Kampf um die ideologische Ausrichtung des Webportals Islamonline

Das Webportal aus Kairo war weltweit beliebt, nun wollen die Eigner zurück zu einem konservativen Islam, die gesamgte Belegschaft streikt

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Im Grunde genommen ist Islamonline eine Erfolgsgeschichte. Aus einem Studentenprojekt wurde ein Webportal, das eine der beliebtesten Internetadressen im Mittleren Osten war und das täglich 120.000 Menschen anklickten. Aber dann begann die Belegschaft zu streiken und nichts mehr ging.

Streikende Mitarbeiterin von Islam Online. Bild: iolvoice.blogspot.com

Die Leser von www.islamonline.net (IOL) hatten sich bestimmt gewundert. Tag für Tag dieselben alten Nachrichten vom Geburtstag des Propheten, Frauen in iranischen Medien, Wahlen in Frankreich, Halal-Essen in Michigan und die Fragen der 19-jährigen Ehefrau Razia, die wissen wollte, was zu tun sei, da sie schwanger ist. Mittlerweile gibt es wieder neue Nachrichten über Indonesien, Pakistan oder Jerusalem, aber in den Rubriken, die das Onlinemagazin so beliebt machten, tut sich nach wie vor nichts.

Bei Frag den Experten oder dem Cyber Ratgeber gehen die letzten Eintragungen auf Ende Februar zurück. Normal gibt es täglich Anfragen und Antworten.

Die gesamte Belegschaft von 338 Journalisten, Technikern, Verwaltungsangestellten und Putzfrauen streikt und hält zudem das Gebäude des Online-Magazins in der 6.-Oktober-Stadt, westlich von Kairo, besetzt. Bewaffnet sind die Streikenden mit Computertastaturen, die sie mit losen baumelnden Anschlusskabeln für die internationale Presse demonstrativ in die Luft halten.

Die gesamte Belegschaft befindet sich im Streik. Bild : Islamonline YouTube-Channel

Besitzer von IOL ist die Al-Balagh Cultural Society in Katar, die 1997 mit finanzieller Hilfe von Sheika Mozah, der Frau des regierenden Emirs, aus einem Studentencomputerprojekt der Universität Katar das Onlinemagazin gründete. Spirituelle Unterstützung kam von Scheich Yusuf al-Qaradawi, dem ägyptischen Kleriker, bekannt aus der Al-Jazeera Talkshow "Scharia and Leben". "Dieses Projekt ist weder nationalistisch noch für irgendeine Gruppe bestimmt", sagte der islamische Gelehrte damals. "Es ist ein Projekt für die gesamte islamische Gemeinde. Es ist der heilige Krieg unserer Epoche." In anderen Worten: zeitgemäße Werbung für den Islam.

Aber aus dem Missionsgedanken entstand ein Portal, vergleichsweise wenig dogmatisch, das am Austausch unterschiedlicher Meinungen interessiert war und auch Tabuthemen wie Pornographie oder Homosexualität aufgriff. Im Rahmen des konservativen Mainstreams etwas Besonders.

Im vergangenen März transferierten die Besitzer in Katar IOL, angeblich aus Kostengründen, auf einen kleineren, aber auch langsameren Server und tauschten die Passwörter aus. "Zugang verweigert", heißt es bis heute für die Mitarbeiter in Kairo, die gerne weiter über Aktuelles, aber auch über die eigene Sache berichtet hätten. Sie mussten über ihren Streik auf Twitter, YouTube, LiveStreams oder Blogs ausweichen, was nicht weniger publizistischen Erfolg hatte. Arabische Medien, TV, Print, Radio und Onlinemagazine berichten über den Streik und seine Hintergründe.

Konflikt zwischen offenem, moderatem Islam und einer konservativen Ideologie

Die Blockade der Hardware durch die Besitzer in Katar ist sinnbildlich für den Konflikt zwischen Redaktion in Kairo und Financiers in Katar. Es geht um unterschiedliche ideologische Standpunkte. Die Redaktion will wie bisher einen offenen, moderaten Islam präsentieren, während man in Katar gerne eine konservativere Linie einschlagen möchte.

Angefangen habe die Neugestaltung von IOL mit einer Umbesetzung des Vorstands der ägyptischen Firma im Januar. Danach seien neue programmatische Richtlinien herausgegeben worden. "Das war das erste Mal", meinte Bibi-Aisha Wadvalla, Chefin vom Radio IOL, "dass die Mitarbeiter etwas von einem neuen Vorstand hörten. Gleichzeitig hatte ein Vorstand vorher noch nie in redaktionelle Entscheidungen eingegriffen."

