Iraks drakonisches Internetgesetz droht mit lebenslänglichen Strafen

Die Menschenrechtsorganisation HRW kritisiert die vagen Formulierungen, die Willkür ermöglichen und die Meinungs- und Informationsfreiheit untergraben

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Die irakische Regierung will nach einem Gesetzesentwurf das Internet schärfer regulieren und Meinungs- und Informationsfreiheit stark einschränken. Das Gesetz, das noch aus der Zeit stammt, als Kämpfe und Anschläge von Milizen und Terrorgruppen ihren Höhepunkt hatten, wird von Menschenrechtsgruppen kritisiert. Es gibt hohe Strafen auf vage definierte neue Straftaten.

Auch wenn mit dem geplanten Internetgesetz in einem Land, in dem nach der ITU gerade einmal 5 Prozent das Internet nutzen und die Internetdurchdringung bei etwas mehr als ein Prozent liegt, tatsächlich nur Terroristen und Aufständische besser bekämpft werden sollen, würde es doch alle betreffen. Joe Stork von der Menschenrechtsgruppe Human Rights Watch, die einen Bericht dazu veröffentlicht hat, sagt, das Gesetz gebe den "irakischen Behörden ein weiteres Werkzeug in die Hand, abweichende Meinungen vor allem im Internet zu unterdrücken, das zunehmend von irakischen Journalisten und Aktivisten zur Information und offenen Diskussion genutzt wird".

Die vorgesehenen Regelungen würden gegen die seit 2005 geltende Verfassung verstoßen. Die erste Lesung fand bereits letztes Jahr statt, die zweite soll in diesem Monat erfolgen, weswegen HRW nun die irakischen Abgeordneten auffordert, die Verabschiedung des Gesetzes zu verschieben, bis es so verändert wurde, dass es verfassungskonform ist und die Prinzipien der Menschenrechte achtet. Einige Abgeordnete haben dies der Organisation zugesagt. HRW ist auch deswegen beunruhigt, weil nach Angaben der Organisation die Übergriffe der Sicherheitskräfte gegen friedliche Demonstranten zunehmen.

Nach HRW würde das Gesetz Haftstrafen bis zu lebenslänglich für die "absichtliche" Benutzung von Computern und Netzwerken vorsehen, um "die Unabhängigkeit, Einheit oder Sicherheit des Landes oder seiner höchsten wirtschaftlichen, politischen, militärischen oder mit der Sicherheit zusammenhängenden Interessen" zu untergraben. Die einzelnen Punkten werden nicht näher erläutert, was der Willkür Tür und Tor öffnen würde.

Ein anderer Artikel droht ebenfalls bei einer Mitwirkung (Partizipation, Verhandlungen, Werbung, Handel, Verträge schließen) mittels Computer und Informationsnetzwerken bei einer "feindlichen Entität zum Zweck der Störung der Sicherheit und der öffentlichen Ordnung oder der Gefährdung des Landes" mit lebenslänglicher Haft. Für HRW gefährdet dies die Versammlungsfreiheit und erlaubt die strafrechtliche Verfolgung von jedem, der sich an einer Organisation, einer Bewegung oder einer politischen Partei beteiligt, die die Regierung als "feindlich" bezeichnet. Eine lebenslängliche Haftstrafe ist auch für diejenigen vorgesehen, die "ethnische Spannungen oder Kämpfe anstacheln, die Sicherheit und öffentliche Ordnung stören oder das Land verunglimpfen".

Gleiche Strafen gibt es, wenn "falsche oder in die Irre führende Ereignisse veröffentlicht werden, um das Vertrauen in das elektronische Finanzsystem, die elektronischen Wirtschafts- und Finanzdokumente oder ähnliches zu zerstören oder um die nationale Ökonomie und das finanzielle Vertrauen in den Staat zu schädigen". Da könnte es schon riskant werden, über eine Finanz- oder Wirtschaftskrise nur zu schreiben. Mit einer einjährigen Haftstrafe müsste rechnen, wer "jede Art von religiösen, moralischen, familiären oder sozialen Werten oder Prinzipien oder die Unversehrtheit des Privatlebens durch die Nutzung eines Informationsnetzwerks oder Computers" beeinträchtigt. Und auch wer eine Website einrichtet, verwaltet oder dabei hilft, auf der für Raubkopieren oder Obszönität geworben oder dazu aufgestachelt wird, muss mit einer Gefängnisstrafe rechnen. Überhaupt stehen alle Inhalte unter Strafe, die "den Anstand oder die öffentliche Moral verletzen oder entsprechendes befürworten oder propagieren".

Mit solchen umfassenden und vagen Formulierungen und mit solchen drakonischen Strafen könnte die Regierung letztlich jede kritische Meinungsäußerung unterbinden, die ihr nicht passt. HRW warnt, das Gesetz stelle eine ernsthafte Gefahr für unabhängige Medien, friedliche Aktivisten und Whistleblower dar. Schon zuvor hatten die Reporter ohne Grenzen gewarnt, das Gesetz stelle eine Bedrohung der Freiheit dar. Zusammen mit den fortlaufenden Angriffen auf und Belästigungen von Journalisten durch Sicherheitskräfte sei die Pressefreiheit zunehmend gefährdet.