Kalt-warme Schauer über dem Atlantik

Auch Powell drohte Frankreich mit Konsequenzen, neuerdings zankt man sich um die Aufhebung des Embargos, das den irakischen Ölexport noch der UN-Kontrolle unterwirft

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Seit der ansonsten als gemäßigt geltende US-Außenminister Colin Powell am Dienstag in einem Interview seinem Ärger über die Verhinderung einer UN-Absolution des Irak-Krieges durch das "alte Europa" freien Lauf ließ, erfährt die französische Angst vor amerikanischen Strafaktionen einen neuen Höhepunkt (Yoghurt und Pragmatismus). Während die Medien über die Natur der möglichen "Konsequenzen" nur spekulieren können - sowohl das Weiße Haus als auch das State Department wollen sich nach wie vor nicht näher dazu äußern, was ein wahrscheinlich nicht unwillkommenes Klima der Verunsicherung erzeugt -, droht sich das transatlantische Gerangel wieder einmal in den UN-Sicherheitsrat zu verlagern.

Ein simples "Ja" Colin Powells, auf die Frage des US-Journalisten, ob denn Frankreich mit Konsequenzen dafür rechnen müsse, dass man es gewagt habe, sich den USA entgegenzustellen, sorgte diese Woche für heftiges Rauschen im gallischen Blätterwald: Wird das Bush-Team versuchen, die Grande Nation in wichtigen NATO-Entscheidungsprozessen zu umgehen? Der US-Regierung liegt das französisch-belgisch-deutsche Vorkriegs-Nein zu verstärkten Schutzmassnahmen für die Türkei offenbar noch schwer im Magen. Das Resultat war eine mehrere Tage währende Blockierung der NATO-Gremien. Oder könnte der Versuch unternommen werden, den permanenten Sitz Frankreichs im UN-Sicherheitsrat in einen europäischen zu verwandeln?

Tags darauf versuchte zwar Richard Boucher, der Sprecher des Außenministerium, die Situation wieder etwas zu beruhigen, indem er versicherte, dass Frankreich weiterhin als Alliierter angesehen und man kooperieren werde, "wo es in unserem Interesse liegt". Aber auch er wollte Powells "Ja" nicht näher erläutern: "Well, the secretary said yes", lautete die kryptische Antwort.

Doch während man noch bange auf die Lösung dieses Rätsels wartet, gehen die französisch-amerikanischen Differenzen munter weiter. Dem amerikanische Wunsch nach einer sofortigen und völligen Aufhebung der UN-Sanktionen gegen den Irak stellte Frankreich am Dienstag im Sicherheitsrat den Vorschlag einer vorübergehenden Aussetzung entgegen. Wobei die zivilen Sanktionen, also diejenigen, die nicht das irakische Öl betreffen, mit sofortiger Wirkung ausgesetzt werden könnten. Die endgültige Aufhebung des Embargos sei an die Bestätigung der völligen Entwaffnung des Iraks durch den Sicherheitsrat gebunden. Gemäss den UN-Resolutionen bräuchte der Sicherheitsrat hierfür einen Bericht der Waffeninspektoren.

Doch die USA wollen nichts von einer eventuellen Rückkehr der Waffeninspektoren wissen. Es obliege nun der Koalition, die Verantwortung für die Vernichtung der kriegsauslösenden und nach wie vor hypothetischen Massenvernichtungswaffen zu übernehmen, wie der Sprecher des Weißen Hauses wissen ließ. Frankreich schlägt derweilen eine Zusammenarbeit der UN-Inspektoren mit den vor Ort befindlichen amerikanischen Experten vor.

Außenminister Dominique de Villepin meldete sich am Donnerstag ausgerechnet vom Iran aus zu Wort, wo er auf Kurzbesuch weilte, um nochmals Frankreichs Wunsch nach einer zentralen Rolle für die UNO im Nachkriegs-Irak zu bekräftigen. Es läge an der UNO, die genauen Modalitäten für eine Aufhebung der Sanktionen zu bestimmen.

Wer kontrolliert das irakische Öl?

Solange die Sanktionen nicht endgültig aufgehoben wurden, und die von Frankreich geforderte Aussetzung würde nichts daran ändern, kontrolliert allein die UNO mittels dem "Oil-for-Food"-Programm, das am Donnerstag vom Sicherheitsrat einstimmig um drei Wochen verlängert wurde, den irakischen Erdölexport.

Das amerikanische Drängen auf eine baldige Beendigung des UN-Embargos nährt denn auch für so manche französische Zeitungskommentatoren den Verdacht, dass es bei diesem Krieg nicht nur um eine angebliche Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen ging, sondern wohl vor allem ums irakische Öl. So erinnert die Tageszeitung "Libération" in einem Kommentar an Bushs Vergangenheit als "texanischen Ölmann" und an das "Nahverhältnis" der Mitglieder seiner Verwaltung zur Erdölindustrie. Was für so manche die Vermutung bestätigen würde, dass die Irak-Intervention kein geringeres Ziel verfolgt habe, als in Bagdad ein "neokoloniales Regime" zu installieren, das den amerikanischen "Majors" den Zugang zu den irakischen Ölreserven sichern könnte:

"Um diesen dunklen Verdacht zu entkräften, muss Bush vorerst akzeptieren, dass die UNO weiterhin den Verkauf des irakischen Öls überwacht (...), und dass kein Vertrag ausgehandelt wird, ehe eine unabhängige irakische und durch die UNO legitimierte Regierung in Bagdad geformt wurde."

Auch das französische Staatsoberhaupt und dessen Außenminister haben wiederholt die internationale Gemeinschaft dazu aufgerufen, gemeinsam dafür Sorge zu tragen, dass der Irak so schnell wie möglich wieder souverän wird. Villepin hat dies gestern in seinem Statement aus dem Iran nochmals bestätigt. Denn was der französischen Regierung, und sie ist wohl nicht die einzige, zur Zeit einiges Kopfzerbrechen bereiten dürfte, ist der Zeitraum zwischen der Aufhebung der UN-Sanktionen und der Bildung einer souveränen irakischen Regierung. Sobald das Embargo fällt, geht die Kontrolle des heißumworbenen schwarzen Goldes naturgemäß wieder an die offizielle Verwaltung des Landes über. Und dies könnte dann just die von den USA gebildete provisorische Regierung betreffen.

Die beiden französischen Ölmultis "Total" und "Elf" haben laut "Libération" Mitte der 90er Jahre begonnen, Verträge im Werte von je 4 Milliarden Dollar in die Wege zu leiten. Unterschrieben sei allerdings blöderweise noch nichts. Könnte die amerikanische "Bestrafung" des renitenten französischen Alliierten dann an der Ölpumpe erfolgen?

Bestraft genug ist jedenfalls schon das irakische Volk, um das es bei all diesen diplomatischen und ökonomischen Winkelzügen im Endeffekt nur herzlich wenig zu gehen scheint. Manchmal könnte man sich fragen, ob die gigantischen Erdölreserven für dieses leidgeprüfte Land nicht eher einen Fluch denn einen Segen darstellen.