Israel und die Palästinenser: "Objektiv liegen Merkmale eines Apartheid-Systems vor"
Der Jurist Kai Ambos zur Behandlung der Palästinenser durch Israel. Über Proteste in Deutschland. Und über drei juristische Merkmale der Apartheid. (Teil 1)
Telepolis, das Online-Magazin, gibt es ab sofort auch im Podcast-Format. Willkommen zur ersten Ausgabe, sagt Dietmar Ringel. Und weil sich Telepolis nicht um Themen drückt, die umstritten sind und kontrovers diskutiert werden, haben wir uns zum Auftakt genau ein solches Thema herausgesucht, nämlich: Darf man Israel einen Apartheid-Staat nennen?
Gerade hat sich der Straf- und Völkerrechtler Prof. Kai Ambos von der Universität Göttingen, der auch Richter am Kosovo-Sondertribunal in Den Haag ist, mit einem neuen Buch zu Wort gemeldet, dem es eben um diese Frage geht. Erschienen ist es im Westend-Verlag, Frankfurter/Main. Es heißt: "Apartheid in Palästina?"
Und das ist eben abzugrenzen von einer Kritik, die in einem bestimmten Realkonflikt, wie das auch Antisemitismusforscher nennen, basiert, also dem Konflikt Palästina–Israel im ehemaligen Mandatsgebiet Palästina, und die sich auf völkerrechtliche oder menschenrechtliche Maßstäbe stützt.
Aber es ist nicht auszuschließen, dass auch dieser Vorwurf antisemitisch motiviert ist.
Und die Volksverhetzung ist ein ganz spezifischer Tatbestand, der im Kern die Hassrede oder die Aufstachelung zum Hass gegen bestimmte Gruppen, insbesondere natürlich auch die Juden und die Negierung des Holocausts einschließt.
Also, der Tatbestand ist ziemlich groß und insofern ist es gar nicht so einfach, diesen Tatbestand anzuwenden auf eine reine Demonstration, auch wenn die antisemitisch motiviert ist.
Die andere Frage ist, ob solche Demonstrationen dann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verboten werden sollen. Und diesen Kampf haben wir jeden Tag, also in jeder Stadt – Köln, Berlin, Hamburg, Frankfurt –, wo dann eben Demonstrationen beantragt werden und dann die Städte entscheiden müssen, ob sie sie erlauben oder nicht.
Wenn dann eben solche Plakate kommen oder der berühmte Spruch "From the River to the Sea", der auch immer dann oft kommt, dann stellt sich eben die Frage: Wird es verboten? Dann geht es zum Verwaltungsgericht. Und die Verwaltungsgerichte entscheiden dann unterschiedlich; das ist eigentlich die Situation, die wir derzeit in der Republik haben.
Also manche Verwaltungsgerichte sagen dann, die Meinungsfreiheit, die Demonstrationsfreiheit hat Vorrang, weil: nicht eindeutig antisemitisch. Andere sagen, die muss zurückstehen, weil: eben eindeutig antisemitisch und damit dem inneren Frieden abträglich.
Aber das ist immer sehr fallabhängig und sehr kasuistisch und was man eben nicht machen darf, dass man allgemein, generell sagt, dieses Plakat X ist antisemitisch. Das liegt auch daran, dass der Begriff des Antisemitismus gar nicht so klar ist.
Ich habe es eben versucht, im Kern sozusagen zu definieren, das ist jetzt diese Kurzdefinition: Ich tue etwas, weil diese Person ein Jude ist. Und das ist der einzige Grund. Also, sachfremde, diskriminierende Gründe bewegen mich zu meiner Haltung.
Und natürlich, wenn ich sage, ich möchte, dass ein Landstrich judenfrei wird, zum Beispiel solch eine Aussage, in dem Fall zum Beispiel Palästina, dann ist das natürlich antisemitisch.
Aber es kommt immer sehr auf den Fall an. Insofern müsste man jeden Fall einzeln, und da haben wir auch sehr viel Gerichtspraxis – müsste man jeden Fall einzeln untersuchen.
Das Letzte, was ich machen will, ist, einen Vorwurf zu erheben und liberale Kollegen, mit denen ich seit Jahren zusammenarbeite, in der Hebräischen Universität, in Tel Aviv, in anderen Universitäten in Israel und auch außerhalb Israels, jüdische Kollegen, werfen mir dann vor, du hast hier einen antisemitischen Vorwurf erhoben oder einen unbegründeten Vorwurf.
Deswegen habe ich das auch den Kollegen vorgelegt und die liberalen Kollegen, die auch im Völkerrecht so tätig sind, die sich auch äußern öffentlich und die, man muss es sagen, in der Mehrheit, wenn auch nicht alle, natürlich kritisch zu dieser Regierung stehen, dieser Netanjahu-Regierung, die nehmen das schon ernst.
Also die sagen nicht, das ist Antisemitismus, also wie Netanjahu im Grunde genommen alles, was sich gegen Israel richtet, als Antisemitismus abkanzelt. Sondern, sie nehmen es ernst und versuchen, sich damit inhaltlich auseinanderzusetzen, kommen dann auch zu anderen Ergebnissen.
Zum Beispiel der Amnesty International-Bericht, der ist auch hierzulande kritisiert worden. Erinnern sich an einen Artikel von Meron Mendel in der Zeit zum Beispiel. Da kann man dann darüber streiten, inhaltlich, aber nicht auf der Ebene: Du bist Antisemit.
Wir nehmen das ernst als Vorwurf und versuchen, uns eben mit unserem Werkzeug der Juristen, Juristinnen damit auseinanderzusetzen.
Das zweite Element dieses Unterdrückungssystems lässt sich auch nachzeichnen anhand dieses gesamten Herrschaftsapparats der Besatzung. Das würde jetzt zu weit führen, das im Detail auszuführen.
Ein Besatzungsregime hat natürlich Elemente, per definitionem, der Herrschaft des Besatzers über die besetzte Bevölkerungsgruppe.
Aber das darf nicht zu einer Diskriminierung führen, sondern die Idee des Besatzungsrechts als Recht des bewaffneten Konflikts, ist eigentlich, dass der Besatzer die lokale Bevölkerung schützen muss. Er darf eben nicht seine eigene Bevölkerung ansiedeln und die dann noch privilegieren.
Das ist das große Problem der Siedlungspolitik seit 1967. Insofern kann man dann im Ergebnis sagen: Objektiv liegen die Merkmale eines Apartheid-Systems vor.
Das tragen auch sehr viele Organisationen mit, auch der Vereinten Nationen, auch lokale israelische Nichtregierungsorganisationen zum Beispiel B'Tselem Breaking the Silence, diese Organisation von Soldaten.
Schwieriger ist es, dieses subjektive Element nachzuweisen, wie die Frage des Genozids, was ja jetzt vor dem Internationalen Gerichtshof verhandelt wird bezüglich Gaza. Da haben wir auch solch ein subjektives Element. Ich muss bei der Apartheid eben alle diese Handlungen vornehmen, um dieses System aufrechtzuerhalten.
Es ist immer sehr schwer in der Juristerei, eine solche Absicht nachzuweisen.
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