Kein Fall für das FBI (Federal Bureau of Incompetence)

Im Juni will FBI - Direktor Louis J. Freeh zwei Jahre vor Ablauf seiner Dienstzeit seinen Abschied nehmen

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Das Vertrauen in die weltberühmte US-Bundespolizei ist durch die Aufschiebung der Exekution des Bombenlegers von Oklahoma City stark erschüttert. (Vgl.Verschwörung mit Hintermännern?) Arroganz, Geheimniskrämerei und antiquierte Technologie sind für eine ganze Reihe von Schnitzern verantwortlich. Im Juni will FBI - Direktor Louis J. Freeh zwei Jahre vor Ablauf seiner Dienstzeit seinen Abschied nehmen.

Der letzte Fauxpas des FBI konnte zu keiner ungünstigeren Zeit kommen. Sechs Tage vor der Exekution von Timothy McVeigh, dem geständigen Bombenleger von Oklahoma City, hielt der sichtbar geschlauchte US-Justizminister John Ashraft die Zeit an. Das Federal Bureau of Investigation hatte verlautbart, dass 3.135 neue Dokumente aus der Ermittlung gefunden wurden, die nicht der Verteidigung übergeben worden waren. Ashcraft orderte die sofortige Aushändigung der Dokumente an und verschob die Exekution vom 16. Mai auf den 11.Juni. "Wie konnte das passieren? Warum erfahren wir jetzt davon?" Präsident Bush sprach laut Mitarbeitern das aus, was sich wohl die ganze US-Nation denkt. Diese Fragen wirken umso schwerwiegender, handelt es sich doch um die größte Ermittlung in der Geschichte des FBIs. Die Aufgabe verschlang 82 Millionen Dollar und nahm in ihrer Hochphase die Hälfte aller FBI-Beamten in Anspruch Am Anfang des Verfahrens hatten Anklage und Verteidigung außergewöhnliche Regeln für die Funde des FBIs festgelegt: alles sollte der Verteidigung ausgehändigt werden. Alle 43.500 Spuren, 28.000 Interviews. 5000 Pfund Beweismaterial und 15.661 Spuren, die auf den geheimnisvollen Komplizen namens John Doe No. 2 hinwiesen. Diese komplette Offenlegung selbst unwesentlichen Materials sollte das größtmögliche öffentliche Vertrauen in das Ergebnis dieses Prozesses gegen den Terrorismus zuhause erzeugen. Denn McVeigh hatte gehandelt, um Rache zu nehmen an fragwürdigen FBI-Aktionen wie dem Waco Massacker oder der Ruby Ridge Schießerei, bei der die Frau eines weißen Seperatisten durch einen Scharfschützen ums Leben kam.

Im Dezember letzten Jahres beschloss das FBI Hauptquartier zum fünften Mal die permanente Archivierung aller Dokumente zur Bombardierung des Regierungsgebäudes von Oklahoma City, bei der 168 Menschen getötet und über 500 verletzt wurden. Als das Material aus den FBI-Büros im Washingtoner Hauptquartier eintraf, stellte man fest, dass einiges davon nie in dem Hauptordner des Falles abgelegt worden war. Man wartete bis zum 08. Mai, um die Verteidigung von diesen neuen Dokumenten in Kenntnis zu setzen und zwei weitere Tage, um sie zu analysieren und sich erst dann an FBI-Chef Louis Freeh zu wenden. Freeh, der am 01. Mai seinen frühzeitigen Rücktritt verkündet hatte, war außer sich. FBI-Beamte machen eine antiquierte Computer-Datenbank verantwortlich.

Unsere Technologie ist so alt und unzuverlässig, dass wir nicht wissen, was wir wissen.

meinte ein Agent. Ein pensionierter Mitarbeiter des Justizministeriums fand es unglaublich, dass das FBI gerade in seinem publiticyträchtigsten Fall seit Jahren so einen Bock schießt. Insbesondere, weil ähnliche Vorwürfe der unkorrekten Behandlung von Beweisstücken während der Ermittlung von Clinton's Kampagnenfinanzierungs-Skandals aufgekommen waren und zu einer großen internen Untersuchung geführt hatten."Dies ist ein Problem, dass das Büro schon seit langem hat", meint der Offizielle. "Agenten können sehr gut Informationen aufspüren. Doch die Katalogisierung oder Auswertung dieser Daten ist ungenügend."

