Interview mit der Anti-EXPO-AG

Warum wird am Eröffnungstag protestiert?

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Der EXPO-Widerstand ist keine Eintagsfliege, sondern hat schon eine jahrelange Entwicklungsdauer hinter sich. Er gipfelt in der Aktionswoche der EXPO-Eröffnung mit vielfältigen Aktionsformen des Widerstandes und der kritischen Information über die Weltausstellung. Aufgeschreckt durch die Ankündigungen wurden in Hannover deshalb ca. 7.000 Polizisten und BGS-Beamte stationiert. Die erste Kundgebung am Wochenende vor Beginn der EXPO ist friedlich verlaufen. Doch für den Eröffnungstag sind Aktionen mit dem Ziel angekündigt worden, die EXPO zu verhindern bzw. massiv zu blockieren.

Die Anti-EXPO AG an der Universität Hannover befasst sich seit 1990 mit der Weltausstellung in Hannover. In der Anfangszeit versuchte man zu erarbeiten, was eine EXPO überhaupt ist und welche Folgen eine solche Veranstaltung für Hannover bedeutet. Dabei wurden unterschiedliche Arbeitskreise und Seminare gebildet. Bei Nachfragen von anderen Bildungsträgern stellte die Anti-EXPO AG auch Referenten. Im Verlauf der Diskussionsprozesses ergab sich das Ziel, die Inhalte der EXPO kritisch zu beleuchten.

In der Aktionswoche vor und während der EXPO-Eröffnung am 1. Juni will man der Öffentlichkeit durch unterschiedliche Aktivitäten noch einmal die Hauptkritikpunkte näher bringen. Dabei will man sich nicht mit einer "Latsch-Demonstration" begnügen, weil man hiermit kaum von der Öffentlichkeit wahrgenommen werde. Nur wenn etwas passiere, wenn eine Spannung in der Luft läge, würden sich die Medien auch für die Proteste interessieren. Man ist sich schon einig, dass man die Weltausstellung in Hannover damit nicht mehr verhindern kann: "Dieser Zug ist abgefahren". Doch dem "Kapital" und den Politikern einfach das Feld überlassen, wolle man auch nicht. "Das Deckmäntelchen "Agenda 21" reicht nicht aus, um auf dieser Weltausstellung wirklich dem Thema "Mensch - Natur - Technik" gerecht zu werden".

Besonders für den Eröffnungstag plant man eine Fülle von Aktionen. Dazu sollen Straßentheater ebenso gehören wie Kissenschlachten auf Kreuzungen. In einem Aktionsbuch "Stören, Blockieren, Sabotieren" sind jede Menge "pfiffige Ideen für die ganze Familie" zusammengefasst worden. Das Aktionsbuch ist nicht ausschließlich zur EXPO geschrieben worden und es birgt auch brisante Ideen des Widerstandes. So werden diverse Sabotageakte konkret beschrieben, die letztlich auch Menschenleben gefährden können.

Grund genug, mit den Leuten der Anti-EXPO AG zu reden. Das Gespräch, an dem sich zwei der hannoverschen Aktivisten beteiligten, ist einem Interview nachempfunden und wiedergegeben. Außerdem stellten die Gesprächspartner klar, dass sie nicht für die gesamte Anti-EXPO-Bewegung sprechen könnten und vieles auch von persönlichen Einstellungen geprägt sei.

Welche Hauptkritikpunkte gibt es an der EXPO?

Anti-EXPO: Einer der wesentlichen Kritikansätze liegt im Bereich des Technologievorschubes, den die EXPO in die Welt transportiert. Dazu gehören u.a. die Gen- und Reprotechnologie, die Informations- und Wissensmonopolisierung, die Ausweitung der Überwachungstechnologie. Alles wird heute wissenschaftlich begründet und "erforscht", wird so lange ausgereizt, bis sich zeigt, dass die Natur aber letztlich doch nicht mehr berechenbar ist, und sich trotz aller Vorhersagen Katastrophen ereignen. Nach wie vor wird die Atomenergie favorisiert. Zwar wird sie nicht mehr als Zukunftslösung betrachtet, aber immer noch als Zwischenlösung vor dem 2. Solarenergieschub. Die Wirtschaft und deren Verbände prognostizieren eine Pseudoverbesserung des Lebensstandards in der Welt, ordnen dabei aber die Weltbevölkerung in gestaffelte Bedürfniskategorien.

Die weltweiten Projekte der EXPO haben zum Teil Alibifunktion, weil es nur ein paar Tropfen auf einen heißen Stein sind und sich keine globalen Lösungen innerhalb der bestehenden Wirtschaftsysteme ergeben. Nach Ansicht der Aussteller gibt es keine Alternative zum Kapitalismus und es gibt nach Angaben der EXPO und der Agenda angeblich nur einen gemeinsamen Lösungsweg. Über alternative Lebensformen und Möglichkeiten der Gestaltung wird nicht mehr nachgedacht. Länder werden künstlich arm gehalten, um Absatzmärkte zu erschließen. Weitere ausführliche Beschreibungen unser Kritik findet sich auf der Homepage.

