Indymedia jüngstes Opfer türkischer Internetzensur

Mit dem neuen Internetgesetz haben die Zensurmaßnahmen zugenommen, ganze Portale werden dabei für einzelne Inhalte von anonymen Nutzern "in Sippenhaft" genommen

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Mit dem restriktiven neuen Internetgesetz, das die türkische Nationalversammlung im vergangenen Mai erlassen hat, nehmen die Fälle von Internetzensur in der Türkei drastisch zu. Seit vergangenem Mittwoch ist nun auch das alternative Mediennetzwerk Indymedia-Istanbul für Internetnutzer in der Türkei nicht mehr zu erreichen.

Eine Begründung für die Sperrung, die von einem türkischen Militärgericht verfügt wurde, erfolgte bislang nicht. Beobachter vermuten aber, dass das Abschalten der Seite durch den Internetprovider Türk Telekom vor allem mit kritischen Beiträgen im Zusammenhang mit der Eskalationspolitik in der Kurdenfrage und der überaus großen politischen Macht des Militärs stehen dürfte.

Bild: Istanbul Indymedia

Der türkische Generalstab ist in den vergangenen Monaten wieder verstärkt dazu übergegangen, massiv gegen unliebsame Kritiker vorzugehen. Erst kürzlich ist etwa die populäre Menschenrechtlerin Eren Keskin auf Veranlassung des Generalstabes zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden, weil sie sich in einer deutschen Tageszeitung kritisch über die Einmischung der Militärs in die Politik geäußert hatte.

Betroffen von den zunehmenden Zensurmaßnahmen im Internet sind keineswegs nur Portale kurdischer oder linker Organisationen, die bereits zu Dutzenden mit einem Verbot oder einer Zugangssperrung belegt worden sind. Immer häufiger werden auch populäre Internetforen und Kulturportale, wie etwa Antoloji.com und Eksi Sözlük, Opfer der Verfolgungswut türkischer Staatsanwaltschaften.

Selbst der Zugang zum amerikanischen Weblog Publisher WordPress.com ist seit August 2007 gesperrt, weil in einem Blog die Thesen des türkischen Kreationisten Harun Yahya (Weil nicht sein kann, was nicht sein darf) kritisiert werden und sich WordPress weigert, die beanstandeten Einträge auf türkischen Druck hin zu entfernen. Bereits mehrfach war auch das Videoportal YouTube.com von Zensurmaßnahmen betroffen, weil einzelne Nutzer Inhalte einstellten, die aus Sicht der türkischen Staatsanwaltschaften die „Ehre“ von Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk oder des „Türkentums“ verletzten (Das "Türkentum" wird auch im Internet geschützt). Der Zugang zu YouTube war zuletzt am 13. März von einem Gericht in Ankara gesperrt worden, bis sich das Videoportal nach zwei Wochen schließlich der türkischen Zensur beugte und ein unerwünschtes Posting löschte.

Die mit dem neuen Internetgesetz eingeführte Praxis, für einzelne Inhalte, die von mehr oder weniger anonymen Nutzern eingestellt werden, ganze Portale pauschal „in Sippenhaft“ zu nehmen, ist von verschiedenen türkischen und internationalen Nichtregierungsorganisationen bereits scharf kritisiert worden. Der Journalistenverband Reporters sans frontières (RSF) bezeichnete die Maßnahme als „radikal“ und „unverhältnismäßig“. Türkische Aktivisten warnen, dass zunehmend „chinesische Verhältnisse“ und die Sperrung „Hunderter unbequemer Seiten“ drohten.

Bei Indymedia-Istanbul gibt man sich derweil kämpferisch. Der Zensurmaßnahme werde man sich auf keinen Fall beugen, hieß es am Freitag. So habe man bereits eine alternative Domäne eingerichtet, mit deren Sperrung aufgrund der notorischen Langsamkeit türkischer Gerichte zumindest in unmittelbarer Zukunft erst einmal nicht zu rechnen sei. Außerdem habe man seine Nutzer dazu aufgerufen, die Internetblockade durch die Nutzung eines Anonymizer wie beispielsweise anonymouse.org zu umgehen. „Zensur im Internet ist technisch gesehen sehr schwer umzusetzen“, so Indymedia. „Nur leider haben das die türkischen Staatsanwaltschaften noch nicht mitbekommen.“