Inszenierter Raketenschmuggel, Special Forces, die sich auf der Landkarte vertun und andere Vorboten des Patriot Act II

Die andere Seite des "war on terror" - Der neue kalte Krieg lebt von inszenierten Ereignissen und lädt ein zum Missbrauch

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Terroristenjäger, die unliebsame Bürger ins Visier nehmen, Agenten, die andere für Terror bezahlen, Special Forces, die sich auf der Landkarte vertun und Waffenlieferungen, die von Regierungen inszeniert werden. Derartige Berichte lassen den "war on terror" in einem anderen Licht erscheinen.

Am Mittwoch ließen US-amerikanische "Regierungskreise" verlautbaren, das FBI habe in einer abgestimmten Aktion mit britischen und russischen Behörden den Schmuggel einer Rakete in die USA verhindert, "mit der Extremisten Passagierflugzeuge hätten abschießen können." Der New Yorker Senator Charles Schumer sagte: "Die Gefährdung von Verkehrsflugzeugen durch tragbare Raketen in den USA ist nicht länger theoretisch." Der "Waffenhändler" Hemant Lakhani sei schon vor fünf Monaten in Moskau und St. Petersburg, so Reuters, "ins Visier der Sicherheitsbehörden" geraten.

ABCNEWS berichtete Freitag unter Berufung auf FBI-Quellen, die US-Administration würde "die Bedeutung des angeblichen Schmuggels übertreiben" und "wichtige Fakten auslassen". Es würde verschwiegen, dass es sich von Anfang an um eine Inszenierung der beteiligten Behörden gehandelt habe. So habe der verhaftete Schmuggler, bevor FBI-Agenten, getarnt als al-Qaida-Mitglieder, vor knapp einem halben Jahr an ihn herangetreten seien, keine Kontakte zu Waffenhändlern und auch keine entsprechenden Vorstrafen gehabt. Gerichtsunterlagen würden indes zeigen, wie zentral die Rolle eines US-Informanten sei, der die Agenten erstmals überhaupt zu Lakhani geführt hatte.

Klar ist, dass es sich bei der geschmuggelten Flugabwehrrakete um eine Attrappe handelte, die in Absprache mit US-Behörden von einer russischen Waffenfabrik an Lakhani übergeben worden war. "Ich hätte gehofft", zitiert ABCNEWS den Strafverteidiger Gerald Lefcourt, "dass die USA realen Terrorismus vereiteln und nicht etwas stoppen, das sie selber fabriziert haben." Die Frage ist legitim, ob es überhaupt zum Handel gekommen wäre, wenn die Regierung ihn nicht arrangiert hätte.

Special Forces, die sich auf der Landkarte vertun

Afghanistan, Februar 2003. Während Verteidigungsminister Peter Struck anlässlich der Übernahme der Führung der Afghanistan-Schutztruppe im ISAF-Lager weilt, geschieht das, wovor der Bundesnachrichtendienst zuvor gewarnt hatte: Das Lager wird mit zwei Raketen beschossen. Einem Bericht der Badischen Zeitung (18.2.03) zufolge rückte sofort ein niederländischer Infanterieverband aus, um die Angreifer zu stellen. Vor Ort sei man auf einen Jeep getroffen, mit dem bewaffnete, bärtige Männer zu entkommen suchten. Das Fahrzeug wurde gestellt, doch bei den Bärtigen habe es sich nicht um Taliban sondern um US Special Forces gehandelt. "Wir müssen uns auf der Landkarte vertan haben", habe sich deren Chef entschuldigt.

Nach Informationen der Saarbrücker Zeitung hat dieser Vorfall "Irritationen" im Verteidigungsministerium ausgelöst, wenngleich auch offiziell keine Bestätigung zu erfahren war. Der Angriff auf das Lager fand nur Stunden nach der Kommandoübernahme statt. Derartige Angriffe waren in den Monaten zuvor häufiger vorgekommen. Der deutsche Brigadegeneral Werner Freers fragte sich nur, "warum die unser Lager nie treffen. Es ist groß, dass es fast nicht zu verfehlen ist." (BZ, 11.2.03)

Im Frühjahr herrschte Missstimmung zwischen dem deutschen und amerikanischen Kommando. Die Bundesregierung hatte mit Norbert van Heyst einen General an die Spitze der ISAF gesetzt, der dem US-Kommandierenden General John McNeill vom Rang her ebenbürtig ist. McNeill, auch als "mächtigster Kriegsfürst am Hindukusch" bekannt, kommentierte dieses, von nun an seien "two dogs in town". Vereinbart ist eine Koordinierung amerikanischer Militär- und CIA-Operationen mit der ISAF. Stattdessen seien regelmäßig in Zivil operierende US-Einheiten ohne Absprache im Einsatz und führten sich auf, "als ob ihnen das Land gehört", so ein deutscher Diplomat zur BZ. Deren Korrespondent findet es "freilich mehr als seltsam", dass bis heute unklar ist, wer die Angriffe auf das Lager durchführte.

