Indiens Atomtests im blinden Fleck?

Eine Schmach für den amerikanischen Geheimdienst

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Es ist doch erstaunlich, daß in unserer scheinbar so transparenten, vernetzten, überwachten und globalen Welt immer wieder etwas geschehen kann, das selbst die technisch hochgerüsteten Geheimdienste weder zuvor noch zum Zeitpunkt des Ereignisses bemerkt haben.

Die unterirdischen Atomtests in Indien waren solch ein Ereignis - und haben dementsprechend zu einer Kritik am amerikanischen Geheimdienst geführt. Immerhin mit einem Budget von jährlich 27 Milliarden Dollar und mit zahlreichen teuren Satelliten ausgestattet, die hoch aufgelöste Bilder machen und die elektronische Kommunikation abhören können, wurden die Tests erst vier Stunden später bekannt, als Indiens Ministerpräsident Behari Vajpayee ihre Durchführung im Fernsehen verkündete. Seine Bekanntgabe geschah sogar noch vor jeder Analyse von seismischen Schwankungen. Sandy Berger von der NSA mußte zugeben, daß man nicht einmal 12 Stunden nach den Explosionen eine Bestätigung hatte. Eine Schmach also für die Supermacht USA, der "geheimdienstliche Mißerfolg des Jahrzehnts".

1995 hatte der amerikanische Geheimdienst mit seinen Satelliten zwar verdächtige Aktivitäten im Testgebiet Pokhran entdeckt. Die USA verkündete, daß man alles genau beobachte. Es kam zu keinen Tests. Obwohl immer wieder von der indischen Regierung geäußert wurde, daß man die Verteidigung weiterhin auf Nuklearwaffen stützten werde, nahm man das offenbar nicht ernst. Jetzt geht es darum, wie so etwas geschehen konnte.

Möglicherweise hat Indien geschickt mit den Möglichkeiten gespielt, die Überwachungssatelliten auszutricksen. Indien verfügt selbst über Satelliten und vor allem über viele gut ausgebildete High-Tech-Experten sowie die notwendige Infrastruktur zum Bau von High-Tech. Es ist also nicht angewiesen auf ausländische Hilfe und nicht-indische Experten. Das Wissen über die Aufrüstung eines Landes mit Nuklearwaffen oder biologischen Waffen erhalten Geheimdienste oft, wie dies auch beim Irak der Fall war, über das Abhören und Überwachen von Vorgängen, die den Kauf von Rüstungsgütern betreffen. Vielleicht also wußte man in Indien, zu welchen Zeiten Beobachtungssatelliten über dem Testgelände waren, und traf die Vorbereitungen zu jenen Zeiten, in denen es einen blinden Fleck gab.

Der CIA habe zwar regelmäßig das Testgelände mit Satelliten überwacht und in den letzten Tagen Aktivitäten festgestellt, sie aber nicht richtig gedeutet. Die Inder haben ihre Vorbereitungen verdeckt durchgeführt, und es gab Sandstürme, die die Kameras behinderten. Überdies sind, wie die New York Times schreibt, "Entscheidungen von Politikern und Millionen von Dollar nötig, um die Kreisbahnen der Satelliten so auszurichten, daß sie 24 Stunden täglich ein Ziel im Auge behalten ... Weder die Maschinen noch die Menschen, die deren Daten analysieren, sind unfehlbar." Wie wahr.

Clinton hat gemäß dem Nuclear Proliferation Prevention Act (1994), der den Verkauf von Rüstungsgütern an ein Land verbietet, das durch Atombombentests zu einer Nuklearmacht werden will, Indien nun Sanktionen angedroht. Für die amerikanische Computerindustrie selbst wird dies keine große Rolle spielen, denn unter das Verbot fallen vermutlich vor allem die Superrechner. Die Einstellung der Wirtschaftshilfe und von Bankkrediten dürften das Land und vor allem die Menschen schon härter treffen.