Besonders schlimm war das Ausmaß der internen Desorganisation und Geheimniskrämerei. 46 von 56 FBI Feldbüros von Houston bis Honolulu und von Atlanta bis Anchorage hatten nicht alles übermittelt, was sie zu dem Fall hatten. In einigen Fällen scheint es so zu sein, als ob die zuständigen FBI-Agenten selbst entscheiden, dass einige Pflicht-Berichte unwichtig seien. "Was mich umhaut, ist die Tatsache, dass es nicht nur ein Büro war" meint ein Veteran des Justizministeriums. "Es war die ganze verdammte Behörde. Ich kann mir nicht vorstellen, wie so viele Leute die Regeln missachten konnten."

Niemand denkt, dass diese Dokumente auch nur einen Hauch von Zweifel an der Schuld McVeigh's aufkommen lassen könnten. Justizminister John Ashcroft bemühte sich dann auch am 24. Mai, die Dokumente, die noch um weitere 898 auf über 4000 Stück angewachsen waren, als unwichtiges Sammelsurium von unwichtigen Lappalien darzustellen: Enthalten seine u.a. eine Artikelsammlung inklusive Photos aus dem Bademodenkatalog von einem Mann, der sich in psychiatrischer Behandlung befindet. Ein handgeschriebener Brief, der gegen die Auszahlung eines riesigen Bargeldbetrages, die Freilassung eines Gefängnisinsassen und einer Europareise mit Adelsempfang, unspezifische Informationen anbot. Verschiedene Briefe, die von "nichtkörperlichen Wesen" handeln und Ratschläge von Hellsehern anbieten, um durch den Kontakt zu den Toten von Oklahoma Informationen über den Bombenanschlag zu erlangen. Kurzum Dokumente die sich laut Ashcroft "nie als Beweismaterial für den Prozess qualifiziert hätten."

Die Verteidiger McVeigh's sind anderer Meinung. "Neben all den unglaubwürdigen Beispielen gibt es genausoviele substanzielle Dokumente für die Ermittlung", sagt Rob Nigh, einer der Verteidiger. Er betonte, dass das Vertrauen der Verteidigung in das FBI stark angeschlagen ist. "Wir glauben nicht, dass das FBI oder die Anklage wirklich alles Material ausgehändigt hat. Wir verstehen nicht, wie der Justizminister öffentlich deklarieren konnte, dass uns alles übergeben wurde."

Die gefundenen Dokumente enthalten auch Hinweise auf "John Doe Nr. 2", den mysteriösen zweiten Verdächtigen, und einen Mann namens Robert Jacques, der 1994 zusammen mit McVeigh und dem zu lebenslanger Haft verurteilten Mitangeklageten Terry Nichols versucht haben soll, ein Stück entlegenes Land zu kaufen, um dort mit dem Bombardierungstraining zu beginnen.

Am 31. Mai kündigte McVeigh's Verteidigung wie erwartet an, die weitere Aufschiebung der Exekution zu beantragen. Die fraglichen Dokumente würden mehr Fragen aufwerfen, als Antworten zu geben. Richter Richard Matsch lehnte am 07. Juni in Denver das Gesuch der Verteidigung ab. McVeigh hatte Matsch im Januar davon überzeugt, sterben zu wollen und alle seine Berufungsgesuche fallengelassen. "Welche Rolle auch immer andere bei der Tat gespielt haben könnten, es ist klar, dass Timothy McVeigh die Morde begangen hat, für die er angeklagt wurde," meinte Matsch und kommentierte auch den deplorablen Zustand des FBI: "Es ist anderen vorbehalten, das FBI für sein Verhalten hier und anderswo zur Verantwortung zu ziehen. Ich erwarte, dass es Konsequenzen nach sich zieht, wenn man eine undisziplinierte Organisation oder eine Organisation hat, die nicht adäquat kontrolliert wird oder eine, die ihre Informationen nicht ordnen kann."

