Jeder kann überall angegriffen werden oder selbst zuschlagen

In dem Buch "The Futur of Violence" wird die angeblich neue (Un)Sicherheitslage vorgestellt, die durch bereits vorhandene technische Möglichkeiten am Entstehen ist

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Man erinnert sich an die Panik 2001, als nach den Selbstmordanschlägen mit den zu Waffen verwandelten Passagierflugzeugen Briefe bei Medienvertretern auftauchten, die Anthraxpulver enthielten. Es war der wohl spektakulärste Angriff mit biologischen Waffen. Ziel war es vermutlich gar nicht, möglichst viele Menschen zu töten, sondern vor allem Aufsehen zu erregen. Es starben 5 Menschen. Nicht sicher ist, ob der Täter tatsächlich gefunden wurde. Der Verdächtige hat sich vermutlich selbst getötet.

Aber man muss sich nur vorstellen, was möglich wäre, wenn Angreifer keine Briefe auf dem Postweg verschicken, sondern viele kleine Drohnen verwenden würden, um das Anthrax über große Flächen einer belebten Großstadt zu verteilen. Die Mittel wären einfach verfügbar, schreiben Benjamin Wittes und Gabriela Blum in ihrem gerade erschienen Buch "The Future of Violence: Robots and Germs, Hackers and Drones—Confronting a New Age of Threat", in dem sie vorstellen, was mit der jetzt oder künftig praktisch allen Menschen verfügbaren Technik angerichtet werden könnte. Es droht eine Welle an Gewalt über die Gesellschaften hereinzubrechen, die auch von einzelnen Menschen ausgehen kann, die sich bislang als Selbstmordattentäter einspannen ließen oder als Amokläufer mit Schusswaffen bis zum eigenen Tod möglichst viele Menschen mit sich reißen wollten. Die neuen Bedrohungen seien nicht nur möglich, sie sind letztlich unvermeidbar.

Um zu Drohnen als Auslieferungsmittel für Anthraxsporen zurückzukehren, so ist es wohl weiterhin schwierig, Anthrax so herzustellen, dass es sich leicht verteilt, wenn man beispielsweise Drohnen über einem Fußballstadion, eine Demonstration oder eine Wahlkampfveranstaltung kreisen ließe und die biologische Waffe versprüht, die dann Tausende von Menschen einatmen und sich damit infizieren. Das Anthraxpulver in den Briefen war vermutlich nicht selbst hergestellt, sondern stammte aus militärischen Labors, in denen weiterhin an biologischen Waffen geforscht wird. Aber die Drohnen sind leicht zu erhalten. Man muss sie nicht einmal im Laden kaufen, wodurch man womöglich zurückverfolgt werden könnte, man muss nur, so die beiden Autoren, etwa auf die Website DIY Drone gehen, um zu lernen, wie man eine Drohne selber bauen kann, die man mit der tödlichen Last dann fernsteuern oder GPS-gesteuert autonom fliegen lassen kann. Damit ließe sich auch die Gefahr minimieren, identifiziert werden zu können.

Die Autoren packen viele Szenarien zusammen, die die verheißungsvolle Technik zu einer schrecklichen Waffe machen: von Computerangriffen aller Art über Roboter oder 3-Drucker, mit denen sich Schusswaffen herstellen lassen, bis hin zu Möglichkeiten der Genmanipulation und der Synthetischen Biologie. Vor Bioterrorismus wird freilich schon lange gewarnt. Um in den Irak einmarschieren zu können, diente der US-Regierung auch die Behauptung, dass Hussein in Geheimlaboren biologische Waffen herstellen würde. Sogar Pocken wurden ins Spiel gebracht. Doch bislang wurden lediglich chemische Waffen, zuletzt in Syrien, verwendet, Anschläge mit biologischen Waffen, die zuhause im Do-it-yourself-Verfahren etwa mit bestellbaren Viren oder DNA-Schnipseln hergestellt werden, sind weiterhin nur ein Drohgespenst, auch wenn Wissenschaftler natürlich bereits neue Bakterien zusammenbauen oder tödliche Viren wie den der Spanischen Grippe rekonstruieren können. Bei den Drohnen ist das allerdings anders. Seit 2001, als das Pentagon damit begonnen hat, zuerst im Hindukusch mutmaßliche Terroristen oder Aufständische aus der Ferne mit Hellfire-Raketen zu töten, ist das Bedrohungsszenario deutlich geworden. Was im Westen als Wunderwaffe erschien, mit der ohne eigene Gefährdung, gesteuert von Piloten in den USA, der Feind gejagt werden kann, war und ist für die Menschen, die in diesen Gebieten wohnen und jederzeit buchstäblich aus heiterem Himmel zu einem Kollateralschaden werden können, schon der Schrecken, der nun allmählich auch in die westlichen Länder zurückschwappen dürfte.

