Känguru mit 5 Buchstaben

Axel glaubt immer noch an intelligente Content-Datenbanken. Wie sage ich ihm es bloß?

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Zum Beispiel Paperball: Wenn Axel noch einmal bei einer Tasse Schwarztee behauptet, dass das Zeitalter der künstlichen Intelligenz im Web längst angefangen hat, tippe ich in www.altavista.com seinem Namen ein und beweise ihm, dass es ihn eigentlich gar nicht gibt.

Neulich war Axel bei mir und starrte mitleidig auf mein gedrucktes Exemplar der "Neuen Post". Papier, einfach so bedruckt. Fettflecken in 256 Farben drauf. Wie stumpf, Axel schauderte. Da gebe es doch jetzt schon jahrelang so tolle Tools wie www.paperball.de, in denen man sich aus allen wichtigen Tageszeitungen der Republik sein Morgenblatt bereitstellen könne. Und ein eigenes Suchwort sei da als persönliche Rubrik einzurichten.

Horror: die "Allgäuer Zeitung" auf MEINEM Computer-Bildschirm. Für 2,9 Pfennig die Minute lesen, dass in Neugablonz wieder Heimatabend war und sich die Isergebirgsdirndln beim Stagediven den Lodenrock geknickt haben? Also nein, auch ein Kathodenstrahl in 800*600 Auflösung hat seinen Stolz. Aber Axel war nicht mehr zu bremsen. Er hatte bereits begonnen, mein Telekom-Konto zu strapazieren und mir online mein Blättchen zu simulieren. Da war mir sofort klar: Harald, der Kerl personalisiert dich. Bleib gelassen.

Was ich für eine persönliche Rubrik wolle. "HARALD natürlich." Den Witz hätte ich mir sparen können.

Zwei Tage später näherte ich mich unsicher meiner Favoritenliste. Die Rubrik HARALD würde randvoll sein. Mit echten Daten. Ich gab mich unberührt. Jetzt würde ich sicher alle hamsterzüchtenden HARALDs aus Wanne Eickel im Index finden oder diesen Artikel - oder was? Das bisschen Zittern meiner Hand beim ersten Klick hatte sicher nichts damit zu tun. Ich und nervös? Lächerlich. Schließlich kann jeder mal die Maus mit Kugel nach oben halten und deshalb etwas von "Maustreiber sind Willenssache" murmeln.

Außerdem hatte ich das Passwort vergessen.

"Hamm-Brücher"? Nein, es lautete irgendwie martialischer..."Mutti Merkel" oder doch "MüllmannMöllemann"...? Mist. Mir wurde irgendwie depressiv beim Gedanken, dass MEINE intelligente Zeitung nie gelesen werden wird, weil Axel SEINE Passwörter auf MEINE Daten schrauben muss. Das Online-Kind wird nie seinen Vater sehen.

Also selbst ran. Und der Kindsmörder Axel sollte Zeuge sein. Anruf bei ihm. Das funktionierte wenigstens. Gottseidank kann man ein Telefon nicht personalisieren. Ich folgte seinen Anweisungen.

"Bitte klicke jetzt auf NEUANMELDUNG." "Aber ich war doch schon, ich hatte doch schon..." "Red nicht, mach das." Gut, ich gab mir also den Usernamen HARALD. Den gab es schon. Auch gut. Dann meinetwegen "Hasi". Gab es auch. Locker bleiben. "MuttiMerkel" gab es nicht, dafür wurde ihm per Computer das "l" am Schluss genommen. Das Merke ich mir. Aber ich war drin und kam mir vor wie ein drittklassiger lächelnder Tennis-Rentner.

Und was man da alles machen kann: Ich wählte euphorisch den Politikteil der Aachener Zeitung, die Wirtschaft aus der Peiner Allgemeinen Zeitung, den Sportteil aus der Aller Zeitung, Kultur vom Altmühl-Boten und das Lokale aus der Berliner Morgenpost. Wäre diese blöde Datenbank nun intelligent gewesen, hätte sie mich spätestens jetzt freundlich aus dem System gewiesen. Vielleicht ist sie auch einfach nur nachsichtig. Mit dem Vermischten aus der Ostsee-Zeitung schloss ich meine allgemeine Auswahl ab.

