Insolvenz als Chance?

Die Zukunft von Opel wird zum Wahlkampfthema, doch über Alternativen zur Autogesellschaft wird nur am Rande diskutiert

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Nach der Bundespräsidentenwahl vom vergangenen Samstag hat der Wahlkampf in Deutschland endgültig begonnen. Die Wiederwahl des bisherigen Amtsinhabers wurde schon als vorgezogener Sieg für die sogenannte bürgerliche Koalition aus Union und FDP gefeiert. Dann sorgte das Bekenntnis einer Abgeordneten der Grünen, für Köhler gestimmt zu haben, für Verwirrung. Denn dann muss mindestens ein Abgeordneter des Bürgerblocks nicht für Köhler gestimmt haben. Prompt wurde wieder in den Medien über mögliche Jamaika-Koalitionen geredet. Dabei wurden aber nur die altbekannten Standpunkte erneut abgespult. Der Parteienforscher Franz Walter nutzte mal wieder die Gelegenheit, die Grünen vor einer zu großen Abhängigkeit zur SPD zu warnen.

Am Montag nach der Präsidentenwahl führten sich dann die Partner der großen Koalition bei der Frage nach der Perspektive der deutschen Opel-Standorte wie Opponenten auf. Sozialdemokraten warfen Bundeswirtschaftsminister Guttenberg vor, mit seinem „Insolvenzgerede“ den Opel-Standort Deutschland kaputt zu reden. Zustimmung bekam der Minister hingegen vom wirtschaftsliberalen Unionsflügel und der FDP. Zuvor hatte der Minister alle bisherigen Opel-Rettungspläne kritisch beurteilt und hinzugefügt:

Bliebe es bei diesen Defiziten, wäre eine geordnete Insolvenz die klar bessere Lösung – auch sie könnte Chancen für die Zukunft von Opel eröffnen.

Bundeswirtschaftsminister Guttenberg

Auf diesen als Insolvenzgerede gescholtenen Satz bezogen sich die Kritiker von SPD und Gewerkschaften. Auch diese Debatte speist sich auf allen Seiten aus Ressentiments. Denn auch die bisherigen Übernahmemodelle des österreichisch-kanadischen Autozulieferers Magna oder von Fiat sind mit Arbeitsplatzverlusten verbunden. Bei dem Fiatmodell soll allerdings der Großteil der Streichungen bei den österreichischen und ungarischen Werken erfolgen. Bei Bochum und Rüsselsheim sollen ca. 2000 Arbeitsplätze wegfallen. Beim Angebot von Magna würden ebenfalls zwischen 2000 und 3000 Arbeitsplätze wegfallen. Bis zum Schluss wurde das Angebot nachgebessert.

Andererseits weisen Wirtschaftsfachleute daraufhin, dass eine Insolvenz nicht die Schließung der gesamten Standorte bedeuten muss. Sie verwenden den Begriff der kontrollierten Insolvenz, die einen Weiterbetrieb mit reduzierter Belegschaft ermögliche. Ein Verlust von Arbeitsplätzen wäre also bei allen diskutierten Varianten zur Opel-Rettung verbunden. Da stellt sich für die Parteien im Wahlkampf natürlich die Frage, wie sage ich es dem Wähler? Zumal eine Perspektive für die europäischen Standorte nicht ohne die Entscheidungen in den USA zu haben ist. Genau davon ist die gegenwärtige Debatte geprägt.

Sozial ist, was Arbeitsplätze schafft

Die SPD sucht vor den Wahlen wieder verstärkt den Schulterschluss mit den Gewerkschaften. Nachdem das Verhältnis in den letzten Jahren der Schröder-Ära arg zerrüttet war, wozu beispielsweise die Hartz-Reformen beitrugen, sind führende IG-Metall-Funktionäre jetzt wieder bereit, die SPD zu unterstützen - unter dem Vorwand, eine Koalition von Union und FDP verhindern zu wollen.