Auch andere Roboter könnten den Tod bringen. Die Autoren erinnern an den Fall Litvinenko, der 2006 Opfer eines Anschlags mit Polononium wurde. Verdächtigt wurde ein früherer russischer Geheimdienstmitarbeiter, der von Russland aber nicht ausgeliefert wurde, dafür aber Immunität erhielt, indem er als Abgeordneter in die Duma gewählt wurde. Künftig müsse niemand mehr sich in Gefahr begeben, das Polonium direkt dem Anschlagsopfer unterzujubeln oder es beispielsweise mit einem Schirm vorübergehend zu injizieren, wie dies auch schon mal mit Rizin gemacht wurde, es würde einfach reichen, ein fernsteuerbares Roboterinsekt in das Haus oder die Wohnung einzuschleusen, man könnte es auch durch das Fenster einfliegen lassen. Bei günstiger Gelegenheit könnte die Minidrohne dann das Opfer etwa unter der Dusche "beißen", also Gift injizieren. Solche Minidrohnen sind in der Entwicklung, in ein paar Jahren wäre ein solches Szenario nach den Autoren durchaus denkbar.

Kernthesen des Buches sind: Die moderne Technik befähigt auch einzelne Menschen, die bislang Staaten vorbehaltene Destruktion einzusetzen. Alle Menschen können irgendwo auf der Welt zum Opfer eines Angriffs werden, dessen Täter nicht zu ermitteln sind. Technik unterläuft viele traditionelle rechtliche Vorkehrungen und Sicherheitsmaßnahmen (Staatsgrenzen, Unterschied zwischen Krieg und Verbrechen, zwischen staatlichem und privatem Handeln etc.) Dabei neigen sie durchaus zu Übertreibungen, wenn sie sagen, dass die bestehenden Sicherheitskonzepte schlicht nicht mehr zeitgemäß seien, wo jeder zur Bedrohung jeden Staats oder Individuums weltweit bzw. Ziel einer solchen Bedrohung werden könne. Tatsächlich würden die schweren Waffen und großen Armeen keinen Schutz mehr darstellen, schon jetzt wird mit solchen Kriegen, siehe zuletzt Afghanistan oder Irak, kein Erfolg mehr erzielt.

Allerdings sind wir spätestens seit 2001 auch mit den technischen Möglichkeiten in eine zunehmend überwachte Gesellschaft eingetreten, in der die Beobachtungsnetzen immer dichter werden, auch indem wir selbst immer mehr Daten aussenden. Die Datenströme können aber bekanntlich nicht nur von staatlichen Sicherheitsorganen ausgeschöpft werden, sie können auch von Unternehmen, Banden und Einzelnen für kriminelle oder andere Zwecke über alle Grenzen hinweg benutzt werden. "Unsere neue Welt ist eine Welt mit 'many-to-many' Bedrohungen und Schutzvorkehrungen", in der staatliche Sicherheitsmaßnahmen eine immer geringere Rolle spielen würden, sagen die Autoren und sind der Meinung, dass das Verhältnis zwischen Staaten und Bürgern, zwischen Staaten und zwischen Bürgern im Zeichen der neuen technischen Möglichkeiten der Gewalt, wo jeder Einzelne ebenso stark und gefährlich wie bedroht ist, neu bestimmt werden müsse.

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