Kaum anders als Deutsche: So ticken Flüchtlinge

Flüchtlinge 2015 in Eidomeni. Bild: W. Aswestopoulos

In der ersten großen repräsentativen Studie haben Forscher nachgefragt, wie Flüchtlinge zu Demokratie und Gleichberechtigung stehen. Das Ergebnis ist beruhigend

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Über eine Million Flüchtlinge suchten seit 2015 in Deutschland Zuflucht. Dabei stießen sie nicht nur auf viel Hilfsbereitschaft, sondern auch auf viele Klischees. In der ersten großen bundesweite Flüchtlingsstudie haben Forscher nun einmal nachgefragt: Welche Ausbildung habt ihr in eurem Heimatland genossen? Warum seid ihr geflüchtet? Wie steht ihr zu Demokratie und Gleichberechtigung? Das überraschende Ergebnis: In vielen Bereichen unterscheiden sich Flüchtlinge kaum von ihren deutschen Mitbürgern.

Gemeinsam mit dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) und Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat das Bundesamt für Migration für Flüchtlinge rund 2.300 Asylsuchenden einen Katalog mit rund 450 Fragen vorgelegt. Herausgekommen ist über 100 Seiten langer Bericht, die erste repräsentative Analyse zur deutschen Flüchtlingsbevölkerung.

Gute gebildete Syrer, schlecht gebildete Afghanen

Ein wichtiges Ergebnis: Den Flüchtling gibt es nicht. Das zeigt sich vor allem in Bildungsfragen. Insgesamt gaben 59 Prozent der erwachsenen Flüchtlinge an, mindestens zehn Jahre in Schule, Ausbildung und Studium verbracht zu haben. Zum Vergleich: in Deutschland sind es 88 Prozent. 37 Prozent der Befragten sagten, eine weiterführende Schule besucht zu haben. 10 bzw. 9 Prozent der Flüchtlinge besuchten hingegen nur eine Grundschule oder gar keine Schule.

Grund für die "starke Polarisation" im Bildungsniveau ist den Forschern zu Folge die Herkunft der Flüchtlinge. Während Syrien beispielsweise vor dem Krieg über eines der besten Bildungssysteme der arabischen Welt verfügte, liegt das Bildungssystem Afghanistans aufgrund jahrzehntelanger Kriege in Trümmern. Viele Flüchtlinge gaben allerdings an, Schulabschlüsse in Deutschland nachholen zu wollen. "Der Wunsch nach Bildung ist hoch und weitaus wichtiger, als wir bisher angenommen hatten", sagte Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles bei der Vorstellung des Berichts am Montag in Berlin.

Deutlicher als beim Bildungsniveau treten die Unterschiede zwischen Deutschen und Flüchtlingen bei beruflichen Abschlüssen zutage. Lediglich 6 Prozent der Befragten gaben an, eine Berufsausbildung zu besitzen. Zum Vergleich: In Deutschland sind es zehnmal so viele.

Der Grund ist allerdings simpel: "Die meisten dieser Länder kennen kein Ausbildungssystem, das mit dem deutschen Berufsbildungssystem vergleichbar wäre", schreiben die Forscher. Wie auch in einigen westlichen Industriestaaten werden Berufe in vielen Herkunftsländern von Flüchtlingen ohne formelle Ausbildung ausgeübt. Der geringe Anteil von Flüchtlingen ohne Berufsausbildung lässt deshalb keine Rückschlüsse auf die Berufserfahrung ziehen: Rund dreiviertel der Befragten (73 Prozent) gaben an, in ihrer Heimat erwerbstätig gewesen zu sein.

Kaum Unterschiede im Demokratieverständnis zwischen Deutschen und Flüchtlingen

Ein zweiter großer Komplex der Studie fragte nach den politischen Einstellungen der Flüchtlinge. Hier fielen die Unterschiede zur deutschen Bevölkerung weitaus geringer aus: Fast alle Befragten (96 Prozent) wünschen sich die Demokratie als Staatsform. Ebenso viele sprachen sich für freie Wahlen aus. Auch die Gleichberechtigung von Mann und Frau fand mit 92 Prozent hohe Zustimmungswerte unter den Flüchtlingen. Ein Fünftel der Flüchtlinge (21 Prozent) wünschte sich allerdings einen "starken Führer", der sich nicht um Parlament und Flüchtlinge kümmern muss.

Die Forscher schreiben, dass sie mit verschiedenen Methoden sicherstellten, authentische Antworten zu bekommen, die nicht durch "soziale Erwünschtheit" verfälscht wurden. Aussagen von Asylsuchenden wurden zum Beispiel mit denen von bereits anerkannten Flüchtlingen verglichen.

Um die Antworten vergleichbar zu machen, haben die Forscher ihre Fragen außerdem an das "World Values Survey" angelehnt, das auch in Deutschland durchgeführt wurde. Der Vergleich zwischen beiden Studien zeigt, dass die Zugstimmungswerte zu demokratischen Werten bei Flüchtlingen teils sogar noch etwas höher liegen als bei ihren deutschen Mitbürgern. Zur Demokratie bekannten sich im "World Values Survey" 95 Prozent der Deutschen (Flüchtlinge: 96 Prozent), während sich 22 Prozent der Deutschen eine starken Führer wünschen (Flüchtlinge: 21 Prozent). Noch etwas größer fällt der Unterschied bei der Frage nach freien Wahlen aus (Flüchtlinge: 96 Prozent, Deutsche: 92 Prozent).

Das Fazit der Autoren: "In ihren Wertvorstellungen weisen die Geflüchteten sehr viel mehr Gemeinsamkeiten mit der deutschen Bevölkerung als mit der Bevölkerung aus den Herkunftsländern auf."