Islamisten und Neonazis im Visier

Der von Schily vorgelegte Verfassungsschutzbericht konstatiert eine Zunahme der militanten "Freien Kameradschaften"

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Die Vorlage des Verfassungsschutzberichtes ist meist eine recht unspektakuläre Angelegenheit. So konnte auch nicht verwundern, was am Innenminister Schily bei der Vorstellung des VS-Berichtes 2004 zu sagen hatte. Die Neonazis und die Islamisten bezeichnete er als Hauptgefahr im Berichtszeitraum.

Im Detail ist dann schon interessant, dass sich in der rechten Szene eine Verschiebung vollzogen hat. Während die traditionellen Rechtsparteien REP und DVU weiterhin Mitglieder verlieren, konnte die NPD leicht zulegen. Durch ihre rechte Volksfront hat sie auch eine Scharnierfunktion zwischen traditionellen Rechten und offenen Neonazis erlangt. Diese meist in sogenannten Freien Kameradschaften organisierten Rechten konnten Zuwächse verzeichnen (vgl. Rechtsextreme bauen ihre Online-Präsenz weiter aus).

Damit hat sich bundesweit ein Trend fortgesetzt, der schon vor wenigen Wochen bei der Vorlage des Verfassungsschutzberichtes des Landes Berlin konstatiert wurde. Auch nach diesem Bericht haben die militanten Kameradschaftskreise gegenüber den traditionellen Rechtsparteien zugelegt. Mit dieser Umgruppierung ist auch eine Zunahme der neonazistischen Delikte, wie Volksverhetzung und das Zeigen verfassungsfeindlicher Symbole verbunden. Während die traditionellen Rechtsparteien zumindest formal auf Beachtung der Gesetze bedacht sind, geben die Kameradschaftskreise offen zu, dass sie das Grundgesetz abschaffen und Andersdenkende verfolgen wollen.

Immer wieder gehen aus diesen Kreisen Gewaltaktionen gegen Ausländer, Juden und Andersdenkende aus. Genannt werden im VS-Bericht 2004 insgesamt 776 Gewalttaten (2003: 759). Die Gesamtzahl der rechtsextremen Straftaten lag im Jahr 2004 bei 12.553 (2003: 10.792), also eine Steigerung um 11,7 Prozent. Auch die antisemitischen Straftaten wie das Propagieren der Auschwitzlüge sowie Schmierereien an jüdischen Gedenkstätten und Einrichtungen haben zugenommen. Interessanterweise wurde gerade der Teil des Rechtsextremismus gestärkt, der durch Vereins- und Organisationsverbote unter besonderem Verfolgungsdruck steht.

Ebenso so ist die eng mit den Kameradschaftskreisen verbundene Rechtsrockszene im Berichtszeitraum weiterhin gewachsen. Wie in den Vorjahren ist auch hier wieder in Ostdeutschland ein Schwerpunkt der rechten Aktivitäten. Der Rechtsextremismusexperte Henning Flad hat in einem Interview den diagnostizierten Anstieg etwas relativiert. Nach den NPD-Wahlerfolgen schauen die Behörden etwas genauer hin. Jetzt werden auch rechte Aktivitäten aufgeführt, die vor einigen Jahren noch unbeachtet geblieben sind. So ist das Ergebnis des VS-Berichts eben auch eine Frage des Blickwinkels.

Das kann auch beim zweiten, von Schily hervor gehobenen Gefahrenherd Islamismus festgestellt werden. Bei genauerem Hinsehen ist die Zahl der Islamisten in Deutschland nur unwesentlich gestiegen. Insgesamt gehörten 2004 rund 31.800 Personen einer der 24 islamistischen Gruppen an. 2003 hatte das Amt 30.950 Islamisten registriert. Pakistanische und tschetschenische Islamisten haben sich im letzten Jahr vermehrt in Deutschland betätigt. Den größten Anteil stellen nach dem Bericht aber weiterhin türkische Islamisten, in erster Linie die rund 26.500 Milli-Görus-Mitglieder. Auch hier ist alles wieder eine Frage der Sichtweise. Denn jahrelang wurde darüber gestritten, ob Milli Görus eine konservative Kulturvereinigung ist, wie sie sich selber gern gibt, oder ob es sich dabei um Islamisten handelt. "Derzeit werden", so Schily, "bundesweit 171 Ermittlungsverfahren mit islamistisch-terroristischem Hintergrund geführt, rund die Hälfte davon (87) beim Bundeskriminalamt."

Die Abwehr des islamistischen Terrors bezeichnete Schily auch für Deutschland als wichtigste Aufgabe der nächsten Zeit Besonders gefährdet seien US-amerikanische, britische, israelische und jüdische Einrichtungen. Als Beweis für die Gefährlichkeit des Islams erinnerte Schily an einen geplanten Anschlag gegen den irakischen Ministerpräsidenten Ijad Allawi bei seinem Berlin-Besuch im letzten Jahr, das von der Islamistengruppe Ansar al Islam geplant worden sein soll. Für Schily ist das der Beweis, dass in Deutschland Attentate mit islamistischen Hintergrund vorbereitet werden Schily kündigte die Einrichtung einer "gemeinsamen Indexdatei sowie gemeinsamer Projektdateien von Polizeien und Nachrichtendiensten" an.

Die Linke steht in diesem Jahr nicht im Mittelpunkt der Diskussion, was sicherlich auch ihrer marginalen Stellung zuzuschreiben ist. Doch im Bericht sind wie in den Vorjahren eine ganze Reihe von Organisationen und Bündnisse aufgeführt. Über Indymedia Deutschland heißt es, dass das Mediennetzwerk "verstärkt von Linksextremisten als Informationsquelle genutzt" werde. Selbst der Friedensratschlag, die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten und die PDS finden im VS-Bericht Erwähnung, was wie schon in den vergangenen Jahren von Sprechern dieser Organisationen mit Empörung quittiert wurde.