Kampf gegen Erotik und Porno im polnischen Internet

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"Die gesuchte Seite existiert nicht oder ist gelöscht worden" - eine solche Mitteilung erwartet schon ziemlich oft diejenigen Surfer, die mit Hilfe von Suchmaschinen oder aufgrund von irgendwelchen Links WWW-Seiten mit erotischem oder pornographischem Inhalt bei polnischen ISP's ansteuern. Seit Monaten verschwinden immer wieder derartige Homepages vom polnischen Netz. Manche von ihnen werden woanders installiert. Grund: Provider haben Angst vor dem Gesetz. Die Rechtslage ist jedoch nicht eindeutig, und mit dem Inkrafttreten des neuen Strafgesetzbuches am 1. September wurde sie noch komplizierter.

"Wer Schriften, Drucksachen, Fotos oder andere Gegenstände verbreitet, die einen pornographischen Charakter haben", oder wer "zwecks Verbreitung derartige Schriften, Drucksachen oder Gegenstände herstellt, aufbewahrt, überträgt, sendet oder befördert", konnte in Polen bisher mit bis zu 2 Jahren Gefängnis rechnen. Zwar wurde in dem alten Strafgesetzbuch Internet nicht erwähnt, doch die Grundlage für eine eventuelle Bestrafung sowohl von Autor einer XXX-Seite als auch von dem jeweiligen Provider war durchaus da. Die Vorschrift stammt aber noch aus der Zeit der "Volksrepublik Polen" (etwa 1969), wo Erotik und Pornographie eher rar waren und nur sehr selten einem Staatsanwalt Grund zum Eingreifen gaben.

Nach der Wende von 1989 wurden aber "nackte Tatsachen" in Polen ebenso populär als woanders in Europa. Der Markt entwickelte sich rasch und eher unkontrolliert, bis er - vor allem von seinen Gegnern - wahrgenommen wurde. Bald wurden Erotik und Pornographie zu einem Politikum: die katholische Kirche sowie die mit ihr verbundenen rechtsorientierten Politiker fingen an, sowohl wahre als auch vermutliche Pornographie (eine eindeutige Definition gibt es in Polen nicht) mit allen Kräften zu bekämpfen. Die Linken plädierten eher für beschränkte Bekämpfung: geschützt werden sollten ihrer Meinung nach Kinder, Minderjährige sowie alle, die es sich nicht wünschen, mit "sowas" konfrontiert zu werden.

Nach langen Diskussionen verabschiedete der Sejm ein neues Strafgesetzbuch, in dem die Pornographie etwas genauer unter die Lupe genommen wurde. Nach Artikel 202 Paragraph 1 droht bis zu einem Jahr Gefängnis, wenn jemand "öffentlich pornographische Inhalte auf eine solche Art und Weise präsentiert, die ihren Empfang einer Person aufdrängen können, die es sich nicht wünscht". Was bedeutet das fürs Internet? Rein theoretisch sollte jetzt eine Warnseite reichen, um dieses "Aufdrängen" auszuschließen. Provider sind aber nach wie vor bedroht, und zwar mit dem Paragraphen 2: "Wer einem Minderjährigen im Alter unter 15 Jahren pornographische Inhalte präsentiert, oder Gegenstände, die einen solchen Charakter haben, zugänglich macht ...". Für Provider, besonders für die kostenlosen, ist diese Bestimmung genug gefährlich. Und da hier Kreditkarten weniger als in Westeuropa verbreitet sind, taugen auch Checksysteme wie etwa Adult Check nicht viel.

In Polen spricht man jedoch von einer Milderung des Strafrechts, auch in bezug auf Pornographie. Warum? Im Paragraphen 3 des o.g. Artikels heißt es nämlich: "Wer pornographische Inhalte, die Minderjährige unter 15 Jahren darstellen oder die mit Gewaltanwendung bzw. Tiermißbrauch verbunden sind, zwecks Verbreitung herstellt oder importiert oder sie verbreitet" - kann für 3 bis sogar 60 Monate hinter Gitter kommen. Herstellung von "klassischem" Porno ist also keine Straftat mehr. Genauso wie (Paragraph 1) Anbieten von solchen Inhalten an Personen, die es sich wünschen.

"Das bedeutet aber nicht, daß diese Vorschriften nicht wieder geändert werden. Soviel ich weiß, entsprechende Projekte sind schon vorbereitet worden", vermutet Lech Adamczyk, ein Breslauer Staatsanwalt und Lokalpolitiker zugleich. Für ihn ist es auch eindeutig, daß ein ISP für eine eventuelle Verbreitung von strafbaren Inhalten mitverantwortlich sei. "Das ist Beihilfe", erklärt Adamczyk. Um es näher zu erklären, bedient er sich eines anderen Beispiels. Wenn also die Post eine pornographische Zeitschrift im Umschlag zustellt, sei alles in bester Ordnung: die Post dürfe nämlich den Inhalt nicht kontrollieren. Sie dürfte dagegen z.B keine pornographische Ansichtskarte zustellen - denn in diesem Fall sei der Verstoß gegen die Vorschriften für jedermann sichtbar. Adamczyk nennt auch die zwei größten Zeitungen Polens - "Rzeczpospolita" und "Gazeta Wyborcza", die keine Inserate der sog. Begleitagenturen (in Polen ein üblicher Deckname für Bordelle) veröffentlichen.