Agenten, die andere für Terror bezahlen

Israel, Dezember 2002. Vier Tage nach den Anschlägen auf das Paradise-Hotel und eine startende israelische Passagiermaschine in Mombasa verkündet der israelische Verteidigungsminister Shaul Mofaz, al-Qaida habe vergeblich versucht, Israel zu infiltrieren. Drei Tage später gibt Ariel Scharon erstmals bekannt, Mitglieder von Osama bin Ladens Organisation seien im Gaza-Streifen und im Libanon aktiv, wo sie eng mit Hisbollah zusammen arbeiteten. Yassir Arafat nannte dieses eine "große, große, große Lüge", um Angriffe in den besetzten Gebieten zu rechtfertigen.

Rashid Abu Shbak, Chef der Gaza-Sicherheitsbehörde, sagte, es seien mehrere Beispiele bekannt, bei denen Personen Palästinensern Geld geboten hätten, wenn sie eine al-Qaida-Präsenz in Gaza organisierten. Erste Versuche dieser Art habe es im März 2002 gegeben. "Wir sind sicher, dass Israel dahinter steckt, und dass hier mit Sicherheit keine al-Qaida-Zelle operiert", sagte Abu Shbak.

Am 11. Dezember wurde einer der angeblich vom israelischen Inlandsgeheimdienst Shin Bet rekrutierten Palästinenser der Öffentlichkeit vorgestellt - mit Maske und falschem Namen. Ibrahim sei eines Tages von einem Händler namens Ahmed angesprochen worden. Dieser habe Gaza-Bewohnern helfen und ihnen Geld senden wollen. Nach einer Weile offenbarte Ahmed, er arbeite für al-Qaida und Ibrahim solle eine al-Qaida-Zelle im Norden des Gaza aufbauen, im Süden gäbe es schon eine. Ibrahim aber wurde stutzig, wandte sich an die Sicherheitsbehörde, welche Ahmed als Shin Bet-Agenten identifizierte.

Der liberalen israelischen Zeitung Ha'aretz zufolge ist palästinensische Involvierung im internationalen Terrorismus die "Ausnahme der Regel". Am 5. März berief sich Ha'aretz auf israelische Geheimdienstquellen, die Palästinenser seien "immer noch nicht mit dem globalen Terrornetzwerk verbunden" - ebenso wenig übrigens der Irak. Es scheint als wäre al-Qaida manchmal weniger Realität, eher Argument im "war on terror".

Terroristenjäger, die unliebsame Bürger ins Visier nehmen

Rachel, Nevada, USA, Juni 2003. In Abwesenheit von Chuck Clark wird sein Haus von FBI, dem Air Force-Geheimdienst und der "Joint Terrorism Task Force" (JTTF) durchsucht. Aufnahmen und sein Computer werden beschlagnahmt. Clark ist ein unliebsamer "military watchdog". Auf der Webseite dreamlandresort.com veröffentlicht er Informationen über die geheime Area 51-Basis und die dort in Erprobung befindlichen "Black Projects".

Vor ein paar Monaten hatte Clark entdeckt, dass auf dem öffentlichen Gelände, 25 Meilen um die Basis, Sensoren installiert worden waren. Diese hatte er ausgegraben, fotografiert und wieder eingegraben. Clark vermutet, dass der Grund für die Razzia ein Fernsehbericht des Lokalsenders KLAS-TV war, in dem die Sensoren gezeigt wurden. Der Sender will erfahren haben, dass die JTTF die Durchsuchung initiiert hatte.

Ist Chuck Clark ein Terrorist? "In der Welt vor 9/11 war die Antwort Nein", schreibt der KLAS-TV-Reporter George Knapp, und findet: "Es ist sicherlich nicht unsere patriotische Pflicht, jedem Danke zu sagen, der eine Marke vorzeigt."

Zentralisierung der Überwachung

Der Fall Clark führt einem vor Augen, wie weit Machtbefugnisse seit 9/11 zentralisiert worden sind. Der Patriot Act hat in der Joint Terrorism Task Force polizeiliche Aufgaben mit denen des Auslandsgeheimdienstes CIA, des Pentagon und des Department of Homeland Security verschmolzen.

Das Trauma des 11. September und die Bedrohung durch den "internationalen Terrorismus" muss nicht nur für dessen Bekämpfung und scheinbar beliebige weitere militärische Operationen herhalten, sondern auch für die Überwachung von Bürgern und Organisationen, gegen die noch nicht einmal ein Verdacht, sondern nur mehr eine unliebsame Tätigkeit vorliegen braucht. Man darf gespannt sein, wie versucht werden wird, den Patriot Act II durch den Kongress zu boxen.