Interview mit Melvin Van Peebles

"Rated X by an all-white Jury"

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Melvin Van Peebles hat mit "Sweet Sweetback" das erste Blaxploitation Movie geschaffen und gilt nebenbei auch noch als Erfinder des Rap. Mit einem Themenabend auf arte wird dem Pionier afro-amerikanischer Kultur späte Ehre zuteil.

In den meisten deutschen Filmlexika sucht man den Film vergebens: Obwohl "Sweet Sweetback's Badass Song" (1971) von Melvin Van Peebles der Film war, der in den 70er Jahren eine Welle schwarzer Blaxploitation-Filme wie "Superfly" oder "Shaft" auslöste, ist er in Deutschland bis heute nur selten auf Filmfestivals oder in Spezialitätenkinos gezeigt worden. Jetzt widmet arte dem afro-amerikanischen Filmpionier Van Peebles einen Themenabend, bei dem "Sweet Sweetback" zum ersten Mal im deutschen Fernsehen zu sehen ist.

Daß der Film bis jetzt nicht die ihm gebührende Anerkennung bekommen hatte, könnte daran liegen, daß er auch heute für ein weißes Publikum ein wenig schwer zu schlucken ist. Schon mit dem Titel signalisierte "Sweetback" schwarzen Amerikanern, daß hier kein "guter Neger" zu sehen war, wie ihn etwa Sidney Poitier 1967 in der Integrationsschnulze "Guess who is coming to dinner" gegeben hatte. Sweetback ist ein Kleinkrimineller aus dem Ghetto, der erst auf der Flucht vor der Polizei anfängt, sich mit seinen "schwarzen Brüdern und Schwestern" zu solidarisieren. Van Peebles erzählt die Geschichte seiner Flucht in atemberaubenden Montagesequenzen mit knallenden, psychedelischen Farben und wüsten visuellen Effekten, was ihm bei Filmkritikern den Ruf eingetragen hat, eine "afro-amerikanische Filmästhetik" geprägt zu haben.

Sein erster Spielfilm machte der heute 65jährige Van Peebles, der eigentlich Astronomie studierte hatte, 1967 in Frankreich, 1968 wurde "La Permission" als französischer Beitrag beim San Francisco Film Festival gezeigt. 1970 drehte er in den USA den Film "Watermelon man", in dem ein weißer Rassist eines Morgens mit schwarzer Haut aufwacht. "Sweet Sweetback" entstand als Independent-Produktion für 500.000 Dollar, von denen 50.000 von Bill Cosby stammten. Der Film spielte mehr als 14 Millionen Dollar ein. Trotzdem hat der heute 65jährige Van Peebles bis heute keinen eigenen Film mehr machen können.

In den 70er Jahren inszenierte er Musicals, in den 80er Jahren arbeitete er an der New Yorker Börse, und veröffentlichte sogar ein Buch über das Spekulieren mit Wertpapieren. Für den Film "Panther" seines Sohns Mario Van Peebles (New Jack City, Posse) schrieb er das Drehbuch. Zur Zeit bereitet er eine Verfilmung eines seiner Romane aus den 60er Jahren vor.

Heute sieht es so aus, als ob "Sweet Sweetback" Anfang der 70er Jahre aus dem Nichts kam. Vorher hatte es fast keine Filme von schwarzen Regisseuren in den USA gegeben, und keiner von den wenigen, die es gab, war ästhetisch so radikal wie "Sweet Sweetback"...

Melvin Van Peebles: Der Film kam aus dem Nichts. Die meisten Cineasten erzählen einem, daß sie anfingen, sich für Kino zu interessieren, weil sie die Filme von Eisenstein gesehen hatten, oder Kurosawa oder Fellini. Diese Leute kannte ich überhaupt nicht. Als ich jung war, habe ich im Kino ganz andere Sachen gesehen, und weil ich die Nase davon voll hatte, habe ich "Sweetback" gemacht.

Wenn man heute darüber spricht, wie wichtig "Sweet Sweetback" war, wird oft eine Sache vergessen: damals wollten zuerst nur zwei Kinos den Film zeigen, eins war in Detroit und eins in Atlanta. Erst als der Film schon am Eröffnungswochenende so viel Kasse machte, wollten ihn danach auch viele andere Kinos ins Programm nehmen.

Wer hat den Film denn vertrieben, nachdem Sie ihn unabhängig produziert hatten?

Melvin Van Peebles: Kein normaler Verleih wollte den Film haben. Darum hat eine kleine Firma den Vertrieb gemacht, die gerade dabei war, bankrott zu gehen. Die hatten nichts zu verlieren, darum haben sie den Film genommen. Das hat sie gerettet. Ich bestand darauf, daß "Sweetback" ohne Begleitprogramm gezeigt würde. Das war damals nicht üblich. Schwarze Filme wurden immer als Double Feature gezeigt, weil die Hollywood-Firmen dachten, daß sich schwarze Amerikaner einen Film allein nicht ansehen würden. Ich wollte auch nicht, daß der Film eine Rating von der Motion Picture Association of America (MPAA) bekommt...