Die mögliche Verantwortung eines Providers ist auch für die Sprecherin des polnischen Justizministeriums, Barbara Makosa-Stepkowska, eindeutig. "Nichts spricht dagegen, daß man eine Internetseite für Beweismaterial hält". Im Strafgesetzbuch gebe es, so die Sprecherin, verschiedene Formen einer Straftat. Jeder Provider wisse, wie der von ihm angebotene Speicherplatz benutzt wird und damit sei er an einer "öffentlichen Präsentation" mitbeteiligt.

Für alle Fälle löschen also polnische ISP's praktisch alle Benutzerseiten, die für pornographisch gehalten werden könnten. Angenommen natürlich, daß sie sie finden. Nicht einmal Homepages etwa aus der Reihe "Hallo! Ich bin die Malgosia und möchte euch meine Nacktfotos zeigen" bleiben also auf den Servern. Sicher ist sicher. Auf die Frage, ob sie Angst davor haben, eventuell vom Staatsanwalt vorgeladen zu werden, antworten sie meistens ausweichend. "Wir wollen Provider sein und keine Rechtsanwälte", meint z.B. einer der beiden Eigentümer von "Ceti". "Außerdem verursachen Pornoseiten einen besonders starken Dataverkehr auf dem Server, und das beeinflußt dann negativ den Arbeitskomfort anderer Kunden", fügt er hinzu.

Seine Meinung teilen auch andere polnischen Provider - sowohl diejenigen, die ihre Dienste kostenlos anbieten als auch solche, bei denen man für ein Konto zahlen muß. Polen, die ihre Fotosammlungen unbedingt anderen im Internet zeigen wollen, flüchten also auf ausländische Server. Dorthin müssen auch Surfer, die Nacktes sehen wollen. Schlechte Verbindungen und lange Aufbauzeiten der Seiten sorgen aber dafür, daß solche Netzausflüge teuer und unkomfortabel sind. Ein Hindernis liegt auch an den Fremdsprachen, die man dafür wenigstens oberflächlich kennen muß.

Webmaster, die erotische Inhalte bisher problemlos anbieten konnten, sind natürlich unzufrieden. "Schon wieder ein Umzug", schreibt z.B. Tomek auf seiner neuen Homepage in Kalifornien, der behauptet, "die erste Ponygirl-Seite in Osteuropa" gebastelt zu haben. "Polnische Internet Providers haben immer mehr Angst vor dem Pfarrer und dem Bischof ;-))) und führen Sittenzensur ein. Tja, das dürfen sie wohl. Ich darf aber auch eine andere Lösung finden. Dank meinen Freunden ist die Seite wieder zugänglich. Ich möchte nur darauf hinweisen, daß es schon ihre dritte URL innerhalb von 6 Monaten ist". Woanders kann man lesen: "Seiten, die du besuchen kannst, beinhalten keine Pornographie! Diese Einschätzung teilen aber nicht solche Internet-Services wie Polbox (ein bekannter ISP in Polen - M.T.) - hat diese Seiten ohne Warnung gelöscht und Smartlinks (ein Bannertauschserver) - hat aufgehört, meine Werbebanner zu veröffentlichen. Wenn sich für dich der Anblick einer weiblichen Brust an Pornographie knüpft, klick lieber hier", schreibt der Autor und bietet anschließend einen Verweis zu dem kirchlichen Radiosender "Radio Maryja". Selbstverständlich sind im polnischen Netz auch ziemlich viele Gegner des Nackten zu finden.

Langsam erscheinen aber auch im polnischen/polnischsprachigen Netz spezielle, erotik- und pornoorientierte Provider. Für sie kann mit den neuen Vorschriften eine goldene Zeit beginnen: die Nachfrage ist groß, Herstellung von "heißen Fotos" wurde soeben geradezu legalisiert - man müßte also nur einen Weg finden, die Inhalte vor Jugendlichen zu schützen. Und wer den Einfallsreichtum der Polen kennt, der weiß, sie schaffen es schon, auch obwohl es im Lande nur wenige Kreditkarten gibt. Notfalls kann man sich ja sogar eine Fotokopie des Personalausweises zuschicken lassen. Und Geld, natürlich, auch.

Postscriptum: Der Autor verzichtete bewußt darauf, URL's von polnischen Erotik- und Pornoseiten im Text anzugeben. Wer sich selbst überzeugen will, wie sie sind und wie sie vom Netz verschwinden, kann die polnische Suchmaschine unter infoseek.icm.edu.pl benutzen. Suchworte sind in diesem Fall international bekannt.