Innenminister Pistorius (SPD) für Senkung der Promillegrenze für Radfahrer

Auch der Allgemeine Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) fordert zumindest einen Gefahrengrenzwert von 1,1 Promille, dabei geht seit Jahren die Zahl der Fahrradunfälle unter Alkoholeinfluss zurück

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Erst vor kurzem hatte sich SPD-Chef Sigmar Gabriel bei den Deutschen unbeliebt gemacht, die auf die Freiheit zum unbeschränkten Rasen auf den Autobahnen bestehen. Zwar hatte er nur gemeint, ein Tempolimit sei "sinnvoll", ohne eines zu fordern, gleichwohl war die Meinung, dass selbst solche Äußerungen im Wahljahr angesichts des Gemützustands der um ihre Freiheit fürchtenden Autofahrer und der Autolobby höchst ungeschickt seien (Geschwindigkeitsbegrenzungs-Querfront).

Nun kommt der nächste Sozialdemokrat mit einem Vorstoß zur weiteren Regulierung des Fahrradfahrens. Der niedersächsische Innenminister und Vorsitzende der Innenministerkonferenz Boris Pistorius plädiert für eine Senkung der Promillegrenze für Fahrradfahrer: "Mit dem gültigen Grenzwert von 1,6 Promille kann niemand sicher auf zwei Rädern unterwegs sein", sagte er der dpa. Während der Innenministerkonferenz soll ernsthaft dieses Thema den zuständigen Verkehrs- und Justizministern vorgeschlagen werden. Über die Höhe der Promillegrenze wollte sich Pistorius nicht äußern.

Bislang liegt der Wert für die absolute Fahruntauglichkeit bei 1,6 Promille, für Autofahrer bei 1,1 Promille, hier drohen Geld- oder Gefängnisstrafen und der Entzug des Führerscheins. Ab dem Gefahrengrenzwert von 0,5 Promille gibt es eine Strafe, weil eine Ordnungswidrigkeit begangen wurde, Fahren mit 0,3 bis 0,5 Promille ist nicht strafbar, solange keine Fahrunsicherheit vorliegt oder kein Unfall geschehen ist.

Nach § 316 Strafgesetzbuch (StGB) wird bestraft, wer infolge des Genusses alkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel sein Fahrzeug nicht mehr sicher zu steuern. Fahrräder sind hier mit einbezogen, allerdings muss nur dann auch mit einem Führerscheinentzug gerechnet werden, wenn eine medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU) angeordnet, diese aber nicht bestanden wurde. 2011 wurde immerhin 3.300 Mal ein Radfahrverbot verordnet. Fußgänger und Personen, die ihr Fahrrad schieben, müssen aber auch damit rechnen, ab 1,6 Promille eine MPU über sich ergehen zu lassen. Drohen kann der Führerscheinentzug, aber auch ein Verbot des Fahrradfahrens.

Der Allgemeine Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) fordert schon des längeren, dass für Radfahrer ein Gefahrengrenzwert von 1,1 Promille eingeführt wird. Auf 0,5 wie bei Autofahrern will man ihn aber nicht senken:

0,5 Promille als Bußgeldtatbestand wären unnötig niedrig. Von den alkoholisierten Radfahrern verunglücken 84,6 % mit 1,1 Promille oder mehr und nur 10,8 % mit einer BAK zwischen 0,5 und 1,1 Promille. Bei den alkoholisierten Autofahrern verursacht dagegen schon diese geringere Alkoholisierung mehr als 21 Prozent der Unfälle. Das spricht gegen eine völlige Gleichbehandlung für Radfahrer.

Allerdings sinkt die Zahl der unter Alkoholeinfluss verunglückten Radfahrer seit 2005, wo sie auf fast 5000 angestiegen war. 2010 wurden mit 3.489 deutlich weniger verletzt oder getötet. Der Anteil an allen Fahrradunfällen liegt bei fast 5 Prozent. Zwischen 2009 bis 2011 wurden zudem nach dem ADFC 20 Prozent weniger Radfahrer wegen Fahrens unter Alkohol oder Drogen verurteilt. Ob ein neuer Gefahrengrenzwert mit Bußgeldandrohung den sowieso fallenden Trend noch weiter verstärkt, ist fraglich, auch wenn der ADFC davon ausgeht, dass die Zahl verunglückter alkoholisierter Autofahrer nach der Senkung der Promillegrenze auf 0,5 (1998) und das Alkoholverbot für Fahranfänger (2007) noch stärker gesunken ist. Aber schon vor 1998 gab es einen kontinuierlichen Trend des Rückgangs von Personenschäden bei Alkoholunfällen, der sich weiter fortgesetzt zu haben scheint. Das könnte, wie der ADFC selbst einräumt, auch an sicheren Autos liegen, beim Fahrradfahren ist der Körper schlicht ungeschützter.

Ob die Innenminister gerne den Promillewert für absolute Fahruntauglichkeit senken und/oder einen Gefahrengrenzwert einführen wollen, ist unklar. Pistorius will damit die Aufmerksamkeit vor allem darauf lenken, dass es eine gefährliche Meinung sei, wenn man Fahrradfahren als ungefährlicher als Autofahren angesehen werde. Viele Menschen würden zwar das Auto stehen lassen, wenn sie betrunken sind, aber zu "sorglos auf das Fahrrad steigen". Und wenn man dann noch die betrunkenen Fußgänger, die ja auch den Verkehr und sich selbst gefährden, strenger maßregeln würde, hätte man auch gleich dem Alkoholkonsum einen Schlag versetzt und den Weg zu einer ernüchterten Gesellschaft weiter geebnet, worüber sich vor allem nüchterne Taxi- und Rikschafahrer freuen würden