Jemen: Brüchige Waffenruhe und Gefangenenaustausch

Ungefährer Frontverlauf. Grün: Huthis. Rot: Sunnitenallianz. Weiß: al-Qaida. Karte: 0ali1. Lizenz: CC BY-SA 4.0.

Amnesty International wirft Sunnitenallianz Bombardement von Schulen vor

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Die jemenitische Huthi-Schiitenmiliz und die von Saudi-Arabien angeführte Sunnitenallianz, die den im Februar 2015 abgesetzten jemenitischen Staatspräsidenten Abd Rabbo Mansur Hadi unterstützt, haben der BBC zufolge gestern in der südjemenitischen Provinz Lahj Gefangene ausgetauscht. 265 von den Huthis gefangen gehaltene Hadi-Unterstützer wurden der Allianz übergeben - 360 in die Hände der Allianz gefallene Huthi-Kämpfer der Schiitenmiliz. Der Austausch ist ein erstes Ergebnis von Friedensgesprächen, die unter Vermittlung der UN im schweizerischen Macolin stattfinden. Eine am Dienstag ausgerufene Waffenruhe scheint dagegen nur bedingt zu halten - beide Seiten beschuldigen sich gegenseitig, die Vereinbarung in Hudayda und Taiz tätlich verletzt zu haben.

Als die Sunnitenallianz am 26. März ihre Militärintervention begann, da beherrschten die auf dem Vormarsch befindlichen Huthis nicht nur das Siedlungsgebiet ihrer Volksgruppe, sondern fast den gesamten Westen des Jemen. Das weckte Befürchtungen vor einer Zunahme des iranischen Einflusses in der Region, die dazu führten, dass Saudi-Arabien und andere sunnitische Staaten eingriffen.

Schiiten und Sunniten im Jemen. Karte: Telepolis.

Trotz großen Materialaufwands und trotz logistischer und geheimdienstlicher Hilfe durch die USA gelang es dieser Militärallianz bislang nicht, die Huthis zu besiegen. Die Allianz schaffte es zwar im Sommer, die Huthis aus der Hafenstadt Aden zu vertreiben - aber die Armee der Vereinigten Arabischen Emirate, die die 800.000-Einwohner-Stadt am 4. August mit französischen Leclerc-Panzern besetzte, muss sich die Kontrolle mit Anhängern der Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) teilen, die dort offen ihre schwarze Fahne hisst, Schiiten lyncht und am 6. Dezember den Gouverneur tötete.

Informanten der BBC nach nutzte der IS im Jemen das Chaos, das dort durch die monatelangen Kämpfe entstanden war. Dabei setzte er auch auf die im Irak ausgesprochen erfolgreiche Methode, Gefängnisse zu stürmen und unter den dort eingesperrten Schwerverbrechern und Terroristen massenhaft neue Kämpfer zu rekrutieren.

Im Osten des Landes, im Gouvernement Hadramaut, nutzte die jemenitische al-Qaida-Filiale AQAP die Gelegenheit und übernahm im April die Macht in der 200.000-Einwohner-Gouvernementshauptstadt al-Mukalla. In ihren 51-köpfigen Regierungsrat wurden neben Dschihadisten auch Vertreter der Stämme aufgenommen - allerdings nur solche, die dem politischen Salafismus der AQAP nicht widersprechen. Andere wurden verschleppt. Außerdem errichteten die Terroristen ein Scharia-Gericht im ehemaligen Kulturzentrum und lassen Sittenwächter durch die Straßen streifen, wie sie auch in Saudi-Arabien patrouillieren. Inzwischen ist in Hadramaut aber auch der IS aktiv - am 20. November sprengte er in der Nähe der Stadt Schibam mindestens 17 Soldaten in die Luft.

Streubomben, zerstörte Schulen und Söldner

In den letzten Monaten war die Sunnitenallianz nicht nur als Wegbereiter von Terrorgruppen in die Kritik geraten, sondern auch wegen ihrer Kriegsführung, die unter anderem den Abwurf von Streubomben beinhaltete und nach Angaben der Vereinten Nationen alleine von März bis September mindestens 2.355 Zivilisten das Leben kostete. Insgesamt sollen 5.870 Menschen gestorben sein, 21 Millionen sind wegen des Krieges auf Hilfslieferungen angewiesen.

Am 11. Dezember warf die Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) der Sunnitenallianz in einem Offenen Brief vor, zwischen August und Oktober in mindestens fünf Fällen Schulen bombardiert und dabei mindestens fünf Zivilisten getötet und zehn Erwachsene und vier Kinder verletzt zu haben. Da die Schulen nicht für militärische Zwecke, sondern als Lehranstalten genutzt wurden, sieht AI die Angriffe als Kriegsverbrechen an, die nicht nur die Toten und Verletzten trafen, sondern auch viele andere Kinder, deren Bildung leiden wird.

Ende November war bekannt geworden dass die Vereinigten Arabischen Emirate und andere Staaten der Sunnitenallianz im Jemen auch Söldner einsetzen (vgl. Die reichen Golfstaaten führen mit Söldnern Krieg im Jemen). Viele dieser Söldner sollen kolumbianische Ex-Soldaten sein, die durch Einsätze gegen die FARC-Drogenguerilla Kampferfahrung mitbringen. Vor 2008 töteten Militärs dort allerdings auch über 3.000 Zivilisten, um mit deren Leichen ihre Statistiken zu schönen (vgl. Mord zur Plansollerfüllung). Bei den Vereinigten Arabischen Emiraten winken den Kolumbianern angeblich zwischen zwei- und viertausend US-Dollar monatlich, während sie in ihrer Heimat mit ihrem Handwerk nur etwa 400 verdienen könnten.

Ausländische Söldner haben gegenüber einheimischen Wehrpflichtigen und Berufssoldaten potenziell Nachteile, was die Motivation betrifft - aber auch Vorteile: Gibt es unter ihnen Verluste, entsteht im allgemeinen weniger politischer Druck, die "Jungs heimzuholen". Und Verluste gab es in den Reihen der Sunnitenallianz in den letzten Monaten tatsächlich - alleine bei einem einzigen Raketenangriff im September starben dutzendweise Emiratis, Saudis und Bahrainer. Den Bewohnern dieser Länder geht es durch den Ölreichtum wirtschaftlich recht gut - was den Pool der Rekrutierungswilligen potenziell verkleinert. Und wer von dort aus Abenteuerlust oder Fanatismus kämpfen will, der tut das möglicherweise eher für seine religiösen Vorstellungen als für das Herrscherhaus - und landet dann nicht unbedingt in der staatlichen Armee.

Sean McFate, der Autor von The Modern Mercenary sieht den Einsatz von Söldnern aber nicht nur deshalb im Trend, sondern auch, weil die USA des Modell durch Verträge mit privaten Militärdienstleistern im Irak und in Afghanistan "legitimierten". Darüber hinaus gibt es der New York Times zufolge auch eine personelle Verbindung zu den Einsätzen im Irak: Die kolumbianische Rekrutierungsfirma soll nämlich mit Erik Prince verbunden sein, der während des Irakkrieges mit der (später umbenannten) Firma Blackwater Schlagzeilen machte.

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