Kein Mut zum Risiko?

Deutschland ist nicht mehr das Land der Unternehmensgründer. Im Vergleich mit 17 ähnlich hochentwickelten Staaten liegt die Bundesrepublik nur auf dem vorletzten Platz

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Die Marktwirtschaft funktioniert in der uns geläufigen Form nur unter der Voraussetzung, dass Unternehmen immer wieder neue Erfindungen kommerzialisieren und mit Erfolg verkaufen. So hält das ökonomische System den Wettbewerb auf Betriebstemperatur. Außerdem werden - im Idealfall - zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen und innovative Produktentwicklungen initiiert, die ihrerseits zum Ausgangspunkt der nächsten Generation von Ideen und Umsetzungen werden können. Unternehmen müssen allerdings gegründet, organisiert und geleitet werden, und genau für diese Aufgaben fehlt in Deutschland offenbar das „Personal“.

Zwar gibt es noch immer keine verlässlichen statistischen Daten zur Gründertätigkeit im früheren Heimatland des Wirtschaftswunders, doch der Global Entrepreneurship Monitor liefert eine Reihe aufschlussreicher Fakten, die das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in einer aktuellen Auswertung vorgestellt hat.

Demnach gab es Mitte 2008 in Deutschlang knapp zwei Millionen Gründer, das waren 3,8 Prozent der Bevölkerung im Alter von 18 bis 64 Jahren. Diese Rate, die im Fachjargon „Total Early-Stage Entrepreneurship Activity“ (TEA) heißt, setzt sich aus 1,4 Prozent „werdenden“ Gründern und 2,4 Prozent Unternehmern zusammen, die in den vergangenen dreieinhalb Jahren einen Betrieb gegründet haben und derzeit Inhaber oder Geschäftsführer sind.

Risikobereitschaft, Know-how, Aus- und Weiterbildung

Dass Deutschland in dieser Statistik ein deutlich geringeres Gründungsniveau erreicht als ökonomisch schwächer entwickelte Länder, liegt in der Natur volkswirtschaftlicher Entwicklungen. Sehr viel irritierender erscheint der Umstand, dass der Vergleich mit 17 ähnlich hochentwickelten, stark innovationsbasierten Ländern ebenfalls zu einem negativen Ergebnis kommt. Hinter den USA, Island, Südkorea, Griechenland, Norwegen, Irland, Finnland, Spanien, Israel, Slowenien, Großbritannien, Frankreich, Japan, den Niederlanden, Italien und Dänemark belegt Deutschland nur Platz 17 und die Entwicklung der vergangenen Jahre lässt wenig Hoffnung auf eine baldige Trendwende. Der TEA-Wert sank vielmehr seit 2005 von damals 5,4 auf nun 3,8 Prozent.

In zahlreichen Interviews – insgesamt wurden beim GEM 2008 knapp 127.000 Gespräche in 43 Ländern geführt – konnten einige Ursachen dieser negativen Bilanz ermittelt werden. Jeder zweite Befragte hatte Angst, mit einer Unternehmensgründung zu scheitern - angesichts der Unzahl von Insolvenzen vermutlich nicht ohne Grund. Jeder Dritte gab an, nicht über das erforderliche Know-how („Wissen und Können“) zu verfügen, nur jeder Fünfte hatte wenigstens einmal an einer gründungsbezogenen Aus- oder Weiterbildung teilgenommen.

In den benachbarten Niederlanden ist allein die Risikobereitschaft deutlich höher ausgeprägt. Nur jeder vierte Unternehmensgründer befürchtet hier, mit einer entsprechenden Initiative nicht den gewünschten Erfolg zu haben.

„Getriebene Gründer“

In der Theorie kapitalistischer Wirtschaftsformen sind die unternehmerischen Ziele vergleichsweise klar definiert. Die Autoren der IAB-Studie Udo Brixy, Christian Hundt, Rolf Sternberg und Heiko Stüber nennen in diesem Zusammenhang „Gewinnstreben, Wunsch nach eigener Verantwortung und Selbstverwirklichung“. Daneben gibt es allerdings auch die sogenannten „getriebenen Gründer“, die sich „aus Mangel an Alternativen der Einkommensgenerierung“ für eine Selbständigkeit entscheiden.

