Kehrt Orwell zurück?

Das "Gesetz zur Förderung der Steuerehrlichkeit" ist in Kraft getreten und hat große Kritik, aber auch Zustimmung hervorgerufen

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Glaubt man manchen Meldungen der letzten Tage, leben wir seit dem 1.April in einem Überwachungs- und Schnüffelstaat. Gerade Medien wie die Welt aus dem Hause Springer oder wie der Münchner Focus, für die Kameras in den Innenstädten kein Problem waren, die das böse Bonmot vom Datenschutz als Täterschutz aufbrachten, schlagen auf einmal Alarm. Es geht um das Gesetz zur Förderung der Steuerehrlichkeit, das am 1.April in Kraft getreten ist. Der Focus titelte kürzlich: "Ab 1.4. nackt vor dem Finanzamt."

Auch Steuerzahlerverbände stoßen ins gleiche Horn. Wie viele Alternativkreise der frühen 80er Jahre wird sogar der gute alte George Orwell wieder ausgegraben, der nach dem relativ reibungslosen Ablauf des Jahres 1984 eigentlich aus der Mode gekommen war. So wie die alternativen Betroffengruppen der frühen 80er Jahre wird auch von der FDP bis zur Steuerzahlerlobby oft faktenfreie moralische Empörung verbreitet.

Auch Bezüge in eine dunkle Vergangenheit dürfen nicht fehlen. "Ist der Gesetzgeber in eine Art Verfolgungswahn mit exzessivem Kontrollzwang verfallen, der entfernt an Vorgänge in gewissen Staaten im letzten Jahrhundert erinnert?", fragen selbst eigentlich nüchterne Juristen. Anders als die alternativen Vorgänger von vor über 20 Jahren geht die obligatorische Unterschriftenliste nicht mehr von Hand zu Hand, sondern wird online auf der Webseite Schnüffelstaat bedient und von der liberalen Hochschulgruppe initiiert, die gleich groß ankündigt, dass sie "frei studieren möchte". Da die studentische Zielgruppe in der Regel wenig zu versteuern hat und sich eher Gedanken über drohende Studiengebühren und fehlendes Bafög als über möglicherweise auffliegende Finanzdepots machen dürfte, hat der LHG von der Video- bis zur Handyüberwachung alles aufgelistet, was irgendwie an Orwell erinnern könnte. Erst im zweiten Abschnitt kommt man zum Kern:

Insbesondere fordern wir die Bundesregierung auf, umgehend das so genannte "Gesetz zur Förderung der Steuerehrlichkeit" zu stoppen. Wir sind der Meinung, das es alle BürgerInnen mit einem deutschen Bankkonto unter den Generalverdacht des Missbrauchs von Bafög- oder Sozialleistungen oder der Steuerhinterziehung stellt und für ein Klima von Neid und Missgunst in unserer Gesellschaft sorgt.

Hier versucht man den Schulterschluss mit den Hartz-IV-Beziehern oder Bafög-Empfängern, denen durch den Kontoabgleich nicht gemeldete finanzielle Zusatzeinkünfte zum Verhängnis werden könnten. Viel vorsichtiger urteilen die Betroffenenorganisationen wie die Bundesarbeitsgemeinschaft der Erwerbslosen- und Sozialhilfeinitiativen. Sie weisen darauf hin, dass Behörden bei Arbeitslosengeld II-Beziehern keinen Kontenabgleich durchführen dürfen. Das wurde in einem Anwendungserlass des Bundesfinanzministeriums festgeschrieben.

Damit sollten Bedenken von Datenschützern Rechnung getragen werden, die die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes anzweifelten. Der Erlass hat wesentlich dazu beigetragen, dass das Bundesverfassungsgericht eine einstweilige Verfügung gegen das Gesetz zur Förderung der Steuerehrlichkeit zurückwies. In der Begründung ging das Gericht ausführlich auf den Erlass ein, der datenrechtliche Bedenken berücksichtige. Das Gericht weist ausdrücklich daraufhin, dass das inkriminierte Gesetz die Feststellung von Depots und Konten erlaubt, nicht aber die Ermittlung des Kontostands oder des Depotinhalts. Auch muss der Kontoinhaber von dem Abruf informiert werden.

Bei den Protesten fehlt dieses Mal die globalisierungskritische Organisation Attac, die im Gegenteil die Kontoabfrage als Mittel zur Verhinderung von Steuerflucht begrüßt. Selbst Attac-Österreich findet lobende Worte für die deutsche Gesetzesmaßnahme. Viele Stimmen aus der traditionellen Linken schließen sich dieser Einschätzung an.

Noch hoffen die Gegner des Gesetzes, dass das Bundesverfassungsgericht, das in der Sache noch nicht entschieden hat, das Gesetz noch nachträglich kippt oder zumindest beschneidet. Das ist selbst für Experten schwer abzuschätzen. Käme es dazu, würden es die neuen Freunde des Datenschutzes als großen Erfolg feiern. Dabei geht es ihnen im buchstäblichen Sinne nur um ihr Bankkonto.