Jod statt Blut

Die Max-Planck-Gesellschaft wirft Tierschutzaktivisten Täuschung vor

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Anfang dieses Monats verkündete der Tübinger Neurowissenschaftler Nikos Logothetis, er werde seine Experimente künftig nicht mehr mit Affen, sondern nur noch mit Ratten durchführen.

Vorangegangen war ein Boulevardfernsehbeitrag, dessen Material von einer Tierschutzaktivistengruppe stammte, die ein Mitglied als Tierpfleger getarnt in das Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik eingeschleust hatte. Das Material zeigte Bilder von Affenköpfen, die vermeintlich blutverschmiert waren. Tatsächlich handelte es sich der Max-Planck-Gesellschaft zufolge nicht um Blut, sondern um eine Jodtinktur.

Nach der Ausstrahlung der Sendung wurden Forscher des Instituts nicht nur als "Mörder" und "Peiniger" beschimpft, sondern auch mit Drohungen wie "Heute um drei Uhr bist Du tot" eingeschüchtert. Als die Dauerbelastung in ein Herzproblem mündete, entschloss sich der 64-Jährige, den Schutz seiner Gesundheit und seiner Mitarbeiter dem Vorzug vor der Wissenschaft zu geben.

Der Louis-Jeantet-Medizinpreisträger gilt wegen seiner Arbeiten zum Funktionieren von Gedächtnis und Bewusstsein als einer der führenden Neurowissenschaftler der Welt und als Nobelpreiskandidat. Bevor er nach Tübingen geholt wurde, arbeitete er am Massachusetts Institute of Technology (MIT). Eine besondere wissenschaftliche Leistung war, dass es ihm gelang, Störsignale der Messgeräte auszuschalten und die schwächeren Hirnströme sichtbar zu machen. Da das Hirn von Primaten demjenigen von Menschen deutlich ähnlicher ist als das von Ratten und Mäusen, ließen sich bei seinen Experimenten mit Affen deutlich interessantere Rückschlüsse treffen als bei denen mit Nagern - auch für die Heilung von Krankheiten.

1959 testete die die NASA ihre Raumfahrttechnologie mit Rhesusäffchen Sam. Bild: Nasa

Deshalb waren die Ethikkommissionen, die die Experimente genehmigten, nach intensiver Abwägung auch zum Ergebnis gekommen, dass sie verantwortbar seien. Dabei wurde berücksichtigt, dass es im Gehirn keine Schmerzrezeptoren gibt, weshalb die Tiere durch die Elektroden nicht leiden. Würden sie das, wären viele der Experimente wertlos, weil die Schmerzsignale andere Vorgänge im Gehirn überlagern würden.

Nach dem Rückzug von Logothetis aus der Forschung mit Affen hatten radikale Tierschutzaktivisten behauptet, die Reaktion auf die Einschüchterungen beweise, dass die Versuche entbehrlich gewesen seien. Die baden-württembergische Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) kritisierte das als "zynisch" und stellte klar, "dass wir auf absehbare Zeit nicht auf tierexperimentelle Forschung - auch an nichthumanen Primaten - verzichten können, so zum Beispiel im Bereich der Erforschung und einer zukünftigen möglichen Heilung von Demenzerkrankungen".

Logothetis Einknicken hat mittlerweile auch international Aufsehen erregt: Nature nahm den Fall zum Anlass, um sich zu fragen, ob Wissenschaftler die veröffentlichte Meinung nicht viel zu lange einer radikalen Minderheit überlassen haben, ohne Falschbehauptungen klarzustellen. 16 Nobelpreisträger, die das ähnlich sehen, wandten sich unlängst in einem offenen Brief an das Europaparlament. Auch sie sind als Fachleute davon überzeugt, dass "das Verständnis der komplexen Prozesse im Gehirn, die Entschlüsselung der Krebsgenetik und die Entwicklung der neuen Impfstoffe, Medikamente und Behandlungsmethoden, die Leben retten und die Lebensqualität verbessern, ohne Tierversuche unmöglich" sei.

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