Wirkt die EXPO als Katalysator für soziale Ausgrenzung in Hannover? Was versucht die EXPO an indirekten Botschaften zu transportieren? Welche sozialökonomischen Folgen hat die Modernisierung bewirkt?

Anti-EXPO: Zum Beispiel hat die Umgestaltung des hannoverschen Hauptbahnhofes zur Folge, dass Wohnungslose, Drogenabhängige und Alkoholiker aus dem Umfeld verdrängt wurden. Solche Leute zu sehen, das passt nicht als Visitenkarte einer Großstadt. Diese Ausgrenzung hat aber auch zur Folge, dass diese Randgruppen noch stärker stigmatisiert werden, und das Menschenbild wird gegenüber diesen Gruppen weiter negativ verstärkt. Um diese Reinigungsmaßnahmen durchzuführen, wird eine Haus- oder Platzordnung erlassen, die bei Nichtbefolgen diese Randgruppe wiederum kriminalisiert und letztlich zu Maßnahmen führen kann, sie zu inhaftieren.

Bei aller Kritik, was ist denn an der EXPO positiv und interessiert man sich denn noch überhaupt für die Weltausstellung?

Anti-EXPO: Neugierig, aber kritisch distanziert, werden sich einzelne schon die EXPO und insbesondere den Themenpark ansehen. Doch davon abgesehen gibt es andere, für uns wichtigere positive Aspekte. Dazu zählt insbesondere die Vernetzung der Linken. Die EXPO hat die Chancen verstärkt, sich wieder in der inhaltlichen Auseinandersetzung zu üben und vieles nicht nur ausschließlich zu diskutieren. Vielmehr muss bei den Aktionen auch der Spaßfaktor berücksichtigt werden. Widerstand soll auch Spaß machen.

Bei den Bundestreffen hat man sich schwer getan, die Leute der Chaostage zu akzeptieren. Hier wurde u.a. die Leitfigur Karl Nagel abgelehnt. Es ging weniger um Ausgrenzung, vielmehr wollte man verdeutlichen, dass die Chaostage in Hannover einseitig besetzt sind. (Anmerkung: Die Chaostage führten immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen) Das Angebot von Nagel, die Aktionstage im Internet kritisch als Infobörse zu begleiten, läuft auch ohne offizielle Einbindung in die Widerstandsstrukturen.

Manche der Aktionen aus dem Aktionshandbuch sind zum Teil so zu interpretieren, dass Menschenleben gefährdet werden könnten. Wie stellt sich die Anti-EXPO AG dazu?

Anti-EXPO: Es gibt eine Vereinbarung, Menschenleben nicht zu gefährden. Dennoch soll durch vielfältige und fantasievolle Aktivitäten die Aufmerksamkeit erlangt werden, um so die Inhalte zu transportieren. Nicht alle Aktionen werden dazu dienen, zum Beispiel nur den Verkehr zu behindern, sondern durch Straßentheater u.a. werden die Besucher in eine inhaltliche Auseinandersetzung gezogen. Einer der Kernpunkte wird der EXPO-Bahnhof West sein.

Glaubt ihr im Ernst, dass man durch solche Aktionen die Inhalte transportieren kann? Vielmehr werden die Medien doch eher von den Behinderungen und sonstigen Aktionen berichten. Letztlich wird man nur lesen, wie lange die Staus waren, ob es friedlich war oder ob es zu tätlichen Auseinandersetzungen gekommen ist.

Anti-EXPO: Innerhalb der Medienlandschaft Hannovers erwarten wir keine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Aktionen. Aber in der überregionalen Berichterstattung zeigt sich schon ein anderes Bild.

Warum nur eine Woche Protest?

Anti-EXPO: Es gilt auch Kräfte zu bündeln, aber es sind auch weiterhin Aktionen zu den Nationen- oder Ländertagen geplant.

Was wird nach eurer persönlicher Ansicht am Donnerstag passieren?

Anti-EXPO: Es wird sich ein Ausdruck bunter und kreativer Widerstandskultur zeigen. Wir wünschen uns eine nachhaltige Wirkung, so dass auch über die Expo hinaus etwas bestehen bleibt.

Aktuelle Infos

Zurzeit sollen sich im Anti-EXPO-Camp ca. 150 Leute aufhalten und die Aktionspläne für den Eröffnungstag der EXPO vervollständigen. Dennoch geht man von autonomen Aktionen aus, die von keiner Zentrale geplant werden. Bis zum 1. Juni will man weiterhin verstärkt Öffentlichkeitsarbeit machen, um noch mehr aktive Teilnehmer gewinnen zu können. Nach Polizeiangaben werden ca. 2.000 Demonstranten erwartet.

Fotos: Gerald Jörns mit Epson 850Z