Kein Stop für X-33/Venturestar

NASA führt Entwicklung des neuen Raumgleiters und Shuttle-Nachfolgers weiter

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Der Thatcherismus in Großbritannien war wohl ihr erster Vorläufer, mit dem Ende des Sozialismus ging sie dann so richtig los: die breite Privatisierung einst staatlich betriebener Infrastrukturen wie Post, Bahn und Telekommunikation. Um die Raumfahrt hatte diese Privatisierungswelle bislang einen Bogen gemacht, doch bereits seit einigen Jahren gehen Meldungen von Bestrebungen der US-Regierung zur Privatisierung der amerikanischen Raumfahrtaktivitäten um.

So schrieb der hochrangige NASA-Funktionär Jesco von Puttkamer 1996 in einem Artikel für "Die Welt", dass die US-Regierung bald auf eigene Kosten keine Astronauten mehr ins All schießen wolle und dass Experten in Washington schon bis zum Jahr 2003 mit einer völligen Privatisierung rechnen. Eine solche völlige Privatisierung wirft sicher viele Fragen auf, vor allem die, ob sich eine globale, existentielle und teure Angelegenheit wie die Raumfahrt wirklich völlig privatisieren lässt und ob es der Raumfahrt dient.

Der US-Regierung scheint die Raumfahrt trotz steigender Haushaltsüberschüsse jedenfalls zu teuer zu werden und belegt die NASA mit kontinuierlichen Budgetkürzungen. Einen weiteren Schritt auf diesem Privatisierungswege dürfte die Entwicklung des Space Shuttle-Nachfolgers X-33/Venturestar darstellen.

Bereits vor vier Jahren, im Juli 1996, erhielt Lockheed Martin den Auftrag für die Entwicklung des Testprototypen X-33. Erste Bodentests von X-33 fanden bereits 1999 statt. Doch nach immer wieder auftretenden Schwierigkeiten platzte November 1999 bei einem Test im Marshall Space Flight Center der Nasa eine der wichtigsten Innovationen des gesamten Programms, ein Treibstofftank für mehr als 100 000 Liter tiefgekühlten Wasserstoff. Statt aus verschiedenen Materialschichten soll der Tank nun aus Aluminium gebaut werden. Tanks aus mehreren Spezialschichten stellen nach Projektmanager Gene Austin die Technologie der Zukunft dar, bedürfen aber weiterer Forschungen: "Die Aluminiumtanks hingegen sollten uns jetzt schneller zum Ziel bringen."

Nachdem Gene Austin jüngst Vermutungen geäußert hatte, dass man die Arbeiten an X-33 wohl um zwei Jahre verschieben müsse und Raumfahrtexperten sogar bezweifelten, dass X-33 die Zeit nach der Präsidentschaftswahl überhaupt überleben werde, hat die NASA Anfang Oktober nun doch eine Vereinbarung mit Lookheed über die Weiterführung des Projekts abgeschlossen.

Es handelt sich bei X-33 um einen kleineren Test-Vorläufer, der nach erfolgreicher Erprobung dann zur Endversion Venturestar weiterentwickelt werden soll. Die NASA hat bisher 900 Millionen Dollar Entwicklungskosten bereitgestellt, Lockheed Martin beteiligte sich mit 300 Millionen Dollar. Ein erster Testflug von X-33 ist nun für 2003 vorgesehen, die Endversion Venturestar soll nach jetzigen Planungen bereits 2004 mit einem ersten Testflug folgen und bereits 2005 in Dienst gestellt werden. Der ebenfalls senkrecht startende und wie eine Raumfähre landende VentureStar kann mit ca. 25 Tonnen Nutzmasse ungefähr genauso viel Gepäck wie die bisherigen Space Shuttles ins Weltraum hieven.

Mit diesem Projekt wird erstmals ein Raumschiff von der Industrie entwickelt. Hatte die NASA ihre Raumschiffe bisher immer selbst entwickelt und dafür relativ viel Geld und Zeit benötigt, so soll die Entwicklung des Shuttle-Nachfolgers mit der Beteiligung privater Investoren wesentlich schneller und vor allem billiger voranschreiten. Nicht nur die Entwicklung des Shuttle-Nachfolgers soll billiger werden, sondern auch der Betrieb der neuen Raumgleiter selbst. Die jetzigen Kosten von 400 bis 800 Mio. Dollar pro Shuttle-Flug sind eine enorme Belastung für das schrumpfende NASA-Budget.

Wegen diesem Kostendruck werden hohe Erwartungen in den neuen Raumgleiter gesetzt: Die Startkosten pro kg Nutzlast sollen um 90 % gesenkt werden. Die heutigen monatelangen personalintensiven Shuttle-Wartungszeiten sollen mit Venturestar bis auf eine Woche gesenkt werden, was weitaus mehr Starts erlauben würde. Sollten diese Einsparungen tatsächlich Realität werden, könnte sich das neue Gefährt zu einer ernstzunehmenden Konkurrenz für Europas Ariane-Raketen im lukrativen kommerziellen Satelliten-Startgeschäft entwickeln - von dem die NASA gerade mit dieser Neuentwicklung bedeutende Anteile zurückerobern möchte.

Erreicht werden sollen die angestrebten Kosteneinsparungen vor allem mit der Abkehr vom bisherigen teuren mehrstufigen Antriebskonzept. Gegenwärtige glockenförmige Antriebsformen sind technisch so ineffezient und verbrauchen soviel Treibstoff, dass die Raumschiffe während des Starts nicht ohne mehrere teure und schwere Antriebsstufen auskommen, die sie während des Starts nach Verbrauch abwerfen. Auf diese mehreren Raketenstufen will man im neuen Raumgleiter nun mit der Entwicklung eines wesentlich effizienteren Antriebskomplexes, dem sogenannten Aerospike-Motor, verzichten. Er ermöglicht das Ausströmen der Antriebsgase an halboffenen Seitenflächen und soll in Verbindung mit der wesentlich veränderten aerodynamischen Form des Raumgleiters eine variablere und effizientere Führung der ausgestoßenen Gase in Anpassung an den sich während des Startfluges ständig verringernden Atmosphärendruck bringen.

Für den Anfang ist Venture Star vor allem für unbemannte Transportflüge ausgelegt. Erst später soll dann eine bemannte Version die bisherigen Shuttles ablösen, um dann auch Menschen vor allem zur ISS bringen zu können. Die teilweise Auslegung von Venturestar als unbemannter Raumgleiter, wird - die erfolgreiche Entwicklung vorausgesetzt - die Transportkosten wegen wegfallender Sicherheits- und Lebenserhaltungssysteme sicherlich senken.

Ob das neue Gefährt die angestrebten Kosteneinsparungs-Erwartungen von 90 Prozent tatsächlich voll erfüllen wird, bleibt freilich abzuwarten. Wir erinnern uns: Genau die selben kühnen Erwartungen hatte die NASA bereits in den siebziger Jahren bei der Entwicklung des Space Shuttles, welche dann leider wie Seifenblasen an der Realität zerplatzten.