Kartenspieler bei der Deutschen Bahn

Stuttgarter Bahnhof, 27.12.2010. Foto: Marcus Hammerschmitt. Alle Rechte vorbehalten.

Alle Jahre wieder - das Management der Bahn sucht nach Möglichkeiten, sie völlig unbenützbar zu machen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Die Meldung, die Bahn wolle die Bahncard abschaffen, hat für Rabatz gesorgt, denn zu viele erinnern sich noch an den Versuch Hartmut Mehdorns von 2002, eine der wenigen sinnvollen Bahn-Innovationen der letzten Jahrzehnte in die Tonne zu treten (Die Mehdorn-Air im Sinkflug). Jetzt wird eifrig dementiert, bzw. man spricht man von bloßen "Planspielen". Aber worum geht es in Wirklichkeit?

Schon das Nachrichtenumfeld, in das die Bombe von der vermeintlichen Abschaffung der Bahncard hineinplatzte, war ja äußerst ungünstig. Gerade erst war eine Steigerung der Verspätungen um 30% seit Einführung der Statistik im Jahr 2004 gemeldet worden.

Die albernste Kampagne der Bahn zu ihrem Rabattpunkte-Firlefanz seit Menschengedenken war auch gerade erst vorbei und dass ein Vorstandsvorsitzender der Bahn, der etwas Sinnvolles ankündigt (kostenloses WLAN wenigstens im ICE ab 2016), all die schlechten Nachrichten vorerst nur zurückhält, dürfte mittlerweile auch beim naivsten Bahnkunden angekommen sein.

Weihnachtspaket der Grausamkeiten

Der Shitstorm war also zu erwarten, und wie das bei Shitstorms so ist, wirbeln sie um ein Empörungssymbol herum, eine Sache oder einen Begriff, ein Bild, ein Video oder was auch immer - Hauptsache, dieses Empörungsding überfordert die Aufmerksamkeit und die Reflexionsfähigkeit des Publikums nicht zu sehr. In diesem Fall war das (wieder einmal) die Bahncard.

Und vielleicht, vielleicht war das für die Bahngewaltigen gar nicht mal so schlecht. Denn die Empörungssymbole haben auch die Tendenz, die größeren Themen, um die es eigentlich geht, zu verdecken. In dem neuesten Weihnachtspaket der Grausamkeiten sind ja noch ganz andere Dinge enthalten, als der Um-/Rückbau der Bahncard. Zur Debatte stehen offenbar auch die Aufgabe von "unwirtschaftlichen" Linien und die Nachtzüge.

Als 2002 mein Buch Das geflügelte Rad - Über die Vernichtung der Eisenbahn" erschien, kam gelegentlich die Kritik, dass der Begriff "Vernichtung" ja wohl doch etwas übertrieben sei. Aber Rom wurde nicht an einem Tag gebaut, und die deutschen Bahnen werden nicht im Handumdrehen vernichtet - dazu bedarf es schon lang anhaltender, konzentrierter Anstrengungen.

Steuergelder, Subventionen und Verfügbarkeit

Allen Verschleierungen und Tricksereien zum Trotz: Die Bahn macht keinen echten Gewinn, und wird das mit hoher Wahrscheinlichkeit auch nie wieder tun. Wenn heute die staatlichen Subventionen gestrichen würden, wäre sie morgen pleite. Das Bündnis "Bahn für alle" veröffentlicht jährlich in seinem Alternativen Geschäftsbericht dazu die realen Zahlen. Beispielsweise lautete für 2010 das Resümé:

In diesen drei Geschäftsfeldern (inländischer Nahverkehr (DB Regio), Fahrweg und Personenbahnhöfe, Anm. d. A.) stehen 8,8 Milliarden Euro an Zuzahlungen von Dritten einem "Gewinn" von 1,5 Milliarden gegenüber. Ohne die Zahlungen aus Steuergeldern gäbe es also in diesen angeblich "hochprofitablen" Geschäftsbereichen einen Verlust von 7,2 Milliarden Euro. (Die rechnerische Diskrepanz von 0,1 Milliarden Euro in diesem Satz ergibt sich aus Rundungen der tatsächlichen Summen. Anm. d.A.)

Die enormen Subventionen, die Jahr für Jahr für die Bahn anfallen, sind überhaupt nur zu rechtfertigen, wenn ihnen ebenso gewichtige Vorteile gegenüberstehen - und das ist in der Tat so. Würden die 2,2 Milliarden Reisenden (bei einer Verkehrsleistung von 89 Milliarden Kilometern) und die 390 Millionen Tonnen Güter (Verkehrsleistung: 104 Milliarden Kilometer), die die Bahn im letzten Jahr bewegt hat, auf die Straße geschoben, würde Deutschland sein blaues Verkehrsinfarktwunder erleben.

Die logistischen und ökologischen Vorteile, die aufgrund einer allgemein verfehlten Verkehrspolitik so stark subventioniert werden müssen, können aber nur erbracht werden, wenn die Bahn (tendenziell) überall für (tendenziell) jeden verfügbar ist. Das bedeutet für die Einsparungen von 1,5 Milliarden Euro bis 2019 zweierlei: Erstens sind sie im Vergleich zu den Subventionen, die bis dahin anfallen, ein lächerlicher Betrag. Die wirtschaftliche Situation der Bahn wird damit nur für die Bilanz aufgehübscht - wahrscheinlich geht es dabei letztendlich nicht um eine Entlastung für die Staatskasse, sondern um Dekoration für einen mittelfristig immer noch geplanten Börsengang.

Und der politische Wille?

Die Bahncard, sogenannte "unwirtschaftliche" Strecken und die Nachtzüge abzuschaffen (bzw. zu modifizieren), um diese kosmetischen Einsparungen (bzw. Verbesserungen beim Cash-Flow) zu erreichen, beschädigt die Allverfügbarkeit der Bahn. Wenn zu diesem Paket noch marode Strecken, Brücken, Tunnel und andere Bauwerke und Anlagen dazukommen, sowie Qualitätsprobleme im Betrieb (steigende Unpünktlichkeit), dann kann das wohl als ein neues Kapitel in der Vernichtung der Bahn angesehen werden.

Wer ihre Vorteile wirklich zum Tragen bringen wollte, müsste im Gegensatz zu dem geplanten Spar-Strohfeuer die Infrastruktur sanieren und ausbauen, die Preise senken, die Beförderungsqualität und die Pünktlichkeit wiederherstellen. Aber das ist anscheinend politisch nicht gewollt, und die Bevölkerung in Deutschland wird für die Konsequenzen aufkommen müssen.