Internetsprechstunde mit dem Oberbürgermeister von Hannover

Bürgernähe im Praxistest

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Viele Gemeinden und Städte sind inzwischen mit mehr oder weniger professionellen Auftritten im Internet vertreten. Neben reichhaltigen Informationen können zum Teil schon Formulare abgerufen werden und auch Email-Anfragen sind selbstverständlich. So hat die Stadt Hannover inzwischen mehr als 6.000 Seiten im Angebot. Doch die Internetsprechstunde mit dem Oberbürgermeister ist bislang einzigartig.

Der hannoversche Oberbürgermeister Herbert Schmalstieg ist schon ein Unikum. Erst war er Deutschlands jüngster Oberbürgermeister, inzwischen ist er der dienstälteste. Aber auch er befindet sich mal wieder im Wahlkampf, daher klang die Ankündigung einer Internetsprechstunde schon sehr nach einer medienwirksamen Strategie. Das Internet hat ja ein jugendliches, modernes Image, mit dem vielleicht noch ein paar Stimmen mehr zu erhaschen sind. Grund und Anlass, den OB einmal in seinem Dienstzimmer während der Onlinesprechstunde zu besuchen.

Kurz vor 19 Uhr treffe ich ein und werde freundlich von "Herbert" begrüßt. Herbert sagen alle Hannoveraner liebevoll zu ihrem Oberbürgermeister. Zwar findet noch schnell eine Besprechung im Nebenraum statt, aber pünktlich um 19 Uhr betritt der OB sein Dienstzimmer und setzt sich an den großen Schreibtisch, der mit LCD-Bildschirm, Tastatur und Maus schon gut vorbereitet ist. Vor dem Schreibtisch ist noch ein Stativ mit einer kleinen Digitalkamera aufgebaut, die mit einem i-Book verbunden ist. Diese Apparatur soll als Webcam fungieren und in kurzen Abständen Livebilder ins Netz einspeisen. Thema der heutigen Internetsprechstunde ist die "Region Hannover".

Doch um 19 Uhr hat sich im Forum noch nicht viel getan. Deshalb nutze ich die Gelegenheit, ein paar Fragen zu stellen. Für den Oberbürgermeister sind Einwohnersprechstunden selbstverständlich und die heutige Internetsprechstunde ist nicht die erste, die angeboten wird. Insgesamt haben schon fünf stattgefunden, die von der Bevölkerung mit Internetanschluss rege genutzt worden seien. Besonders in den persönlichen Einwohnersprechstunden werden die unterschiedlichsten Themen angesprochen. Oft ist der OB die Instanz der letzten Hoffnung, wenn eine Behörde zum Beispiel einen negativen Bescheid gegeben hat. Aber es kommen auch einsame Menschen, die sich einfach einmal mitteilen wollen.

Für Herbert Schmalstieg ist die Sprechstunde eine wichtige Funktion im Rahmen von Bürgernähe und Bürgerbeteiligung. Anders als zum Beispiel bei den Forumsgesprächen von politik digital filtert im hannoverschen Rathaus auch niemand die Fragen. Der OB sieht jede Frage und beantwortet alles innerhalb des Zeitrahmens. Reicht die Zeit nicht mehr aus, wird eben nachgearbeitet. Eine Antwort bekommt jeder Fragende, betont der OB. Wüste Beschimpfungen oder Ähnliches habe man bislang auch noch nie erlebt.

Zugegeben, so ganz ohne Vorurteile bin ich nicht ins Rathaus gegangen. Ich sah schon irgendeinen Schnelltipper an der Tastatur sitzen, der die kurzen und knappen Antworten des Oberbürgermeisters oder eines Referenten eingibt. Ich hatte ebenso damit gerechnet, dass die Sprechstunde von dem einen oder anderen Telefongespräch unterbrochen wird und ein Referent stellvertretend für den OB die Antworten gibt. Doch ich wurde eines Besseren belehrt.

Herbert Schmalstieg hat einmal einen Schreibmaschinenkurs besucht, auf der Computertastatur reicht das zumindest für ein Sechs- bis Siebenfingersystem. So finden sich die Buchstaben wirklich flott auf dem Bildschirm wieder. Als es mit den Fragen im Forum losgeht, konzentriert sich der OB total auf den Bildschirm und ich bin eigentlich abgemeldet. Dennoch ist im Raum eine Unruhe, denn das Stativ mit der Webcam wird bewegt und die Ausleuchtung verändert. Und immer wieder geht der Medienexperte Appelt von der Presseabteilung vor seinem Macintosh in die Knie und klickt alle paar Minuten mit der Maus. Neugierig geworden schau ich mir das einmal an und tatsächlich: Die Webcam liefert nicht automatisch die Bilder ins Web, sondern Herr Appelt löst die Kamera und den Übertragungsvorgang manuell aus.

Diese Methode reizt zum Lästern, doch es gibt einen einfachen und sogar einsichtigen Grund: Der Oberbürgermeister soll eben immer ordentlich im Bild dargestellt sein. Denn ganz so perfekt ist Herbert Schmalstieg dann doch nicht in der Bedienung der Forumssoftware. Immer wieder der hilfesuchende Blick zu Herrn Appelt, der geduldig erklärt, welcher Button angeklickt werden muss. Gleich zu Beginn hatte er die Formel "Mit freundlichen Grüßen" in den Speicher gelegt und erklärt jetzt die Tastenkombination "Strg + V". Trotz aller Unsicherheiten in der Bedienung der Software, die Tastenkombination klappt nach dem dritten Anlauf auf Anhieb.

Nach knapp einer halben Stunde mehren sich die Anfragen im Forum, doch der OB arbeitet immer noch konzentriert: Er macht sich sogar auf einem Zettel Notizen und lässt sich von einem weiteren Referenten auch noch das Datum der Grundsteinlegung der neuen Berufsschule an der EXPO-Plaza heraussuchen. Irgendwie hat man als Beobachter der Szenerie den Eindruck, dass Herr Schmalstieg wirklich in seinem Element ist. Anreden werden unterschiedlich gewählt und er scherzt sogar noch mit uns: "Ich schreib lieber das Jahr 2001 dazu, sonst wird noch gedacht, wir legen den Grundstein sonst irgendwann".

Pünktlich um 20.04 Uhr wird die letzte Frage beantwortet und um 20.07 Uhr bedankt sich der OB: "Vielen Dank allen Teilnehmern. Ich wünsche einen schönen Abend. Mit freundlichen Grüßen Herbert Schmalstieg". Und schon steht eine Referentin in der Tür und zieht den Oberbürgermeister in die nächste Sitzung. Kurzes Händeschütteln und ich verspreche, die nächste Internetsprechstunde aufmerksam am häuslichen Bildschirm zu verfolgen. Meine Vorurteile vergesse ich ganz schnell und hoffe, dass Hannover sich rund um die EXPO-Plaza wirklich zu einem konkurrenzfähigen Medienstandort entwickelt.