...weil er wahrscheinlich sowieso ein X (d.h. nicht jugendfrei - Anm.) als Rating bekommen hätte...

Melvin Van Peebles: Wenn man ihn ein bißchen verändert hätte, hätte er schon ein anderes Rating bekommen. Worum es mir ging, war die Tatsache, daß die Jury, die über die Altersfreigabe entschied, nur aus Weißen bestand. Ich habe denen gesagt, daß ich meinen Film wie eine Auslandsproduktion behandelt haben wollte. Ausländische Filme bekamen nämlich kein Rating. Jack Valente, der Boss von der MPAA, hat mir das verweigert. "Wenn Sie den Film nicht von uns beurteilen lassen, kiregt er automatisch ein X." Obwohl sonst Pornofilme diese Altersfreigabe bekamen, habe ich das hingenommen. Und dann habe ich T-Shirts gedruckt, auf denen stand, "Sweet Sweetback - Rated X by an all-white jury". Mit den T-Shirts habe ich viel Geld verdient.

Hat die Altersfreigabe irgendeinen Einfluß auf das Publikum gehabt?

Melvin Van Peebles: Nein, in den Ghettos sind alle in den Film gegangen. Es hat sogar Priester gegeben, die ihrer Gemeinde im Gottesdienst geraten haben, sie sollten sich den Film ansehen. Die Black Panther haben ihren Mitgliedern ebenfalls gesagt, daß sie sich "Sweet Sweetback" anschauen sollten.

Sie haben damals gesagt, Weiße sollten sich den Film so ansehen, als ob er aus einer anderen Kultur käme, aus Korea oder aus Deutschland. Aber die Kultur, die sie in "Sweetback" zeigen, wirkt heute gewalttätig und sexistisch; der Protagonist ist im besten Fall ein Anti-Held...

Melvin Van Peebles: Der Film galt schon damals als sexistisch und gewalttätig, aber komischerweise nur bei Weißen. Im schwarzen Ghetto sieht und hört man eben dauernd solche Dinge, wie sie in "Sweetback" vorkommen. Was den Seximus betrifft: Ich habe den Mythos vom schwarzen Mann als sexuelles Untier genommen, und vom Kopf auf die Füsse gestellt. Natürlich lebt der Protagonist davon, als Zuhälter schwarze Frauen auszubeuten. Das zu kritisieren, ist, als würde man einen Western tierfeindlich nennen, weil in ihm Pferde geritten werden.

Wollen Sie jetzt Pferde und Frauen vergleichen?

Melvin Van Peebles: Allerdings. Das war Sweetbacks Metier als Zuhälter. Natürlich ist er sexistisch. Was er nicht versteht, ist, daß er dadurch als Werkzeug des Kapitalismus funktioniert. Erst als er vor der Polizei fliehen muß, erkennt er, wie das System wirklich funktioniert und daß er ein Teil davon ist.

Wenn man einen politischen Film macht, nimmt man normalerweise einen Helden, der politisch korrekt ist. So kann man sich mit ihm aber gar nicht identifizieren. Sweetbacks erste politische Tat ist, daß er einen Polizisten umbringt - aus Versehen, nicht weil er den dialektischen Materialismus studiert hat. Er ist nur ein Streetkid und flippt einfach aus. Erst im Lauf des Films erlangt er allmählich politisches Bewußtsein. Und das Publikum nimmt an dieser Politisierung teil.

Diese grobe, fast comic-hafte Gewalt, die in "Sweetback" vorkommt, prägt auch spätere Blaxploitation-Filme. Auch bei den Klassikern der afroamerikanischen Literatur wie "Native Son" von Richard Wright oder "Invisible Man" von Ralph Ellison ist mir diese groteske, überzeichnete Gewalt aufgefallen...

Melvin Van Peebles: Darüber kann ich nichts sagen, ich spreche nur über mich selbst. Und was mich betrifft: Als ich neun war, hatte ich schon ein Dutzend Morde gesehen, nur weil ich aus dem Fenster geguckt hatte. Die Repression, der die Schwarzen in den USA ausgesetzt sind, muß sich eben in irgendeine Luft machen. Das hat nichts mit der Rasse zu tun. Wenn eine Gruppe von Menschen sich nicht ihre Unterdrücker wehren kann, dann fangen sie an, sich untereinander zu bekämpfen.

Über "Sweet Sweetback" ist immer wieder geschrieben worden, daß der Film eine "afro-amerikanische Kinoästhetik" definiert hätte. Würden Sie dem zustimmen, und wenn ja, wie sieht diese Ästhetik aus?

