InternetKunstPreis 2001

Zwei problematische Sieger

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"Wer bin ich heute? Was werden wir morgen tun?" - so lautete der InternetKunstPreis 2001, ein Gemeinschaftswerk von Kulturamt der Stadt Chemnitz, Institut für Print- und Medientechnik der TU-Chemnitz und IG Metall Chemnitz, das am 1. Dezember 2000 eröffnet, am 30.3.2001 geschlossen und am 22. 6. 2001 mit der Bekanntgabe der Preisträger beendet wurde. Der Wettbewerb zielte auf künstlerische Projekte, "die das Internet als kommunikativen Raum für die Auseinandersetzung mit Themen der Zukunft nutzen." Solche thematisch ausgerichteten Wettbewerbe sind im Grunde immer doppelt ausgerichtete Wettbewerbe: das Internet als Gegenstand und Medium der Auseinandersetzung zugleich. So darf man sich nicht wundern, wenn dann kein Preisträger gefunden wird, der allen Kriterien gleichgewichtig entspricht. Dass es v.a. an "internetspezifischer Interaktion" mangelte, mag daran liegen, dass man die Neuen Medien eben nicht auf das Internet reduzieren kann.

Die Jury des InternetKunstPreises 2001 entschloss sich jedenfalls, das Hauptgewicht bei den 33 Wettbewerbsbeiträgen, die von der Vorjury aus 97 Teilnehmern nominiert wurden, auf die inhaltliche und konzeptuelle Stringenz zu legen. Sie attestiert den Künstlern aus Ost- und Westeuropa, aus den USA, Australien und Neuseeland "ein breites Spektrum individueller Handschriften" und entschied, das Preisgeld von 8.000 Euro zu teilen. 4 weitere Beiträge werden lobend erwähnt, und Gegenstand wie Medium entsprechend gab es auch den bei solchen Wettbewerben mittlerweile üblichen Volksentscheid.

Geschichten an der Grenze

Preisträger Crossing the divide von Trebor Scholz u. Carol Flax (Tucson, Arizona) verfolgt ein ausgeprägt erzählerisches Konzept: "Mit poetischen Wort-, Sound- und Bildbezügen werden nonlineare Geschichten und erzählerische Perspektiven aufgebaut, die den Traum der Menschen von einer Zukunft ohne Grenzen formuliert." Der letzte Satz mag stutzig machen:

Die gelungene und im medialen Einsatz sehr ökonomisch operierende Arbeit lässt die Technologie praktisch vergessen und stellt die klare politische Aussage in den Vordergrund.

Das Bekenntnis als Entschädigung für formale Defizite? War die "klare politische Aussage" das Rezept des Sieges?

Der Bezug zwischen Thema und Medium liegt in der Navigation: "The right to navigate one's own geography is not shared by the migrant or the refugee." Eine in 6 Stücke gerissene Grenze fungiert als Link zu 6 negativen Erfahrungen mit der Immigrationspolizei. Onmouseover-Tags lassen Wort-Images durch Wort-Images ersetzen, sekundiert durch ausführlicheren Text im unteren Bildschirmteil. Die Texte sind allerdings zu kurz, als dass tatsächlich "Geschichten und erzählerische Perspektiven aufgebaut" werden könnten. Die Situationen werden so verkürzt dargestellt, dass sie alles und nichts sagen. Eher sind es Schreckensmeldungen, wie sie in der BILD-Zeitung stehen: ohne Hintergründe und Zusammenhänge, dazu geschaffen, uns ein "Mein Gott" und "Nein, was so alles passiert" zu entlocken. Wurde da ein Thema instrumentalisiert, das den Erwartungen der Preisausschreiber an die politsche Perspektive der Beiträge entspricht?

Wenn die Autoren eine thematische Analogie zwischen der Navigation im Netz und im Realen Raum konzeptionell zugrundelegen, hätte sich freilich gerade dieser Aspekt für die medienspezifische Gestaltung des Themas angeboten. Die Mouseover-Ersetzungen bringen die Texte zwar häppchenweise, aber eben doch linear vor und nicht im Modus des Hypertext, diesem Prinzip der Trennung und Verbindung. Statt dessen die bekannte Integration von Bildern, Animationen und Sounddateien. Die Ersetzung der Text-Images durch Himmelsausschnitte dagegen ist ein guter Ansatz, der als Symbol allerdings überzeugender gewesen wäre, wäre schließlich der ganze Bildschirm zum Himmel geworden. Die "klare politische Aussage" geht einher mit einem Mangel an Innovation und Konsequenz im Konzeptionellen.

