Irans Machtfilialen

Irak: Der Süden wird fundamentalistisch

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Es gibt die große Auseinandersetzung zwischen den USA und Iran in der Weltöffentlichkeit: den Streit um das Nuklearprogramm Irans. Und es gibt eine andere Auseinandersetzung zwischen der Supermacht und der Regionalmacht mit mächtigen Ambitionen: den Streit um Einflusssphären im „neuen Irak“. Im Augenblick sieht es so aus, als habe Teheran dort die besseren Karten.

So vorbehaltlos und uneingeschränkt, wie von CNN gemeldet: Iraqi minister defends Iranian nuclear program, fiel die Erklärung des irakischen Außenministers Zebari zum Nuklearprogramm Irans nach dem Treffen mit seinem iranischen Amtskollegen Manutschehr Mottaki dann doch nicht aus.

Während Zebari laut CNN keine Notwendigkeit darin sehen würde, von Teheran Garantien für die friedliche Nutzung der Atomenergie einzufordern, korrigiert der irakische Blogger Omar von „Iraq the Model“ die erstaunlich eindeutig sympathisierende Presseerklärung mit einer getreueren Übersetzung der arabischen Rede. Demnach hat Zebari die „respektierten Rechte Irans“ an der Nuklearforschung dezidiert an die Bedingung geknüpft, dass sich Iran an die international geforderten Bedingungen halte, dass dies nicht zu einem Bewaffnungswettlauf in der Region führe.

Ein größerer iran-irakischer Solidarisierungs-Schock blieb der amerikanischen Regierung also erspart. Leicht beunruhigend dürfte das Fazit des Besuchs von Manutschehr Mottaki im Irak, der von offiziellen irakischen Regierungsvertretern als „extrem positiv“ bezeichnet wurde, dennoch gewesen sein, zeigt es doch eine Nähe zwischen den beiden Regierungen, die vermutlich nicht in den Visionen der amerikanischen Regierung vom geopolitischen Status des Irak nach seiner Befreiung vorgesehen war.

Mehr beunruhigen als die beschlossene offizielle Zusammenarbeit zwischen den beiden Nachbarländern in Sachen Wiederaufbauhilfe, Energiepolitik, Grenzsicherung und beim Gerichtsverfahren gegen Saddam Hussein dürfte die US-Regierung schon die demonstrierte Verbundenheit zwischen den Repräsentanten der schiitischen Führung und dem iranischen Vertreter – soviel wichtige „Hearts and Minds“ kann Außenministerin Rice nicht so leicht gewinnen. Noch weitaus beunruhigender sind aber jüngste Nachrichten, die noch einmal bestätigen, was man schon seit längerem vermutet: die nur leicht getarnte Einmischung iranischer Kräfte in dem Kampf um die Vorherrschaft im Süden. Im Zentrum der verwickelten Auseinandersetzungen steht dabei die Stadt Basra, das schiitische Pendant zum ölreichen Kirkuk im kurdisch dominierten Norden des Landes.

Während die Briten in Basra die Kontrolle anscheinend verloren haben, sollen nach Angaben von irakischen und britischen Offiziellen Milizen die Herrschaft übernommen haben, die von iranischer Seite mit Waffen, Personal und Geheimdienstinformationen unterstützt werden. Der iranische Einfluss sei allerorten zu spüren, so Knight-Ridder-Reporter Tom Lasseter in einer Reportage aus Basra:

Don't be afraid to speak Farsi in Basra. We are a branch of Iran.

Nach seiner Recherche ist Basra und die dazu gehörige Provinz, die vermutlich eine der ersten sein wird, die nach Machttransferplanungen irakischen Sicherheitskräften übergeben wird, deutlich auf dem Weg zu einer stark fundamentalistisch geprägten Region, wo die dort lebenden Iraker der Willkür der Milizen, der Herrschaft von Iran freundlichen Geistlichen und einer äußerst rigiden Anwendung islamischer Gesetzes ausgesetzt sind.

Die schiitischen Ambitionen auf eine eigenständige Region im Süden des Landes, ähnlich wie Kurdistan im Norden, sind seit längerem bekannt, jetzt werden die anscheinend die Fakten dafür geschaffen: Natürlich geht es dabei auch ums Öl, wie die Hintergründe der Milizenkämpfe in Basra zeigen (vgl. Jede Stunde ein Toter).

Die Effekte dieser Entwicklung, die von iranischer Seite durch die Unterstützung der schiitischen Milizen nachhaltig gefördert werden sollen (wobei Lasseter bei seinen Recherchen herausgefunden hat, dass sowohl die Badr-Milizen wie deren Rivalen, die Mahdi-Armee von Muktada as-Sadr, gleichermaßen unterstützt werden), könnten die USA an strategisch empfindlicher Stelle treffen.

Einmal, weil die amerikanischen Truppen von den Nachschublinien abhängen, die durch den irakischen Süden von Kuweit nach Bagdad laufen, und eine Regionalregierung mit iranischen Verbündeten in diesem Zusammenhang ein Risiko ist. Zum anderen, weil nicht genau vorhersehbar ist, wie sich eine schiitische Vormacht im Süden Iraks auf die benachbarten schiitischen Minderheiten in den ölreichen Regionen Kuweits und Saudi-Arabiens auswirken kann; entsprechende Ängste hat Saudi-Arabien bereits geäußert. Dass Iran, wie es derzeit aussieht, bei diesen Transformationen im neuen Irak zu einem immer einflussreicheren regionalen Faktor wird, macht die große Auseinandersetzung zwischen den USA und Iran nicht einfacher.