Zu den neuen Veränderungen zählte unter anderem die Reduzierung, beziehungsweise die Auflösung der Ressorts Kultur und Jugend. In Folge sei es mit dem neuen Vorstand immer wieder zu Konflikten gekommen, der Artikel bemängelte und streichen wollte. Im vergangenen Februar eskalierte dann die ganze Sache. Die Redaktion von IOL wollte einen Text zum St. Valentinstag von einer lokalen ägyptischen Tageszeitung übernehmen, wie sich Abu Hattab, ein IOL-Redakteur, erinnert. Der IOL-Vorstand lehnte den Text strikt ab, was bei erzkonservativen Muslimen kein Wunder ist. Der Tag der Liebe, wie er im Westen auch apostrophiert wird, hat für sie etwas Unmoralisches an sich. So sind rote Rosen um den 14. Februar, beispielsweise in Saudi-Arabien, dem Land der heiligen Stätten des Islams, verboten.

Nachdem die IOL-Redaktion nicht nachgeben wollte, kam der Bescheid von oben, dass alle Arbeitsverträge in Kairo zum 31. März auslaufen. Zugesichert wurden den Mitarbeitern eine Abfindung von sechs Monatsgehältern, sowie je Jahr Betriebszugehörigkeit ein weiteres Gehalt. Die Valentinsproteste, so glaubt Abu Hattab, der IOL-Redakteur, seien nur ein willkommener Anlass gewesen. "Sie wollten, dass niemand bleibt und waren ganz zufrieden, falls alle 300 Beschäftigten aufhörten." Für ihn steht fest, man will aus IOL eine ganz und gar religiöse Webseite machen.

Streik mit der Tastatur. Bild: Islamonline YouTube-Channel

"Hier geht es nicht ums Geld"

Nur mit Mitarbeitern, die ihre Interessen uneingeschüchtert vertreten, dazu noch solidarisch streiken, rechnete in Katar wohl niemand. In den meisten arabischen Ländern und gerade in der Golfregion der Emire ist das auch außergewöhnlich. Bei Problemen mit Arbeitnehmern setzt man eher auf die harte Hand und die sollten nun auch die ägyptischen IOL-Mitarbeiter zu spüren bekommen. Das anfängliche Angebot einer Abfindung, uneingeschränkt für alle, wurde wieder zurückgezogen, danach plötzlich doch vertraglich fixiert, aber bis heute nicht erfüllt. Eine emotionale Achterbahnfahrt für die Angestellten von IOL, bei denen es schließlich um die Existenz geht.

Anscheinend setzte man in Katar darauf, die Widerspenstigen klein zu kriegen. Nach dem Motto: Wenn es ums Geld geht, dann wird es mit der Solidarität schon zu Ende gehen. "Aber hier geht es nicht ums Geld", versicherte Abu Hattab, der IOL-Redakteur. "Vielmehr um redaktionelle Unabhängigkeit und Medienethik. Wir geben nicht nach. Sie wollen IOL beschlagnahmen, aber wir leisten Widerstand."

Der Anwalt der Belegschaft, Yasser Fathi, hat letzte Woche bei der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) der UNO eine Beschwerde eingereicht. Die Manager aus Katar, die die Gelder von IOL in Ägypten verwalten, hätten gegen das Gesetz und die Rechte der Arbeitnehmer verstoßen. Außerdem wurde ein Bericht beim Staatsanwalt abgegeben und eine Klage eingereicht. Man hätte sich nicht an den ausgehandelten Vertrag über die Abfindungen gehalten. Die Verwaltung schuldet den mehr als 270 ILO-Mitarbeitern noch 12 Millionen ägyptische Pfund (1,6 Millionen Euro).

Wie das Ganze ausgeht, ist nach den bisherigen Erfahrungen eher ungewiss. Große Hoffnungen hatte die IOL-Belegschaft bereits, als sich Scheich Youssef al-Qaradawi auf ihre Seite geschlagen hatte. Damals glaubte man, IOL, so wie es war, vielleicht sogar weiter führen zu können. Aber der ägyptische Kleriker wurde aus Katar kurzerhand aus dem Vorstand der Al-Balagh Cultural Society entlassen. "In dem Moment, als ich die Nachricht auf Twitter las", sagte eine IOL Mitarbeiterin, "dachte ich es wäre nur eine neue Lüge aus dem Hause Al-Balagh Cultural Society. Aber dann wurde die Nachricht bestätigt."

In Katar ließ man wieder einmal keinen Zweifel aufkommen, wer der Herr im Hause ist. Wie man es bei den Rechten der Arbeitnehmer und den inhaltlichen Richtlinien von IOL gemacht hatte. Die Zukunft des Onlinemagazins erscheint düster und erzkonservativ, auf dem es garantiert keine Berichterstattung zum Valentinstag geben wird. Es bleibt nur zu hoffen, die Mitarbeiter machen ihr Versprechen wahr und gründen eine eigene neue Website, um das "inshallah" (so Gott will) wesentlich liberaler und offener zu machen, als das bei IOL der Fall war.