Keep them very very busy

Supersenioren im Opa-Krieg

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Nein, das Nichtstun bereite ihm keinerlei Schwierigkeiten, ganz im Gegenteil es sei herrlich, sagte mir ein ehemaliger Dozent im Ruhestand, der als unheilbarer "Workaholic" galt. Und er sagte es in einem triumphierenden Ton. Gesetzt den Fall, es gilt noch immer, was lange Zeit die Regel war, dass nämlich gesellschaftliche Entwicklungen in den USA mit einiger Verzögerung Europa erreichen, dann hat der Mann die heitere Gelassenheit der alten Griechen, die in seinen Vorlesungen einen festen Platz hatten, bitter nötig. Denn einem neuen Trend zufolge wird das Alter für amerikanische Männer allmählich zu einer "Type-A-war zone" und derjenige, der im Ruhestand den Müßiggang übt, als verachtenswerter Nichtstuer ("senior slacker") diskreditiert.

In den 80er Jahren ist der Ruhestand noch als erstrebenswerter, paradiesischer Zustand gepriesen worden, als Himmel auf Erden; jemand, der sich früh zur Ruhe setzte, galt als erfolgreich. "Wenn jemand erst mit 68 mit dem Arbeiten aufhörte, erntete er Mitleid, wenn er mit 48 aufhörte, war das beeindruckend und beneidenswert", so der Autor Ken Dychtwald, der sich mit dem Erlös seiner Bücher wie "Age Power", "Age Wave" und "Healthy Ageing" die Rente erheblich aufbessert. Die Situation habe sich völlig geändert, behauptet er, die Ideale seien nun auf den Kopf gestellt. Während früher der müßiggängerische Mann mit viel Freizeit als attraktiv und potent zum Ideal erhoben wurde, gelte jetzt: "Ich arbeite noch immer, wie geil und großartig ist das denn?"

Dychtwald ist bei weitem nicht der einzige, der aus den Irritationen der neuen, jungen Alten gegenüber der Aktivitätszumutung im Ruhestand Kapital schlägt: "Engagement" heißt das entsprechende amerikanische Zauberwort, mit dem Gerontologen und Marketing-Spezialisten auf den Punkt bringen, worin das große Geschäft mit den 78 Millionen Babyboomern, die sich in den kommenden Jahren dem Rentenalter nähern, liegen könnte: "Keep them very very busy".

Doch noch sind nicht alle auf Linie: Der Kontinent der amerikanischen Senioren ist "somewhat" geteilt, stellten Reporter der LA-Times fest:

Auf der einen Seite finden sich die, welche zufriedene Nutznießer von Medicare sind, deren Ruhestand-Nirwana freiwillige Arbeit mit einschließt, die mit ihren Enkeln spielen und einen niedrigen Stresslevel haben, den arbeitende Menschen nur selten genießen. Sie werden konfrontiert mit dem Zorn ihrer Altersgenossen, die das "R"-Wort (retirement) nicht hören können und es noch viel weniger leben. Die Kluft ist besonders in der Gesellschaftsschicht auffällig, in der die Männer sich den Luxus leisten können, sich zu entscheiden, ob sie in den Ruhestand gehen wollen.

Ein Konflikt, welcher die LifeStyle-Reporter an die emotionale Intensität der "Mommy Wars" – den "Kulturkampf" zwischen Hausfrauen und berufstätigen Müttern - vor einigen Jahren erinnert. Mit dem Unterschied, dass dieser Kulturkampf, der "Grandpa-War", mit härteren Bandagen ausgefochten würde, da er hauptsächlich von Männern geführt wird. Denen genüge es nicht, sich mit der richtigen Wahl zwischen Ruhestand und Fortsetzung der Arbeit zufrieden zu stellen. Sie würden darüber hinaus noch beträchtliche Energie darin investieren, die gegnerische Alternative herabzuwürdigen.

Typ A Persönlichkeiten

Mit dem Mann, der ihn am Telefon so hartnäckig zum Golfen eingeladen habe, wolle er nichts zu tun haben, gibt etwa ein amerikanischer Geschäftsmann zu Protokoll, der trotzdem er das Pensionsalter schon seit mehreren Jahren überschritten hat, noch immer 45 bis 50 Stunden in der Woche arbeitet:

Im Leben dieses Golfers passiert nichts mehr. Ich sehe solche Leute, die früh in den Ruhestand gegangen sind, öfter in meinem Country Club. Man hat ihnen den Stecker rausgezogen, sie sind "unplugged". Zwecklose Existenzen. Sie könnten genauso gut irgendwo draußen auf einer Weide stehen und grasen.

Es sieht ganz danach aus, als ob die aktiven Supersenioren derzeit gegenüber den "Slacker-Senioren" im Vorteil sind, deren "Lust am Leben-Argumente" längst nicht mehr die Wirkung von ehedem haben. Nicht nur, dass die unbremsbaren 70jährigen Engagés große Namen in ihren Reihen haben - Rupert Murdoch, Warren Buffett, Frank Gehry, Clint Eastwood und Donald Rumsfeld - , sie haben auch die beeindruckenderen Selbsteinsichten:

Die meisten von uns sind "Typ A Persönlichkeiten"...Wir möchten nicht nur entspannen. Wir wollen auf dem neuesten Stand der Entspannung sein. Wir wollen besser entspannen und schneller.

Auch ein weiterer wichtiger Punkt, im LA-Times-Artikel so gut wie unerwähnt, spricht dafür, dass die Zukunft auch hierzulande den aktiven Rentnern gehören wird:

Das wird aber für die meisten keine Frage des Wollens sein. Viele meiner Generation werden den Eintritt der Rente wie Arbeitslosigkeit empfinden, weil sie zu wenig Geld privat zurückgelegt haben. Da können Sie zehnmal sagen: "Ich will geistig und ethisch autonom sein." Das nützt nichts, wenn Sie es wirtschaftlich nicht sind.

Deutscher Baby-Boomer