Industriestrompreis: Wer rettet das Kapital?

Seite 2: Die Preistreiber sitzen im eigenen Land

Das ist natürlich kein Rätsel: Der Boykott russischer Gas- und Öllieferungen durch den Westen, die Sanktion gegen den Angriff Moskaus auf die Ukraine, hat auf dem Energiemarkt zu Engpässen und großer Unsicherheit über ausreichende Liefermengen geführt.

Dies hat, nach schöner marktwirtschaftlicher Regel, das Angebot verknappt und damit die Preise der Energieträger getrieben. Gaskraftwerke wurden daher mit Abstand zu den teuersten in der Stromproduktion.

Zur Deckung des nationalen Strombedarfs sind sie aber unverzichtbar. Nach dem sogenannten "Merit Order"-Prinzip bestimmt das teuerste Kraftwerk den Großhandelspreis. Wenn dem nämlich nicht so wäre, würden Gaskraftwerke unrentabel.

Sie fielen damit für die nationale Stromproduktion aus, was die Energiekrise noch verschärft hätte. Schließlich muss, Wettbewerb hin oder her, zu jeder Tages- und Nachtzeit genügend Strom für den nationalen Bedarf produziert werden.

Nach reinem Konkurrenzprinzip würden nur die günstigsten Kraftwerke ihren Strom loswerden. Dann wäre jedoch die allgemeine Energieversorgung gefährdet. Also müssen sich auch alle weiteren hierfür benötigten Erzeuger rechnen, bis der Bedarf gedeckt ist.

Der Preistreiber sitzt also im eigenen Land, genauer in Berlin: Die Parteinahme der Bundesregierung für die Ukraine und die damit verbundene Feindschaftserklärung gegenüber Russland hat zu den beklagten Erhöhungen auch der Industriestrompreise geführt. An genau diese Adresse wenden sich nun die Gewerkschaften. Nur mit welchem Antrag?

Die Regierung möge bitteschön die Kriegsbeteiligung unterlassen, ebenso die damit verbundene riesige Staatsverschuldung, die die Inflation antreibt? Weit gefehlt. Vielmehr soll der Staat noch mehr Geld mobilisieren, um den Schaden für die energieintensive Industrie zu begrenzen. Nicht, dass diese Konzerne auf die Idee kämen, woanders als in Deutschland ihre Gewinne zu machen! Kaum auszuhalten die Gefahr, dass damit Arbeitsplätze ins Ausland abwanderten!

Aufs Benutztwerden angewiesen sein – so geht halt "Wirtschaft"

Damit gehen die Gewerkschaften ihren Weg konsequent weiter: Wer hierzulande Arbeit vom "Arbeitgeber" bekommt, soll sich als Arbeit-Nehmer glücklich schätzen. Dafür muss natürlich der Arbeit-Geber auch Arbeit zu vergeben haben, sprich, er muss etwas produzieren.

Das muss sich selbstverständlich lohnen, sonst findet es nicht statt. Zu hohe Kosten, zum Beispiel für Energie, gefährden den Gewinn. Dann ist es nur zu verständlich, dass der Arbeitgeber woanders, im billigeren Ausland, seine Arbeit vergibt. Also müssen die gefährlichen Kosten gesenkt werden.

Wem das verdächtig nach einer Art Klippschule für Wirtschaftsanfänger klingt, liegt nicht ganz falsch – dies ist aber der Kern der Gewerkschaftslogik. Menschen, die keine Produktionsmittel und kein Kapital besitzen, können nur an das lebensnotwendige Geld kommen, indem sie ihre Arbeitskraft verkaufen – so viel ist richtig.

Dieser für die Mehrheit des Volkes unausweichliche Zwang, auf das Benutztwerden von Unternehmen angewiesen zu sein, nehmen ihre Interessensvertreter aber nicht nur widerstandslos hin. Sie halten dieses Verhältnis sogar für das Normalste der Welt. So geht für die Gewerkschaften halt "Wirtschaft".

Unter aber einer Bedingung: "Beschäftigung" soll ausreichend zustandekommen für ihre Klientel – so als ob dies der Zweck der Veranstaltung wäre. Umgekehrt werden Gewerkschafter dann kritisch, wenn sich dies nicht in genügendem Maße einstellt. In solchen, recht häufigen Fällen laufen sie zur Hochform auf.

Sie prangern "Missmanagement" an und weisen darauf hin, dass sie es schon immer besser gewusst hätten, aber niemand auf ihre schlauen Ratschläge habe hören wollen. Sie reden von "Finanzhaien", die nur nach dem schnellen Geld schielten, sich also an der ordentlichen Ausbeutung vergingen. Und sie weisen auf unfaire Wettbewerbsbedingungen hin, die es einfach dem hiesigen Kapital zu schwer machten, möglichst vielen zur Verfügung stehenden mittellosen Leuten Arbeit zu geben.