Innenministerium schraubt an der Informationsfreiheit

Das geplante Mehr an Auskunftsrechten der Bürger soll schon wieder deutlich weniger werden

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Die gute Nachricht zuerst: Es tut sich wieder was in Punkto Informationsfreiheit. Nachdem der entsprechende Gesetzesentwurf des Bundesinnenministeriums, den dieses Online-Magazin Anfang Mai 2001 enthüllte (Entwurf eines Informationsfreiheitsgesetzes (IFG)), fast ein Jahr in der Ressortabstimmung versumpft war, liegt Telepolis nun ein Ende vergangener Woche erstelltes Update vor. Doch die überarbeitete Version trägt sämtlichen Bedenken des Bundeskabinetts Rechnung - und lässt damit für die Bürger kaum noch Auskunftsansprüche gegenüber dem Staatsapparat gelten. Das Prestigeprojekt der Grünen wird damit weitgehend ad absurdum geführt.

Das Bundesinnenministerium hat seinen offiziell im Juni 2001 der Öffentlichkeit vorgestellten Entwurf für ein Informationsfreiheitsgesetz (IFG) jetzt grundlegend überarbeitet. Die neue, noch unter Verschluss gehaltene Fassung trägt den immensen Vorbehalten Rechnung, die vor allem die Beamten des Verteidigungs-, des Wirtschafts- und des Finanzministeriums gegen die linksliberale Vorzeigeinitiative der rot-grünen Koalition hatten. Auch der dem Bundeskanzleramt nachgeordnete Geheimdienstapparat war von dem ersten Papier nur bedingt überzeugt. Doch mit den Änderungen geht der ursprüngliche Anspruch des Gesetzes, das nun in den Fußnoten nur noch so von Eingaben hier und Petitionen da wimmelt, in all den Einschränkungsklauseln größtenteils unter.

Groß waren die Ziele, mit denen Rot-Grün angetreten war. Noch heute ließt man in der Begründung des Gesetzesentwurfs viel von der Hoffnung auf eine Verlebendigung der Demokratie durch den Einzug von mehr Transparenz in eine staatliche Verwaltung, die nach wie vor häufig mit wilhelminischem Gestus dem Bürger "entgegen" kommt. Entsprechend dem Motto Staat modern von Innenminister Otto Schily soll das lange verheißene Informationsfreiheitsgesetz eigentlich dazu beitragen, das "autoritative Handeln des Staates" zunehmend durch "eine konsensorientierte Kooperation mit dem Bürger" zu ergänzen, wenn schon nicht zu ersetzen.

Das erfordert dem Innenministerium zufolge eine "gleichgewichtige Informationsverteilung". Die neuen, sich aus dem Artikel 5 des Grundgesetzes speisenden Rechte können dann, so die Theorie, die Kontrolle staatlichen Handelns verbessern. Sie "sind insofern auch ein Mittel zur Korruptionsbekämpfung", wie das Innenministerium schreibt, was in Deutschland ja spätestens seit der Aufdeckung des Kölner Klüngels wieder gefragt ist (Transparenz versus Korruption).

Die Transparenz behördlicher Entscheidungen ist eine wichtige Voraussetzung für die effektive Wahrnehmung von Bürgerrechten. Dies gilt angesichts der wachsenden Informationsmacht des Staates unter Einsatz moderner Informations- und Kommunikationstechniken heute mehr denn je.

Aus dem überarbeiteten Gesetzesentwurf

Die prinzipielle Geheimhaltungskultur der öffentlichen Verwaltung soll also in eine transparente Zivilkultur umgekehrt werden, die sich mit dem modernen, kooperativen Staats- und Gesellschaftsverständnis besser verträgt. Zahnlos wird ein solches Gesetz aber, wenn die von ihm definierten Rechte nur pro forma in der Präambel erteilt werden. Und schon die Einschränkungen des Informationszugangs, die das IFG aus dem Hause Schily im ersten Entwurf vornahm, waren "erheblich", wie der stellvertretende Hamburger Datenschutzbeauftragte, Peter Schaar, versichert. Das Gesetz an sich begrüßt der Datenschützer, dessen Senat in der Hansestadt einem Bericht der Welt im Hamburger Lokalteil zufolge noch vor dem Bund ein ähnliches Konstrukt durchbringen will, genauso wie die meisten seiner Kollegen. Aber dabei "darf die Auskunftserteilung nicht im Belieben der betroffenen Stellen liegen."

Doch genau das scheinen die von der neuen Offenheit überraschten Ressorts jetzt durchgesetzt zu haben. Paragraph 1 des neuen Entwurfs räumt nach wie vor zwar "jedem nach Maßgabe dieses Gesetzes unbeschadet abweichender Vorschriften gegenüber den Behörden des Bundes einen Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen" ein. Doch die Ausnahmen von diesem Grundsatz werden noch weiter gefasst als in den Vorgängerversionen, die bereits in Paragraph 3 dem Anspruch auf Informationszugang zum "Schutz des Gemeinwohls" enge Grenzen setzten.

Ausnahmen über Ausnahmen

Alle Informationen etwa, die den "Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung" betreffen, sind jetzt tabu. Darunter fallen auch Angaben zur Bündnisverteidigung und zur Nato. Das Wirtschaftsministerium hat daneben durchgesetzt, dass Daten zur Exportkontrolle sowie zu Fällen, in denen zu Sanktionsmitteln gegriffen wurde, nicht abgerufen werden könnten. Im Hintergrund schwebt dabei auch das Argument mit, dass der Geheimnisschutz für die Wirtschaft ja gewährleistet werden müsse. Auf "vertrauliche Informationen" der Verwaltungen hat der Bürger - vor allem wenn sie mit dem leicht anzubringenden Zaubervermerk "Nur für den Dienstgebrauch" geschmückt sind - zudem prinzipiell kein Wissensrecht.