Rob Neigh und seine Kollegen von der Verteidigung McVeigh's haben darauf Berufung eingelegt und wollen bei einer weiteren Ablehnung der Aufschiebung den obersten Gerichtshof anrufen. Obwohl Justizminister Ashcroft die Beantragung eines neuen Verfahrens vor Gericht rigoros anfechten will, rechnen Justizexperten mit der weiteren Aufschiebung der Exekution Mc Veighs auf Monate, wenn nicht Jahre hinaus.

Das McVeigh-Debakel kommt zu einem Zeitpunkt, in dem sich das FBI gegen Vorwürfe verteidigen muss, die besagen, dass die Behörde die Rechte des Individuums missachtet, wenn es dies durch ein größeres Ziel gerechtfertigt sieht.

- Anfang Mai mussten sich zwei Beamte aus dem Bostoner FBI-Büro vor dem Hauskomittee für Regierungsreform dafür verantworten, dass sie, nur um einen Informanten zu schützen, einen Mann namens Joseph Salvati 30 Jahre für einen Mord im Gefängnis ließen, von dem sie wussten, dass Salvati ihn nicht begangen hat.

- Zur selben Zeit verurteilte ein Gericht in Alabama ein Ku Klux Klan-Mitglied, das 1963 eine schwarze Kirche bombardiert hatte, wobei vier kleine Mädchen umgekommen waren. Hätte das FBI seine geheimen Audio-Tapes, welche die Schuld beweisen, früher rausgerückt, dann wäre es auch früher zu diesem Urteil gekommen.

- Schon Monate vorher war das FBI in Verruf geraten, weil es Warnungen vor einem Spitzel in den eigenen Reihen ignoriert hatte. Diese bewahrheiteten sich in Form von Robert Hanssen, einem FBI-Veteranen, dem Spionage für Moskau vorgeworfen wird.(Vgl.CIA wollte russischen Hacker anwerben)

- In einem Spionagefall ohne offensichtlichen Spion, verbrachte der Nuklearphysiker Wen Ho Lee aus Los Alamos neun Monate im Gefängnis, bevor die US-Regierung 58 von 59 Anklagepunkte gegen ihn fallen ließ. (Vgl.Sicherheitslücken beim Los Alamos National Laboratory?) Der Fall fiel im August letzten Jahres auseinander, nachdem der FBI-Agent Robert Messemer zugegeben hatte, versehentlich gegen Lee falsch ausgesagt und ihn einer Reihe von Täuschungsmanöver beschuldigt hatte. Der zuständige Richter sagte, Lee's Inhaftierung "hat unsere gesamte Nation beschämt".

In einem Land, in dem das Misstrauen gegenüber der eigenen Bundesregierung so hoch ist wie in den USA, muss man sich nicht wundern, wenn eine riesige Polizeibehörde wie das FBI eine veraltete Infrastruktur besitzt. Der Vergleich mit dem Fiasko der Wahlmaschinen der Präsidentschaftswahl in Florida tut sich auf. Für die Modernisierung des FBI setzte sich der scheidende Chef, Louis J. Freeh, am 16. Mai vor dem Kongress ein. Seine Kalkulation für ein FBI-Budget von 3.5 Milliarden Dollar im nächsten Jahr schließt 142.2 Millionen für Computer Upgrades ein, 40% mehr als im letzten Jahr.

Freeh, 51, übernahm im September 1993 die Führung des FBI. Schon damals steckte die Behörde in der Krise. Im August 1992 hatte ein FBI-Scharfschütze bei Ruby Ridge, Idaho, die Frau des weißen Seperatisten Randy Weaver erschossen ( - eine Tat, für die laut Berufungsurteil vom 05. Juni der Schütze Lon T. Horiuchi nun vom Staate Idahoe verurteilt werden kann-). Und im April 1993 kamen bei der Tränengasattacke des FBI's gegen die Branch Davidian Sekte in Waco, Texas, 80 Menschen im einem Flammeninferno um. Freeh, ein früherer Agent, Mafia-Ankläger und Bundesrichter, genoss bald großen Respekt unter älteren Beamten, da er einen professionelleren Führungsstil an den Tag legte als sein Vorgänger William S. Sessions, der von Ex-Präsident Clinton gefeuert wurde.