Melvin Van Peebles: Wahrscheinlich meinen die Leute, die sowas schreiben, die Art, wie ich mit Musik und Farben umgegangen bin und die Geschwindigkeit des Films. Das hatte es so vorher noch nicht gegeben.

Und was wäre daran spezifisch "african-american"?

Melvin Van Peebles: Was weiß ich, ich bin eben ein Afro-Amerikaner. Ich habe gemacht, was ich machen wollte. Es ist zwar sehr ermutigend, daß dieser Film so erfolgreich war und ich so viel Geld mit ihm verdient habe, aber es wäre ziemlich anmaßend, sich jetzt hinzustellen und zu sagen: "Ich habe das so und so gemacht, weil ich eine afro-amerikanische Ästhetik definieren wollte." Ich mache Filme, so wie ich koche: Ich koche, was ich mag. Und wenn das niemand außer mir schmeckt, dann habe ich mehr.

Also sehen sie sich nicht als Vater des Blaxploitation-Films?

Melvin Van Peebles: Das bin ich ganz bestimmt. Der kommerzielle Erfolg von "Sweet Sweetback" hat jede Menge Imitationen ausgelöst. Das Geschäft von Amerika ist nun mal das Geschäft. "Sweet Sweetback" war der erfolgreichste Independent-Film, der bis dahin in den USA produziert worden war. Daraufhin hat die Hollywood jede Menge harmlosere Versionen produziert. Der Protagonist von "Shaft" sollte zum Beispiel laut Drehbuch weiß sein. Als sie sahen, wie erfolgreich "Sweetback" war, haben sie das Skript ein bißchen verändert, und einen Schwarzen aus ihm gemacht.

In den 70er Jahren haben sie Musicals produziert. War das eine Alternative zum Filmemachen, weil man nicht mehr mit den großen Filmverleihen und -studios konkurrieren mußte?

Melvin Van Peebles: Das war ein Grund. Ich dachte mir aber auch, daß Minderheiten kaum eine Chance hatten, ihr Handwerk zu lernen. Ich habe mich gefragt: Wo lernt man wirklich Schauspielen? Im Theater natürlich. Also habe ich angefangen, Theaterstücke am Broadway zu produzieren. Das waren keine Musicals, obwohl in ihnen viel Musik vorkam. Aber die Songs in traditionellen Musicals erlauben es nicht, Geschichten zu erzählen. Darum habe ich angefangen, den melodischen Teil der Musik zu vermindern, und verstärkt mit Sprechstimmen zu arbeiten. Das war eine frühe Form des Rap.

Schon in der Musik von "Sweetback" kommt so eine Art Rap vor...

Melvin Van Peebles: Ja, der Soundtrack ist letzten Monat wiederveröffentlich worden. Das war das erste Album von "Earth, Wind and Fire." Weil ich kein Geld hatte, um Reklame für den Film zu machen, habe ich die Musik von "Sweetback" als Marketingmittel benutzt. Ich habe ein Stück geschrieben, das "Sweet Sweetback" hieß und jedesmal, wenn es im Radio gespielt wurde, warb das gleichzeitig für den Film. Danach haben sie dasselbe auch bei "Shaft" und den anderen Blaxploitationfilmen gemacht.

Von Blaxploitation-Movies wie "Shaft" oder "Superfly" hat es mehrere Fortsetzungen gegeben. Warum gab es nie eine zweiten "Sweetback"?

Melvin Van Peebles: "Sweetback" war ursprünglich als Triologie gedacht; ich hatte die anderen beiden Teile auch schon geschrieben. Ich habe aber nie wieder ein Filmangebot bekommen. Danach war ich eine Bedrohung für Hollywood. Nach "Watermelon Man", der einigermaßen erfolgreich war, hatte ich mit Columbia einen Vertrag über drei Filme bekommen. Aber trotzdem habe ich "Sweetback" als Eigenproduktion gemacht, weil das bei Columbia nie gegangen wäre. Alle dachten, daß der Film ein Reinfall werden würde, aber das war nicht so. Diesen Fehler wollte dann natürlich niemand wiederholen.

Ich dachte, das Geschäft von Amerika sei das Geschäft. Da hätte es den Studios doch egal sein können, was sie bei Ihren Filmen machen, solange sie damit Geld verdienen konnten...

Melvin Van Peebles: Aber ich hatte bei "Sweetback" Regie geführt, das Drehbuch geschrieben, die Musik komponiert, die Hauptrolle gespielt und produziert. Wenn das ging, wofür waren dann diese ganzen Anzugträger bei den großen Studios da? Das ist wie beim Wankelmotor. Der ist zwar technisch auch besser als der Otto-Motor, aber trotzdem ist er nie gebaut worden, weil er die ganze Infrastruktur der Autoindustrie kaputt gemacht hätte.

"Sweet Sweetback" läuft am Dienstag, dem 4. November, um 21:00 Uhr auf arte.
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