Axel war not amused. Er nölte, ich würde gedruckt die Aller-Zeitung wohl kaum lesen. Etwas angesäuert kam da von mir nur ein: Den Jahreskatalog Yahoo 1999 lege ich mir auch nicht auf den Nachttisch. Gut, Patt. Und Axels Friedenspfeife. Die eigene Rubrik HARALD würde mich in Ekstase versetzen. Nun gut, vor der Ekstase hatte Paperball allerdings die Abfrage nach meinem Namen, meiner Adresse und meiner Mailadresse gesetzt. Nicht sehr intelligent. Da wäre es ja fast intelligenter, mir gleich einen Rentner zum Vorlesen vorbeizuschicken. Der könnte wenigstens noch die "Neue Post" in der Tasche haben.

Aber dann war mir der Weg zu MEINER eigenen Rubrik offen. Und wie das meine Rubrik war: 984 Treffer an einem einzigen Tag. 984mal musste wohl der Name "Harald" in deutschen Zeitungen vorkommen. Und zwar genau dort, wo ich
a) nicht interessiert
b) nicht gemeint
c) schnell zu beleidigen
bin.

Axel hat für alles eine Erklärung: HARALD sei eher als Allgemeinplatz zu verstehen. Wäre ich jetzt an seinem Computer gesessen, hätte ich ihm aus Wut den Maustreiber gelöscht. Aber er konnte mir nun auch nicht erklären, was denn bitteschön der Weltrekordversuch im "Domino-Toppling" unter Einsatz von 50.000 Ziegelsteinen mit mir zu tun haben könnte (Treffer 193, Mittelbayerische Zeitung). Und Rheinland Pfalz Online ist sich sicher, dass mich das betrifft: 194 Teilnehmer gehen beim zehnten Stadt- und dritten Auto-Friesen-Lauf an den Start (Treffer 103).

Laut vernehmlich und durch provokatives "Ich bin froh, dass ich kein Surfer bin"-Absingen ritt ich Axel langsam an den Abgrund seiner Toleranz. Recht so. Gut. Ich wollte nicht unfair sein.

Ich wechselte unter Flehen von Axel in die Rubrik Kultur. Die intelligente Auswahl verblüffte mich: Tony Blair arbeitet nach Geburt von Baby "im Ferienmodus", (Treffer 2) meldet Merkur Online. Und die sächsische Zeitung bewarf mich mit Mode zum Flirten: E-Mail-Adresse lädt zum heißen Chat ein. Kultur. Mhm. Ein nachdenkliches Axelsches Räuspern schreckte ihn auf. "Du musst das globaler sehen. Wenn die Suche nicht unscharf genug ist, engst Du Dich in der intelligenten Themenwahl zu sehr ein." Charlton Heston erklärt Waffengegnern den Krieg, wurde mir immerhin zirka 20mal in der Rubrik angezeigt. Das scheint Feuilleton-Redakteure in deutschen Tageszeitungen auf Touren zu bringen. Eigentlich verdammt unscharf oder zumindest eine Art von Daten-Mantra. Erinnerte mehr an Hare Krishna online. Axel überhörte meine Ironie. Heston hätte einfach geschossen.

Ich solle doch mal mein Horoskop abfragen. Da sehe man genau, wie toll Paperball sei. Gut, ich also mein Geburtsdatum eingegeben: "Eine Wissenslücke oder eine fehlende Information kann besonders drücken und Ihnen ein Gefühl des Unterlegen-Seins vermitteln. Einerseits sollten Sie sich nicht scheuen, das fehlende Wissen zu holen und nachzufragen, andererseits die Nase nicht in Dinge stecken, die Sie nichts angehen."

Axel, ich bringe Dich um. Das ist nicht komisch. Ich will meine "Neue Post" zurück. Da ist die einzige Wissenslücke die Frage nach bulemischen Prinzen und leidenschaftlichen Rentnern. Eine Chance noch. Ich lasse meine "Individuelle Persönlichkeitsanalyse" berechnen. Mal sehen, was mir das Arsch von Axel da empfiehlt. Die Analyse spricht also zu mir: "Ihre taktvolle und umgängliche Art lässt Sie bei vielen beliebt sein. Es ist Ihnen ein Anliegen, jeden Konflikt aus der Welt zu schaffen. Alles Dunkle und Triebhafte verabscheuen Sie ebenso wie Konfliktsituationen." Ich bringe Axel trotzdem um. Oder ich lasse ihn eine Tageszeitung essen. Taktvoll natürlich. Oder ich lege ihm eine Rubrik an. Meine gute Erziehung verbietet mir zu erwähnen, welche.

Anmerkung: Die angegebenen Treffer sind real und entsprechen den genannten Schlagworten mit Stand Ende Mai 2000.