Anfangs bezeichnete Clinton Freeh als einen seiner fähigsten Männer. Über die Jahre verschlechterte sich jedoch die Beziehung der beiden. Freeh beharrte auf unabhängigen Ermittlungen in die Tätigkeiten von Kabinettsmitgliedern und Clinton's eigene Aktivitäten in der Whitewater-Ermittlung. Der Wendepunkt kam, als Freeh sich öffentlich für eine unabhängige Untersuchung der Clinton-Gore Parteienfinanzierung von 1996 einsetzte. Am Schluss von Clinton's Amtszeit sprachen die beiden Männer kaum noch miteinander.

In den letzten sieben Jahren hat Freeh seine Beziehungen zu Politikern mit Kontrolle über das Budget des FBI ausgebaut, insbesondere zu Republikanern. Als Resultat wuchs das Budget um 58 Prozent auf 3.4 Milliarden Dollar jährlich an. Unter Freeh wurden mehr als 5000 Agenten und 4000 Techniker und Analytiker angestellt.

Freeh wurde für den Fall des kommunistischen Spions Hanssen und des vermeindlichen Nuklearspions Wen Ho Lee stark kritisiert. Doch Freeh hatte auch Erfolge. 1996 verfolgten FBI-Agenten die Spur des Unabombers (Vgl.Maschinenstürmer im Netz) zur Waldhütte eines gewissen Theodore J. Kaczynski in Montana. Die Verhaftung und Verurteilung beendeten eine sporadische 17jährige Bombenkampagne. Vor ein paar Wochen gab Freeh die Verhaftung von James C. Kopp bekannt. Der Abtreibungsgegner wurde wegen Mordes an einem Arzt gesucht, der Abtreibungen in Buffalo, New York, vorgenommen hatte.

Doch Freeh's größte Leistung ist wohl seine aggressive Reaktion auf die Bedrohung durch den Terrorismus. Nach der Bombardierung des Regierungsgebäudes von Oklahoma City, fanden FBI-Agenten Timothy J. McVeigh in der Zelle eines Gefängnisses in Oklahoma, in der er seit dem Nachmittag der Bombardierung war. Freeh verstärkte auch die Rolle des FBI bei der Bekämpfung des Terrorismus gegen Amerikaner im Ausland. Er besuchte 68 Länder, und vergrößerte die Anzahl der ausländischen FBI-Büros von 20 auf 44, und etablierte sogar eine internationale Polizei-Trainingsakademie in Budapest.

Freeh bekundete mehrmals, dass seine Kündigung nichts mit den Skandalen zu tun habe. In einer Rede am 05. Juni bedauerte er den "enormen Kummer und die Verlegenheit", die die McVeigh-Kontroverse für den FBI mit sich brachte. Doch die Tatsache, dass das FBI seinen Fehler erkannt und die Dokumente übergeben habe, spreche "für den Kaliber und den Charakter" seiner Agenten.

Einflussreiche Kollegen versuchen momentan, Louis J. Freeh davon zu überzeugen, seinen Job noch bis zum Herbst auszuüben. Das würde Zeit schaffen für die Nominierung eines Nachfolgers durch das Weiße Haus und vielleicht dessen Bestätigung durch den Senat, aber vor allem für die Beendigung einer Untersuchung der Hanssen-Affäre durch eine hochkalibrige Kommission des Justizministeriums. Weitere unangenehme Anhörungen wird das FBI wohl ab Ende Juni durch den Senat über sich ergehen lassen müssen. Ob Timothy J. McVeigh dann noch lebt, oder seine Exekution per "short circuit" - TV übertragen wurde, steht offen. (Hat die Öffentlichkeit das Recht, an Hinrichtungen teilzunehmen?) Aus seiner Sicht hat er den Krieg gegen die Bundesregierung der Vereinigten Staaten und seine Polizeibehörde gewonnen und zwar mit dem Endresultat 168:1.