Iran und die Solidarität mit der vermeintlichen Opposition

Wir favorisieren die Gegner des Regimes, aber eigentlich ist die Wirklichkeit komplexer als unsere Gefühle

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Wenn irgendwo große Proteste entstehen, um Fesseln eines Regimes zu sprengen, dann sind viele Menschen solidarisch mit den Oppositionellen, die etwas verändern wollen und dabei womöglich ihr Leben auf das Spiel setzen. Das erfasst auch die Medien, die hier ebenso gerne dabei sind wie bei Kriegen, Amokläufen, Katastrophen oder irgendwelchen Geschehnissen, an denen Promis beteiligt sind.

Also starrt man nun in den Iran, die Protestbewegung findet globale Aufmerksamkeit, sie ist von vorneherein ein mediales Phänomen – und das wissen sowohl die Regimevertreter, die die Medien zensieren und kanalisieren, als auch die Protestierenden und ihre Anhänger im Ausland, die ebenso wie die Regierungen ganz unterschiedliche Interessen vertreten können. Und die digitalen, vernetzten Medien bieten für alle Beteiligten – und natürlich am stärksten für die engagierten Protestierer – eine weitaus bessere Möglichkeit, sich durch einen kontinuierlichen Informationsfluss zu organisieren und stärken sowie die Öffentlichkeit zu beeinflussen, als die "zentralistischen" oder räumlich begrenzten Medien Flugblätter, Zeitungen, Radio und Fernsehen, die viel leichter von der staatlichen Macht eingeschränkt werden können. Das Massenmedium des "Gerüchts", könnte man sagen, wird nun in allen Aspekten befreit von der lokalen Gebundenheit und zu einem globalen Phänomen, das in Wellenform über den Planeten jagt – aber auch ebenso schnell wieder verschwinden kann.

Ob die "Revolution" gebloggt oder nun getwittert wird, ist dabei relativ nebensächlich. Das sind Verlagerungen der Informations- und Kommunikationskanäle, die es auch weiterhin geben wird und die es auch stets zuvor gegeben hat. Auch Medienkriege sind nichts Neues, der Kampf um die Bilder hat allerdings zugenommen. Schon immer dürfte die "Information", die die Realitätswahrnehmung prägt, wichtiger als die Waffen gewesen sein. Interessant ist jetzt im Iran, dass die Opposition zwar in den digitalen Medien höchst aktiv ist, aber im realen Raum versucht zu schweigen. Man gibt sich – zumindest teilweise - als pure Präsenz, als reine Masse, friedlich, ein ruhiger Strom, anklagend schwarz, mit Mundschutz, der nicht vor Viren schützt, sondern vor Provokation.

Das Regime weiß noch nicht, wie es sich unter den Augen der Weltöffentlichkeit verhalten soll. Zwar wurden die Journalisten zurückgedrängt und die Berichterstattung massiv eingeschränkt, trotzdem findet alles unter globaler Beobachtung in Echtzeit statt und lässt man eine gewisse Berichterstattung über die "illegalen" Proteste zu. Das weiß man. Man weiß auch, dass die Führung des Regimes kein Block ist. Der "Proli" Ahmadenidschad ist zwar ein Akademiker und gehört einer Art Sekte an, aber er ist nicht wirklich im System der Mullahs integriert. Seltsamerweise sind das die beiden angeblich reformerischen Präsidentschaftskandidaten sehr viel mehr. Ahmadenidschad, der auf der Weltbühne in einer billigen Jacke und ohne Krawatte auftritt, ist ein Radikaler, der auf die Stabilität des Systems pfeift und die Welt verändern will (und sich dabei mit anderen Weltveränderern wie Chavez trifft). Die Pose, die Weltmacht USA herauszufordern, gefällt dem Revolutionär, nicht aber unbedingt der religiösen Machtclique, die sich langfristig um Stabilität des Systems sorgt.

Aus diesem Widerstreit mag rühren, dass der Revolutionär auf dem Stuhl der Macht zu sitzen scheint, während die Demonstranten eigentlich mit Mussawi das System der Mullahs und den Klerus von Qom stärken, das auch mit ein wenig mehr Freiheit und weniger Terror der Tugend auskommen kann. Dahinter zieht auch noch der Milliardär Rafsandschani an den Strippen. Der iranische Präsident stützt sich vermutlich vorwiegend auf die Revolutionären Garden und die Miliz der Basidsch, während Polizei und vor allem das Militär bislang im Hintergrund blieben. Das macht das Spiel mit den vielen Akteuren so schwierig und undurchsichtig, gut und böse, reformerisch und systemstabilisierend, frei und repressiv, das lässt sich kaum wirklich sauber verteilen.

Aber der Blick von außen mag auch täuschen. Eigentlich verhält sich das Regime taktisch klug. Es unterbindet, soweit es geht, Öffentlichkeit, lässt die Demonstranten weitgehend in Ruhe, schickt die Milizen der Basidsch vor, um Gewalt auszuüben und Schrecken zu verbreiten, und versucht, durch gezielte Festnahmen die Oppositionsbewegung zu köpfen. Die Gefahr für diese ist – was beispielsweise auch in Mexiko unter ganz anderen Bedingungen geschehen ist -, sich allmählich zu erschöpfen und nichts zu erreichen. Verhält sich die Macht weich, schlägt sie nicht brutal zurück, erlahmt das Potenzial der Aktivierung. So hat der oberste geistliche Führer Ali Khamenei alle aufgerufen, keine Gewalt auszuüben. Eine Dauererregung ohne wirklichen Anlass lässt sich nicht durchhalten. Allerdings scheinen die "Massen" die großen Führer nicht mehr zu brauchen, sie organisieren sich selbst. Sie wollen es irgendwie anders.

Aber es fehlt die große Vision. Auch das scheint für unsere Zeit typisch zu sein. Und wenn man auf die "Revolutionen" der letzten Zeit in der Ukraine, im Libanon oder in Georgien schaut, dann bringt der scheinbare Systemwechsel nicht wirklich einen Aufbruch zustande, da die neuen Führer bereits im alten System etabliert waren. Den Menschen im Iran würde man wünschen, dass es einmal anders verläuft, dass im Zuge der Proteste andere Köpfe nach oben kommen, die eine wirkliche Veränderung mit sich bringen – vielleicht erreicht dies ja Vorgehensweise des Regimes. Das wäre nicht nur wichtig für den Iran, sondern für die ganze Region, vielleicht auch für die muslimische Welt, die seltsam gebannt zu scheint von der realen Macht und dem Glauben – und vor allem der Männerherrschaft. Es gibt mehr als Religion und Kapitalismus, möchte man den Menschen zurufen.