Datenmüll als Konzept

Während "Crossing the divide" durch seinen narrativen Ansatz ebensogut an einem Wettbewerb für digitale Literatur hätte teilnehmen können, gehört Francis Hungers digital works in jedem Fall in die Sparte der digitalen Kunst. Hunger Werk stellt eine Performance dar, die an Medienspezifik nicht viel zu wünschen übrig lässt. Schon der Anfang ist anders: Statt eines Beginn-Links findet man einen File-Index mit 32 txt-Dateien und einem Dokumentations-Ordner mit Mails und JPGs von der Live Aktion.

Das Projekt ist schnell erklärt: "From 1st of March till 30th I produced files working for one hour each day. The file consists of one or two statements wich will be copied into it again and again until one hour has passed. The pasting happened by pressing Strg+V and Enter during that hour." Wenn Hunger die Statements als "thoughts about the status of digital work and general reflections on the use of computers within a production-environment" bezeichnet, übertreibt er freilich maßlos. Der Text der ersten Thoughts-Datei lautet z.B. "Today is the first of March 2001. The computer is a Pentium II, 266 Mhz, 4 Gb Harddisk, 256 MB Ram." Die 'Reflexion' in Nummer 2 gehen keineswegs tiefer:

Now it is 14:51. Today is the second day, the 2nd March 2001. The computer is the same as yesterday...." und auch Text 5 verrät nicht viel: "Ctrl+V, Space, Ctrl+V, Space, Ctrl+V, Space, Ctrl+V, Space, Ctrl+V, Space, Ctrl+V, Space, Ctrl+V, Space, Ctrl+V, Space, Ctrl+V, Space, Ctrl+V, Space, Enter

Hunger beschreibt das schon vorgestellte Projekt: Redundanz noch vor der Redundanz. Das ist schon das ganze Werk. Nein, nicht ganz. Der Mail-Folder gehört dazu, ebenso die Images von der Live-Aktion am 29. 3., die den Künstler am Computer zeigen, mal allein, dann mit Publikum.

Und was macht man damit! Wie ein kleines Kind schreien, der Kaiser sei doch nackt? Worin äußert sich die von der Jury attestierte Kritik an der modernen Arbeit und am Hype der Computerisierung? Darin, dass Hunger seinen alten 486-DX 66 mit läppischen 500 Mb Harddisk der Schwester vermacht, als er sich ein leistungsstärkeres Gerät zulegte (Text 21)? Und inwiefern entlarvt Hunger den Mythos der mit Computern assoziierten Kreativität? Seine Performance ist nur wahr innerhalb der eigenen Performanz: Er behauptet die Repetition als Prinzip digitaler Produktion und schafft sich dafür selbst Beweise, indem er Strg+V und Enter gedrückt hält. Hunger keineswegs falsche Behauptung wird unglaubwürdig in der Art, wie er sie umsetzt. Niemand produziert in der vorgeführten Form Wiederholungen, der Prozess der Selbst- und Fremdkopie verläuft subtiler und hätte auch eine subtilere künstlerische Umsetzung verdient als Hungers Ästhethik des Hammers.

Offene Fragen

Es wird deutlich, dass "digital works" so wenig mein Favorit war wie "Crossing the divide". Ich hätte eher für Steve Tanzas interaktive "audio visual generative digital paintings series" votiert (http://pmstream.mb3.tu-chemnitz.de/%7Etast/stanza2) oder auch für Frank Richters fotofilosofische Effekte, die zuweilen wie Cindy Sherman als JavaScripts wirken (vgl. die Besprechung unter: www.dichtung-digital.)

Dass die Preisträger in der Gunst des Publikums nur auf Platz 12 und 23 (von 25) kamen, bedeutet freilich noch nicht viel. Solch demokratische Countings sind kaum gegen Vetternwirtschaft abzusichern; und darüber hinaus: Nicht immer bedeuten die höchsten Einschaltquoten auch die höchste Qualität. Worin aber Qualität sich zeigt, bleibt weiterhin fraglich. Leider erschöpft sich die in der Auschreibung versprochene Meinungsäußerung und Diskussion in der Votierung und den wenigen, recht vage gehaltenen Auskünften der Jury. So richtig diskutiert - wie einst im Rahmen der Internetliteratur-Wettbewerbe von ZEIT und IBM - wird offenbar nicht mehr. Dabei sind die grundsätzlichen Fragen noch alle offen, und der Vorhang des InternetKunstPreises 2001 wäre Anlass, sie nun, und zwar mit der Jury, anzugehen: "Was ist Netzkunst heute? Was wird sie morgen sein?"