Jung, gebildet, Terrorist

IS-Kämpfer. IS-Propaganda-Bild

Eine neue Studie zeigt: IS-Terroristen sind besser gebildet, als man denkt

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Männer, die ihre Heimat verlassen, um sich dem Islamischen Staat anschließen, haben ohnehin nicht viel zu verlieren: Meist handelt es sich um Bildungsversager, sozial ausgrenzte Loser, die vielleicht erst in den Reihen der Terrororganisation zum ersten Mal so etwas wie Selbstbestätigung in ihrem Leben erfahren. So in etwa lautet zumindest eine weit verbreitete Deutung der Anhängerschaft der Terror-Miliz.

Untersuchungen der Weltbank haben nun ergeben: An dem Klischee ist sehr wahrscheinlich wenig dran. Im Gegenteil: Der durchschnittliche IS-Terrorist sei sogar überdurchschnittlich gut gebildet. Grundlage der Auswertungen sind geleakte Akten der Terrororganisation, die im März dieses Jahres vom britischen Sky News veröffentlicht wurden. Ein IS-Aussteiger dem Fernsehsender über 22.000 interne Dokumente mit Informationen über 3.803 ausländische IS-Kämpfer zugespielt. Neben Klarnamen und Telefonnummern der Kämpfer fanden sich in dem Datensatz auch Informationen über Herkunft und Ausbildung der Terroristen.

IS-Terrorist besser gebildet als Durchschnittsbevölkerung

Forscher der Weltbank haben dieses Datensatz nun hinsichtlich Bildung und Einkommen der Kämpfer ausgewertet. Die Ergebnisse haben sie nun im Bericht "Economic and Social Inclusion to Prevent Violent Extremism" veröffentlicht. Demnach haben 69 Prozent aller aufgelisteten Rekruten des IS mindestens eine weiterführende Schule besucht. Nahezu alle Kämpfer hätten in ihrem Heimatland mehrere Jahre eine Schule besucht. Das Bildungsniveau des durchschnittlichen IS-Kämpfers sei meist sogar höher als in der der jeweiligen Durchschnittsbevölkerung. Im Bericht heißt es: "Ausländische Rekruten aus Nahost, Nordafrika, Süd- Ostasien sind signifikant höher gebildet als der Durchschnitt ihrer Region."

Auch Analphabetismus sei ein absolutes Minderheitenphänomen beim IS. Lediglich zwei Prozent der Terroristen gaben an, nicht lesen und schreiben zu können. Eine Ausnahme konnten die Forscher allerdings feststellen: Im Falle von osteuropäischen IS-Terroristen ist die Bildung oft schlechter als der Bildungsdurchschnitt der Heimatbevölkerung.

Noch ein weiterer Zusammenhang überraschte die Forscher. In den geleakten Akten konnten die Terroristen angeben, welche Aufgabe sie beim IS anstreben. Besonders hoch gebildet waren nicht nur jene, die sich für "Verwaltung" entschieden, sondern auch jene, die eine Verwendung als Selbstmordattentäter anstrebten. Anders als bei den sonstigen Rekruten hatte die Mehrzahl der designierten Selbstmordattentäter allerdings keinen Job in ihrer Heimat.

Sympathien für IS bei jungen, ungebildeten Arabern nicht signifikant höher

Damit bestätigt die Weltbank-Untersuchungen Ergebnisse, zu denen im Juli dieses Jahres Forscher der University Princeton und Michigan und der "Arab Reform Initiative in" einer repräsentativen Studie kamen. In ihrem "Arab Barometer" fragten die Forscher tausende Bewohner arabischer Ländern nach Ihren Sympathien zum IS (Araber haben kaum Sympathien für Islamischen Staat). Die Zustimmungsrate unter den Befragten fiel mit 0,4 (Jordanien) bis 6,4 Prozent (Palästina) nicht nur unerwartet niedrig aus, die Forscher stellten auch keine signifikant höhere Sympathie bei der vermeintlichen Zielgruppe des IS fest: junge, ungebildete Männer.

Die Forscher resümierten: Aber auch in dieser Gruppe gibt es der Studie zufolge keine signifikant höhere Zustimmung zum IS: "Stellt man die Antworten von männlichen Befragten unter 36 Jahren und einer Schulbildung unterhalb der Sekundärschule heraus, zeigt sich, dass selbst in dieser Schlüsselgruppe nur geringe Unterstützung für die Ziele und Anwendung von Gewalt durch den IS besteht."

"Daesh rekrutiert seine ausländischen Arbeitskräfte nicht unter den Armen und schlechter gebildeten", resümieren nun die Forscher der Weltbank zu ihrer Untersuchung. Stattdessen vermuten die Forscher andere Faktoren für den Rekrutierungserfolg des IS: "In Ländern mit großer muslimischer Bevölkerung scheint eine geringer Grad an Religiosität, ein geringes Vertrauen in religiöse Institutionen und starke Regierungen sowie soziale Kontrolle von Religion zu den Risikofaktoren von Radikalisierung gehören."