegen, dass der Ganges an vielen Stellen weniger Sauerstoff enthält als 2013, aber dafür stärker verschmutzt ist. An nur zwei Stellen des 2600 Kilometer langes Ganges konnten die Wasserproben zumindest Badequalität bescheinigen - in Rishikesh und in Haridwar.

Genau für diesen Bereich hat die von Modis Bharatiya-Janata-Partei gestellte Regionalregierung im Bundesstaat Uttarakhand nun deutsche Firmen und die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) beauftragt, bei der Flussreinigung zu helfen. Doch obwohl in der Regel schon Absichtserklärungen in der indischen Politik medial als sensationelle Erfolge verkauft werden, gab es in diesem Fall nur kleine Randnachrichten.

"Das ist wieder typisch Modi. Dreieinhalb Jahre fielen die praktischen Anstrengungen der Regierung in Sachen Gangesreinigung sogar hinter der Vorgängerregierung zurück - und pünktlich für die Wahlen 2019 bereitet er mit Hilfe der Deutschen eine erneute Wahlpropaganda vor", sagt Dr. Gopal Krishna gegenüber Telepolis. Als Wasserexperte arbeitet er seit Jahren mit dem Ganga Protection Committee zusammen und ist der Herausgeber von Toxics Watch:

Die Reinigung des Ganges benötigt die Zusammenarbeit von zwölf indischen Bundessstaaten und vier Ländern (Indien, China, Nepal Bangladesch). Dazu müssen sich die Regierungen, Geldgeber (Banken), Firmen die am Ganges angesiedelt sind und die Firmen, die die Reinigung ausführen, absprechen. Es geht nicht einfach 'nur' darum, Wasser zu reinigen, sondern ein dauerhaftes System zu installieren, das auch zukünftige Verschmutzungen verhindert. Aber auch darin hat die Regierung bisher komplett versagt. Modi mag einen Teil seiner Wähler blenden können, wenn er ihnen 2019 erzählen wird, dass er den oberen Teil des Ganges gereinigt hat, aber uns Wissenschaftler kann er nicht täuschen.

(Dr. Gopal Krishna)

Chandni Sooad, die Direktorin von Waterneer Delhi, einem Unternehmen, das Wasserreinigungsanlagen verkauft, sieht ähnliche Probleme wie der Doktor:

Technisch ist es überhaupt kein Problem, den Ganges in vier bis fünf Jahren zu reinigen. Seit Jahren bieten wir in Indien Wasserwiederaufbereitungsanlagen der neusten Generation an. Doch nicht einmal bei den Bauherren der smart cities ist ein Problembewusstsein vorhanden. Wir bräuchten eine groß angelegte Aufklärungskampagne der Regierung, um die Bürger und Firmen mit einzubinden. Gesetzte, die verbieten, Abwässer ungeklärt in die Flüsse zu leiten, gibt es schon - aber die meisten Firmen sehen diese Gesetzte nur als finanzielle Hürde an, die man so günstig wie möglich umgeht. Ohne Aufklärung und höhere finanzielle Unterstützung der Regierung wird sich auf Dauer kein funktionierendes System zur Wasserreinigung implementieren lassen.

(Chandni Sooad)
Die Reinigung eines Stadtkanals ist ohne System eine Sisyphusarbeit -am Ende landet das meiste eh im Ganges. Foto: Gilbert Kolonko

Narendra Modi hat noch ganz andere Verdrehungen der Wahrheit auf Lager, das zeigen etliche Vorfälle im Zusammenhang mit der Wahl im Dezember 2017 in Gujarat. Auch hier zeigte sich, dass der Bundestaat, den Modi 13 Jahre als Ministerpräsident regierte, nicht der angebliche indische Vorzeigebundestaat ist, zu dem ihn die BJP hochstilisierte. Vom Wachstum profitierten in Gujarat nur wenige - und ob Bildung oder Gesundheit: In fast allen Studien landete Gujarat im Landesvergleich nur im Mittelfeld.

Schwieriges Verhältnis zu Pakistan

So sah es bei den Gujarat-Wahlen 2017 nach einem Kopf-an-Kopf-Rennen mit der Kongresspartei aus. Doch ein paar Tage vor der Stimmenabgabe erzählte Modi den Menschen, dass ihn die "Pakistaner" mit Hilfe der indischen Kongresspartei ermorden wollten. Dabei bezog er sich auf eine Aussage des Kongressabgeordneten Mani Shankar Aiyars aus dem Jahr 2015. Aiyars hatte damals im pakistanischen Fernsehen gesagt, dass die indisch-pakistanischen Beziehungen nicht besser würden, so lange Modi im Weg sei - eine Meinung die viele Indien- und Pakistan-Experten vertreten. Zwei Jahre tat Ministerpräsident Modi nichts gegen diese angebliche "Todesdrohung", sondern holte sie passend zur Wahl in Gujarat wieder hervor.

Auch der Hugli in Kolkata gehört noch zum System-Ganges. Foto: Gilbert Kolonko

Dazu setzte Modi wieder Muslime in Indien mit Pakistanern gleich. Dann putschte er verbal ein alljährliches privates Treffen zwischen hochrangigen ehemaligen indischen und pakistanischen Regierungsvertretern zu einer Verschwörung hoch. Seit Jahren versuchen einige indische und pakistanische Diplomaten in Gesprächen einen Weg zu finden, das festgefahrene Verhältnis der verfeindeten Nachbarn zu verbessern. Beim letzten Treffen am 6. Dezember 2017 war auch der ehemalige indische General Deepak Kapoor anwesend. Trotzdem schimpfte Modi öffentlich, dass die Teilnehmer des Friedensdialogs in Wirklichkeit den Sturz seiner Regierung planten.

Dass Modi diese Verschwörungstheorien selbst glaubt, ist nicht zu erwarten - ansonsten müsste man sich fragen, warum er die letzten drei Jahre als amtierender Ministerpräsident, dieser "Verschwörung" tatenlos zuschauen konnte. Vielmehr passt seine Rhetorik zum Hindunationalismus der Regierung. Erst letzte Woche stellte Unterbildungsminister Satayapal Singh wieder Darwins Evolutionstheorie in Frage: "Hat irgendjemand in der Menschheitsgeschichte beobachtet, wie ein Affe in den Wald ging und als Mensch herauskam", fragte der Minister öffentlich. Dass der indische Premierminister mit der Mutter Ganges spricht, wird dagegen nicht in Frage gestellt.

Wenn der Ganges nur überall so sauber wäre wie oberhalb von Rishikesh. Foto: Gilbert Kolonko

Doch die Stimmung in Indien dreht sich. Den landesweiten Übergriffen von Hindufanatikern gegenüber Muslime wird auch in den indischen Medien mehr Platz eingeräumt. Auch berichten sie wieder äußerst freundlich über Rahul Gandhi, Modis einzigen politischen Gegenspieler auf nationaler Bühne. Da hinter den meisten indischen Medien Konzerne und einflussreiche Personen stehen, ist das ein Zeichen dafür, dass einige von ihnen wieder zweigleisig fahren.