Kurz vor der Bundestagswahl ist eine Großveranstaltung von SPD und Gewerkschaften geplant. Deshalb betont die SPD in letzter Zeit wieder verstärkt, dass das soziale Element wichtig ist. In der Opel-Debatte heißt das, alles zu tun, um möglichst viele Arbeitsplätze zu retten. Der Begriff Insolvenz dient dazu, das Schreckgespenst einer Massenentlassung an die Wand zu malen, für den dann natürlich nicht die SPD verantwortlich gemacht werden will. Doch die Partei hat dabei ein Dilemma. Sie darf ihre Sozialstaatskampagne nicht zu weit treiben. Schließlich würde sie dann gefragt, warum sie eine Koalition mit der Linkspartei ausschließt, die sich diese Forderungen ebenfalls auf die Fahnen geschrieben hat und andererseits mit der FDP koalieren will, die doch angeblich im Bündnis mit der Union den Inbegriff des Wirtschaftsliberalismus darstellt.

Die Union wiederum warnt davor, dass womöglich Steuergelder für die Opelsanierung auf Umwegen in die USA gelangen könnten. Damit will sie ihren Stammwählern erklären, dass sie eben nicht einfach die Fortsetzung sozialdemokratischer Politik betreibt. Mit diesem Vorwurf gelang es FDP-Chef Westerwelle Teile der konservativen Wählerschaft zu beeindrucken, was für die guten Umfrageergebnisse seiner Partei sorgte. Schon die Ernennung des erklärt wirtschaftsliberalen Guttenberg zum Wirtschaftsminister gehörte zu den unionsinternen Versuchen der Schadensbegrenzung. Dass sich Merkel sogar bei dem neoliberalen Frontmann Friedrich Merz erkundigt haben soll, ob er für eine Kandidatur als EU-Kommissar bereit stünde, würde in diese Strategie passen.

Auch wenn sie schnell dementierte wurde, hat die Meldung ihre Aufgabe erfüllt. Die SPD hat sofort betont, sie würde einen EU-Kommissar Merz auf jeden Fall verhindern. Die Union gibt neoliberalen Mitgliedern das Gefühl, dass sie in der Partei noch Platz haben. Ein weiterer Streitpunkt ist die Schuldenbremse, auf die sich die Föderalismuskommission geeinigt hatte. Kurz vor der Verabschiedung haben sich mehrere SPD-Ministerpräsidenten für größere Spielräume der Länder ausgesprochen, die Union beharrt auf der Vereinbarung. Auch hier wird sie von der FDP Beifall bekommen.

Für die Konservativen ist aber die Umwerbung der Wirtschaftsliberalen nicht ohne Risiko. Schließlich hat sie in der Endphase des letzten Wahlkampfes Stimmen verloren, weil sie als neoliberale Partei wahrgenommen wurde. Die SPD würde sie gerne wieder in dieser Rolle sehen. Doch für beide Parteien ist auch klar, dass sie unter Umständen nach den Wahlen ihre Koalition fortsetzen müssen.

Kaum Diskussionen über Alternativen zum Fetisch

Die Debatte um Opel hat allerdings eine Komponente, die über die Arbeitsplatzsicherung hinausgeht. Die Rolle des Automobils in der deutschen Geschichte hat durchaus irrationale Züge. Das zeigt sich auch an der Beliebtheit der Abwrackprämie, die ihre Vorläufer in der Verschrottungsprämie der NS-Wirtschaftspolitik hatte.

Die Konzentration auf das Fetisch Automobil sorgt dafür, dass Alternativen zur Autoproduktion nur am Rande diskutiert werden. Stephan Krull, einer der wenigen gewerkschaftlichen Autoren, der sich für eine Konversion der Autoindustrie ausspricht, geht mit der Politik des DGB hart ins Gericht:

Selbst die Gewerkschaften haben kaum Lehren aus den vorherigen Krisen gezogen, sie sind aus der geschwächten Position dazu übergegangen, „das Schlimmste zu verhüten“. „Das Schlimmste“ wäre, wenn Betriebe Beschäftigte entlassen oder Standorte schließen, auch weil damit die Mitgliederbasis der Gewerkschaft wegbricht.

Stephan Krull

Statt über Alternativen zum Automobil zu reden, die angesichts von Klima- und Energiekrise eigentlich längst auf der Tagesordnung stehen müssten, hat gewerkschaftsintern auf europäischer Ebene schon längst der Kampf um und zwischen den einzelnen Standorten begonnen. Die Politiker der unterschiedlichen Couleur können derweil mit den Ängsten um den Arbeitsplatz Wahlkampf betreiben. Der Wettkampf der Opelretter geht in die nächste Runde.