In Island, Dänemark oder Norwegen fallen sie quantitativ allerdings nur sehr bedingt ins Gewicht. Auf einen „Gründer aus Not“ kommen deutlich mehr als zehn „klassische“ Gründer. In Deutschland sind es nur 2,7, lediglich Südkorea und Griechenland weisen bei diesem Vergleich eine noch ungünstigere Bilanz auf.

Rahmenbedingungen

Neben der persönlichen Motivation spielen die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen eine entscheidende Rolle für potenzielle Unternehmensgründer. Deutschland kann hier - nach der Meinung von 62 Gründungsexperten, die an der GEM-Befragung teilnahmen - durchaus positive Bewertungen verzeichnen. Sowohl die physische Infrastruktur als auch die öffentliche Fördersituation, der Schutz des geistigen Eigentums oder die unternehmensbezogenen Dienstleistungen bestehen den internationalen Vergleich, allerdings zeichnen sich selbst in diesen Bereichen Qualitätsverluste ab. Die Autoren weisen darauf hin, dass beispielsweise der Index für die physische Infrastruktur, der Aspekte wie Straßenbau, Ver- und Entsorgung oder Telekommunikation umfasst, seit 2004 „kontinuierlich fällt“.

In den Bereichen „gründungsbezogene Ausbildung in der Schule“, „Gründungen durch Frauen“ und „gesellschaftliche Werte und Normen“ bleibt Deutschland allerdings auch in der Expertenbilanz erneut nur der vorletzte Platz.

Leichte Zweifel an diesem Befund sind allerdings erlaubt. Immerhin genießen Unternehmer in Deutschland (noch immer) ein hohes gesellschaftliches Ansehen. Überdies verantworteten Frauen im Jahr 2008 fast die Hälfte (45 Prozent) aller Gründungsaktivitäten.

Die Wirtschafts- und Finanzkrise und ein vorläufiges Fazit

Da sich die ermittelten Daten auf das Jahr 2008 beziehen, bleibt vorerst abzuwarten, wie sich die globale Wirtschafts- und Finanzkrise auf die Unternehmensgründungen in Deutschland und den anderen Ländern auswirkt. Eine Trendwende ist allerdings kaum zu erwarten, da die Banken in der aktuellen Situation gerade bei Kreditanfragen ein deutlich „restriktiveres Verhalten“ an den Tag legen.

Daher ist eine öffentliche Förderung jetzt besonders wichtig – das gilt vor allem für innovative Gründungen, die häufig einen erhöhten Kapitalbedarf haben. Da die Finanzierung traditionell zu den wichtigsten Hemmnissen einer Gründung gehört, dürfte ansonsten die Zahl potenzieller Gründungen als auch jene realer Gründungsvorhaben negativ beeinflusst werden.

Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung

Unabhängig davon bleibt festzustellen, dass es Deutschland in den vergangenen Jahren nicht gelungen ist eine Kultur der Selbstständigkeit auszuprägen – trotz zahlreicher universitärer Lehrstühle, die sich mittlerweile bundesweit mit dem Bereich „Entrepreneurship“ beschäftigen und dabei engen Kontakt zur Wirtschaft suchen. Nach Ansicht der IAB-Autoren beginnen die Defizite allerdings weit vor der akademischen Ausbildung. Die Auseinandersetzung mit Fragen der Existenzgründung und des Unternehmertums werde vor allem an deutschen Schulen vernachlässigt, wo nur 12 Prozent der potenziellen späteren Gründer mit diesen Themen in Kontakt kommen. Insgesamt sei eine „wenig kohärente Entrepreneuship-Politik“ zu beobachten.

Das Ziel durch Gründungen den Wettbewerb zu stärken und innovativen Ideen zum Durchbruch zu verhelfen, tritt vielfach hinter rein quantitativen Zielen zurück. Dies wird durch die Vielzahl der politischen Ebenen (Bund, Länder, Kommunen und Bundesagentur für Arbeit), die sich auf diesem Gebiet engagieren, noch erschwert.

Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung

Vor diesem Hintergrund halten es die Forscher für sinnvoll, gerade in Krisenzeiten nicht allein existierende Unternehmen zu berücksichtigen und diese gegebenenfalls durch Konjunkturmaßnahmen zu stärken. Neue Geschäftsideen sollten ebenfalls finanziell unterstützt und öffentlich gefördert werden: "Dies würde auch den notwendigen strukturellen Wandel unterstützen."