Der Geheimhaltungsbedarf der Nachrichtendienste ist zu respektieren.

Aus dem überarbeiteten Gesetzesentwurf

Auch das Bundeskanzleramt hat bei der Neufassung ein gehöriges Wörtchen mitgeredet. Seine jetzt erfüllte Forderung war es, den Informationsanspruch gegenüber den Nachrichtendiensten explizit auszuklammern. Das soll nun sogar für alle Verwaltungsbereiche gelten, deren Beschäftigte sich einer "erweiterten Sicherheitsüberprüfung" im Zusammenhang mit Ermittlungen zu unterziehen haben. Selbst "die Beschaffung und anderes fiskalisches Handeln" im Reich der Spione soll verdeckt bleiben, da daraus kluge Köpfe Rückschlüsse auf die Tätigkeiten der Dienste ziehen könnten. Wenn's ums Geld geht, greift allerdings generell schon eine weitere Schutzklausel: Sie verhindert eine Auskunftserteilung, falls "fiskalische Interessen des Bundes beeinträchtigt" sein sollten.

Keine Klärung bringt der Entwurf bei der heiklen Kostenfrage. Demnach dürfen Verwaltungen weiterhin Gebühren bis zur Höchstgrenze von 511,29 Euro für eine sehr umfangreiche Akteineinsicht berechnen. Das hat dem geplanten IFG ähnlich wie seinen Vorbildwerken in den vier Bundesländern Brandenburg, Berlin, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen, die den Informationszugang bereits gesetzlich geregelt haben, wiederholt die Spottbezeichnung "Informationsverhinderungsgesetz" eingebracht. Wie der neue Entwurf aber betont, besteht das Finanzministerium auf der Erhebung "kostendeckender Gebühren".

Das ist ein "Totschlagargument", wie Cem Özdemir, innenpolitischer Sprecher der Grünen, jüngst gegenüber der Financial Times Deutschland kritisierte. Denn die Ausgaben für Kopien oder die Durchsicht von Akten seien zum einen dank elektronischer Datenverarbeitung und dem Internet überschaubar. Zum anderen habe auch noch niemand gefordert, dass die Leute fürs Wählen zahlen sollten. Özdemir fordert daher, dass die Ausnahmen vom Informationsanspruch die Ausnahme sein sollten - eine Verhältnis, das der neue Entwurf nun aber auf den Kopf stellt.

Das Thema hat Konjunktur - aber jetzt anscheinend noch nicht

Die Bündnisgrünen werfen dem Innenministerium insgesamt vor, sich gar nicht erst ans Aushandeln von Kompromissen mit den Querulanten-Ressorts gemacht zu haben. Verloren geben sie das Projekt aber noch nicht: "Wir werden alle Anstrengungen unternehmen, das Gesetz noch in dieser Legislaturperiode durchzubringen", erklärte Grietje Bettin, medienpolitische Sprecherin der Grünen, gegenüber Telepolis. Große Hoffnungen setzt sie auf die Runde der parlamentarischen Berichterstatter zum IFG am Donnerstag in Berlin. Mehrere grüne Abgeordnete haben sich in einem Brief auch an eine Reihe "ihrer" Minister wie Jürgen Trittin und Joschka Fischer gewandt mit der Bitte, das strittige Gesetz endlich auch im Kabinett zu verhandeln.

Weniger optimistisch ist der innenpolitische Sprecher der SPD, Dieter Wiefelspütz. "An dem Diskussionspapier müssen wir uns noch abarbeiten", sagte er Telepolis. Das IFG stehe weiter auf der Agenda, mit der Verabschiedung werde es vor den Bundestagswahlen im Herbst aber wohl nichts mehr. Doch selbst wenn die Gesetzgebung in die nächste Legislaturperiode verschoben würde, sei das nicht der Tot des "sehr wichtigen" Vorhabens. Die Sache mit der Informationsfreiheit "ist nicht mehr nur auf Rot-Grün beschränkt", glaubt Wiefelspütz. "Das Thema hat Konjunktur." Es sei eine "überzeugende Idee", das in der Regierung und in der Verwaltung gesammelte Wissen dem Volke zugänglich zu machen.

Bis es auf Bundesebene einmal so weit sein wird, muss anscheinend in der Praxis jedoch "noch ein gewisses Wagenburg-Denken überwunden werden", wie der erste Beauftragte für Informationsfreiheit in Deutschland, der oberste Brandenburger Datenschützer Alexander Dix, im Interview mit Telepolis bereits 1999 erklärte. Der Pionier hatte schon in seinem Ein-Jahres-Resümee gespürt, dass es nicht einfach ist, eine "Kultur der Offenheit" in einer bislang nach außen stark abgekapselten Verwaltung durchzusetzen.

Ähnliche Erfahrungen hat auch sein Berliner Kollege, Hansjürgen Garstka, gemacht. In der Auswertung der ersten dreizehn Monate Akteneinsichtsrecht in Berlin seit Oktober 1999, die der Wächter über die Berliner Informationsfreiheit in seinem Jahresbericht 2001 wiedergibt (Internet wird zum Hauptproblemfeld beim Datenschutz), schimmern die Empfindlichkeiten mit den ungewohnten Ansprüchen der Bürger nur allzu deutlich durch. Garstka schlägt daher bereits eine "behutsame Novellierung" das Berliner Informationsfreiheitsgesetzes vor, die den Ansprüchen der Bürger mehr Geltung verschafft. Dass auf Bundesebene gleichzeitig die Vorzeichen des dort noch nicht einmal verabschiedeten Gesetzes in die entgegen gesetzte Richtung zeigen, ist somit kein Grund zur Freude für die Datenschützer.